Am Dienstag, dem 27. Februar 2008, kommen Ingo S. und Bernd B. gegen 0:30 aus dem Clubhaus der 'Hells Angels', Spandau. Ingo S. ist erst seit kurzem bei den 'Hells Angels' dabei und noch kein Mitglied. Bernd B. dagegen soll, laut B.Z. (28.2.2008), Vizepräsident der 'Hells Angels Nomades', einer selbsternannten 'Vollstreckertruppe' des Clubs sein, die erst vor kurzem einen Bandido bei Cottbus angriff.
Als Ingo S. und Bernd B. den Club verlassen, ist das Filmteam, das eine Doku über das neue Vereinshaus des Motorradclubs am Spandauer Damm 40 drehte, schon fort. Bernd B. bietet Ingo S., der ein paar Bier getrunken hat, an, ihn in seinem Wagen mitzunehmen. Als sie in das Auto einsteigen, stürmen aus einem Versteck zwei Männer auf sie zu. Dann geht alles sehr schnell.
Mit Machete und Baseballschläger
Während einer der Angreifer Bernd B. erst mit einem Baseballschläger vor sich her treibt, dann auf den Gestürzten erbarmungslos eindrischt, widmet sich der mit einer Machete bewaffnete Zweite Ingo S. Der kann einen gegen ihn geführten Schlag gerade noch mit seinem Arm abwehren. Die scharfe Waffe durchtrennt jedoch direkt am Handgelenk Muskeln, Blutgefäße und Sehnen bis auf den Knochen. Durch die Wucht des Aufpralls erleidet Ingo S. zudem einen Bruch der Elle.
So plötzlich wie die Angreifer auftauchten, so schnell sind sie wieder verschwunden. Bernd B., der mit schmerzhaften Hämatomen an Armen und Beinen davonkommt, eilt Ingo S. zu Hilfe. Dem läuft, so Bernd B, "das Blut nur so aus dem Ärmel". Ingo S. muss sich einer Not-Operation unterziehen.
Razzia im Headquarter der 'Bandidos'
17 Stunden später stürmen 200 Polizisten das Clubhaus der 'Bandidos' in der Residenzstraße, Reinickendorf, und nehmen neben Kadir P. elf weitere Personen fest. Anhaltspunkt sind den Ermittlern die Aufnahmen einer zur Gefahrenabwehr installierten Videokamera gegenüber des Clubs, auf denen Kadir P. zweifelsfrei identifiziert werden kann.
Auf eine Kooperation von Seiten der an relativ rechtsfreie Verhaltenskodizes gebundenen 'Hells Angels' hoffen die Ermittler jedoch vergeblich. Ingo S., der zunächst vorgibt, keine Erinnerung an den Vorfall zu haben, gibt schließlich nur widerwillig zu Protokoll, die Angreifer nicht erkannt zu haben.
So auch Bernd B. Er beseitigt alle Spuren, indem er nach der erlittenen Attacke sofort sein Auto reinigt. Eine Sicherstellung der Täter-DNA wird dadurch unmöglich. Zu Protokoll schnöselt er eine Kurzversion des Erlebten, nach der 'zwei Hanseln' auf sie zukamen. Er, Bernd B., hätte versucht fortzulaufen und dann, Zitat, "hat es Bumm gemacht".
Und es hat 'BUMM' gemacht
Am 15. Juli 2008, am Tag der Hauptverhandlung erlebt der Prozesszuschauer zwei sichtlich amüsierte Angeklagte. Und was soll auch schon passieren? Die Opfer, die nicht einmal Anzeige erstatteten, sind nicht erschienen. Bernd B. entschuldigt sich mit Urlaub, Ingo S. meldet sich krank. Auf dem Video, dem einzigen Beweismittel, ist ausschließlich Kadir P. eindeutig zu erkennen. Ohne Machete. Dass Dennis W. mit seinem markanten Irokesen-Haarschnitt der wahrscheinliche Täter, der Mann mit dem Baseballschläger, ist, begründet noch keine zweifelsfreie Täterschaft.
Für Dennis W. bedarf es keiner besonderen rechtsanwaltlichen Bemühungen. Um die Sache abzurunden, verteidigt er sich durch Schweigen. Für den Vizepräsidenten eines der vier Berliner 'Bandido'-Chapter, für Kadir P., springt die
Kanzlei Becker & Conen in die Bresche und mit ihr der 'Dritte Mann'.
In seiner von
Rechtsanwalt Nicolas Becker verlesenen Erklärung räumt Kadir P. ein, was auf dem Video zu sehen ist: seine bloße Präsenz am Tatort. Rein zufällig sei man in der Tatnacht am neuen Headquarter der 'Hells Angels' mit dem Auto vorbeigekommen. Zu Dritt. Die zwei, ihn begleitenden Bandido-Freunde, deren Namen der Angeklagte selbstredend verschweigt und nach denen weder Staatsanwalt noch Gericht wenigstens pro forma fragen, wollten dann jemandem von den 'Hells Angels' eine 'Abreibung' verpassen. Das kam für ihn völlig überraschend.
Kadir P. stand dabei dann 'nur so' am Auto der Opfer herum, ohne sich an der Tat zu beteiligen. Den einzigen Vorwurf, den sich der Chapter-Vize laut Erklärung machen lässt: seine Jungs nicht zurückgepfiffen zu haben. Ein Wort hätte da wohl schon genügt. Ob er es bedauert? Dazu kein Wort.
Zielfreie Spaßgewalt mit mäßigen Folgen
Die Täterschaft und ihre rechtliche Würdigung. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft beantragte nach Lage der Dinge Freispruch für Dennis W. und eine Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für Kadir P. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung. Der öffentliche Kläger wurde nicht müde herauszusteigen, dass es sich hier keinesfalls um einen "Rockerkrieg" alarmierenden Sinn handelt. Vielmehr um eine besorgniserregende Eskalation von Spaßgewalt 'ohne Ziel', die auch vor Tabubrüchen nicht zurückschreckt. Um dieser Subkultur entgegenzuwirken, hofft der öffentliche Kläger in diesem Fall und nach dem Grundsatz der Generalprävention ein Urteil im Sinne der Abschreckung zu erteilen.
Das Gericht folgte schließlich dem Antrag der Staatsanwaltschaft, sprach Dennis W. frei, verhängte über Kadir P., der fast fünf Monate in Haft verbrachte, eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und hob den Haftbefehl gegen ihn auf.
Richter Wolfgang Koneczky gab in seiner Urteilsbegründung der Hoffnung Ausdruck, dass den bislang nur unwesentlich Vorbestraften Kadir P. die Untersuchungshaft beeindruckt haben möge und erklärte an Kadir P. gewandt: "Die Tat mutet besonders feige an. Sie als Vizepräsident hatten da eine erhebliche Vorbildfunktion." - Als Reaktion, aus dieser Sache ist man fein raus, feixte Dennis W. mit sprechender Mimik ins Publikum: "Guck mal an!"