07.11.2014, 15. Große Strafkammer,
Saal 500
Im Sommer 2008 machte Kadir P. (30)
noch als Vizepräsident eines der vier Berliner
'Bandido'-Chapter mit einem Gerichtsverfahren wegen
gefährlicher Körperverletzung
von
sich reden. "Die Tat mutet besonders feige an. Sie
als Vizepräsident hatten da eine
erhebliche Vorbildfunktion", appellierte damals
Amtsrichter Wolfgang Koneczky sichtbar fruchtlos an das
Gewissen des Rockers und türkischen
Staatsangehörigen Kadir P.
Gute fünf Jahre später soll der, nach eigenen
Angaben, nun selbständige Gastronom und Chef der
seit 2012 verbotenen Hells
Angels "Berlin City" einen Mord in Auftrag gegeben
haben.
Die Tat ereignete sich am 10. Januar 2014. Drei Monate
nachdem ein Freund des Kadir P., ein Türsteher der
Diskothek 'Traffic' am Alexanderplatz, bei einer
brutalen Auseinadersetzung mit renitenten Gästen
verletzt wird, soll Kadir P. den Tötungsauftrag aus
Rache in Auftrag gegeben haben.
13 teils vermummte Männer drängen Mitte
Oktober vergangenen Jahres spät abends in das
Wettbüro 'Expekt' in der Residenzstraße
Wedding, in dem das Opfer mit und neben anderen Männern
Karten spielt. Sechs von acht Schüssen strecken den
ahnungslosen Tahir
Ö., der als Intensivtäter selbst kein
unbeschriebenes Blatt ist, nieder.
Am 4. November 2014 begann der Prozess gegen jene elf
Männer, die an der Tötung des Tahir Ö.
beteiligt gewesen sein sollen. Doch auch am zweiten Tag
der Hauptverhandlung kommt es nicht einmal zur Verlesung
der Anklage. Während das Interesse des in Medien
zum Hauptereignis des Jahres gehypten Verfahrens bereits
am zweiten Prozesstag praktisch erloschen scheint,
beschäftigt die Verteidigung das Gericht mit Kritik
an den Sicherungsverfügungen, mit einem eklatanten
Mangel an Öffentlichkeit. Sie bemängelt die
Reduzierung der Zuschauerplätze auf 30 und den
Ausschluss von Zuschauern unter 16 Jahren.
Doch die Kammer unter Vorsitz von Richter Thomas
Groß bleibt bei ihrer Entscheidung. Eine besondere
Gefährdungslage durch die Nähe der Angeklagten
zu dem MC der Hells Angels erfordere entsprechende
Maßnahmen. Richter Groß: "Im Fall des
Eskalation muss das Eingreifen durch die
Sicherheitskräfte gewährleistet sein."
Es gehen über den Vormittag und Nachmittag des
Prozesstages jede Menge Anträge der Veteidigung und
Pausen ins Land. Ob die Loge tatsächlich
baupolizeilich gesperrt sei. Warum im Prozess gegen Jonny K. Personen auf der Empore
gesessen hätten. Wie die offizielle Kapazität
des Zuhörerraums bemessen sei. Letzteres rief den
einzigen Zeugen des Tages auf den Plan: Gerd W. (59),
den Leiter des Zentralen Dienstes Sicherheit. Der seit
sechs Jahren das Amt bekleidende Beamte konnte
beitragen, dass die Kapazität der
Zuschauerplätze auf 60 bemessen sei.
Am späten Nachmittag begann das Gericht,
potentielle Zeugen vom Publikum zu trennen. Da
mögliche Zeugen bis zu ihrer Aussage dem Verfahren
nicht beiwohnen dürfen, sondierte Richter
Groß mittels einzelner Belehrung 14 Betroffene,
allesamt nahe Verwandte der Angeklagten. Darunter die
Ehefrau des mutmaßlichen Mord-Auftraggebers Kadir
P. und der Bruder des Angeklagten Yacub S.
"Ist das 'ne Anordnung oder 'ne Bitte?", sträubte
sich die Gattin des Hauptangeklagten, den Saal zu
verlassen. Um dann gezwungermaßen lächelnd
und Kusshände werfend in Begleitung weiterer in
Richtung Kadir P. grüßender Zuschauer den
Saal zu verlassen.
So etwa gegen 17:00, überraschte dann Verteidiger
Dr. Toralf Nöding mit Anträgen gegen unbequeme
Pressevertreter der Medien BILD und Spiegel TV.
Namentlich Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer (für
Spiegel TV) und Peter Rossberg, Axel Lier sowie
Pressefotograf Mario Firyn (für die BILD). BILD als
auch der Spiegel hatten in jeweiligen Beiträgen (LINK / LINK) über einen zweiten,
derzeit im Zeugenschutzprogramm befindlichen Kronzeugen
berichtet.
Als potentiellen Zeugen, so Dr. Nöding, sei den
vier Journalisten sowie dem Bildjournalisten "der
Zutritt zur Verhandlung zu verwehren". Der Antrag
erfolgte wider besseren Wissens möchte man meinen.
Da Journalisten nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO
bekanntlich grundsätzlich ein besonderes
Zeugnisverweigerungrecht zusteht.
Mit einem solchen Manöver war bereits Verteidiger
Johann Schwenn im Kachelmann-Prozess gegen die
BILD-Kolumnistin Alice Schwarzer glücklos. Auch die 'Emma-Herausgeberin' konnte
sich im Februar 2011 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht
berufen. Dennoch schloss sich heute die
Staatsanwaltschaft zumindest in Hinblick auf die drei
Mitarbeiter der BILD-Zeitung dem Antrag der Verteidigung
an.
Verteidiger Dr. Nöding wies darauf hin, dass
genannte fünf Medienvertreter sicher mehr
wüssten, als sie in ihren Beiträgen bereits
preisgaben (und Spiegel TV am 23. November 2014, 22:45
übrigens auf RTL noch senden wird, Anm. d. Red.)
Der Kronzeuge soll, so Nöding, gegenüber einem
LKA-Beamten damit geprahlt haben, wie gefragt er bei der
Presse sei und dass ihm ein Journalist von Spiegel TV
wohl 1.700 Euro für ein Interview bot.
Die Entscheidung des Gerichts über die
Anträge des Dr. Nöding ist noch offen.
Unbeantwortet verhallte auch die Frage des Vorsitzenden
Richters an die Verteidiger: Ob man denn mit den
Anträgen soweit wäre, dass mit der Verlesung
der Anklage beim nächsten Termin begonnen werden
könne. Ein forscher Witzbold in Juristenrobe
verstimmte Richter Groß darauf mit dem
fröhlichen Ausruf: "Keine Stellungnahme!" - Da war
es Freitag Nachmittag nach 17:00. Bereits ein Abend ohne
Sonnenlicht.
Der Prozess wird am 11. November 2014, 9:45, in Saal
500 fortgesetzt.
Fotos:
- Die Angeklagten hinter Panzerglas.
- Beengtheit und Presseansturm bei Prozessauftakt am
ersten Tag.
- Sicherungsverfügung mit Sinn.