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Gerichtsreportagen


Montagsbilder - Nussbaumblüten

Prozess um eine mutmaßliche Kunstfälscherbande

von Barbara Keller

Mi., 09.06.2010, 4. gr. SK
Seit dem 9. Juni 2010 müssen sich fünf Berliner Kunsthändler und zwei Künstler wegen Betruges vor einer Kammer des Landgerichts Berlin verantworten. Den Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen 2007 und 2009 Fälschungen des Malers Felix Nussbaum, sowie des Malers Martin Kippenberger hergestellt, auf dem Markt gebracht und teils gewinnbringend verkauft zu haben. Bislang hat sich nur der Urheber des Bildes "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum", das vom Nussbaum-Museum Osnabrück erworben und auch ausgestellt wurde, Jürgen R. (52), geständig eingelassen. Der offenbar einschlägig vorbestrafte Ideengeber, Gustav N. (70) indessen liegt verhandlungsunfähig im Krankenhaus. Das Verfahren gegen den arbeitslosen, aus Südafrika gebürtigen Maler Willem P. (43), der den Großteil der Bilder malte, augenscheinlich ahnungslos war und mit Brosamen bei der Stange gehalten wurde, ist in der Zwischenzeit abgetrennt.
Beitrag vom 26. Juli 2010
Beitrag vom 10. Sept. 2010
Beitrag vom 11. Nov. 2010 mit Urteil!


30. Juli 2007. Im Felix Nussbaum Museum, Osnabrück, unterzeichnen Björn S. und Hans-Jürgen Fip den Kaufvertrag über ein neu entdecktes Nussbaum-Gemälde. "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum" heißt das Bild, das der schwedische Kunsthändler für einen Berliner Sammler an das Museum vermittelt. Björn S. zeichnet als Eigentümer, Hans-Jürgen Fip unterschreibt für die Felix Nussbaum Foundation den Kauf, bei dem 200.000,-- Euro öffentliche Gelder den Besitzer wechseln. Später soll, so der Plan, die Wilhelm-Karmann-Stiftung für den Kauf in Leistung gehen und das Bild im Beisein der Stifter publikumswirksam aufgehängt werden. Doch es kommt anders.

Ingeborg Jaehner, die Direktorin des Museums ist zufrieden und sicher auch ein bisschen stolz, das Stilleben des jüdischen Malers in einer ambitionierten Feuerwehraktion für Europa gerettet zu haben. Vor zwei Wochen erhielt sie von Richard A. (Sotherby‘s), dem ehemaligen Direktor der Ben Ury Gallery London, telefonisch den freundschaftlichen Hinweis, das Bild sei so gut wie an einen US-amerikanischen Interessenten verkauft. Verbunden mit der Bitte, sie möge sich für den Kauf des Bildes, das sonst für Europa und die Öffentlichkeit verloren wäre, verwenden.

Einflüsterungen

Sie handelt unverzüglich. Ingeborg Jaehner kennt bereits den schwedischen Kunsthändler Björn S., der sich um den Verkauf des Stillebens kümmert. Vor rund vier Wochen hatte er bezüglich der Echtheit des Gemäldes ihren Rat eingeholt. Sie reiste daraufhin nach Berlin, traf sich mit Björn S. im Literaturhaus in der Fasanenstraße. Dann fuhr man in die geschmackvoll eingerichtete, Wilmersdorfer Wohnung des Ehepaars Sigrid und Wilhelm De., die das Bild für einen anonym gehaltenen Berliner Besitzer in Kommission vorhielten.

Ingeborg Jaehner hält das Bild nach anfänglichen Startschwierigkeiten für echt. Sie will es in das Werksverzeichnis aufnehmen, was dem Stillleben praktisch das Gütesiegel 'echt' verleiht. Die Nussbaum-Expertin hält den schwedischen Kunsthändler für absolut vertrauenswürdig. Über das ihr etwas dubios erscheinende, beredte Ehepaar De. macht sie sich keine Gedanken. Unter Kunsthändlern ist Diskretion Ehrensache; Sammeln ist eine Leidenschaft. Verkäufer bleiben gern anonym und vielstellige Kaufsummen gehen auch schon mal cash über den Tisch. Was Ingeborg Jaehner nicht weiß: Die Ex-Galeristen sind gewiefte Händler vom Trödel- und Kunstmarkt an der Straße des 17. Juni.

Von einem Verkauf des Nussbaum-Gemäldes ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht die Rede. Die Nussbaum-Sammlung, seit 1971 von der Stadt Osnabrück angelegt, scheint mit ihren rund 180 Bildern komplett. Dennoch werden Ingeborg Jaehner immer mal wieder Werke des Malers Nussbaum angeboten. In letzter Zeit sind das in der Regel nur noch Papierarbeiten. Das Stilleben aus dem Jahr 1943, das Björn S. an den Mann zu bringen hofft, ist allerdings etwas Besonderes. Die scheinbar unbekümmerte künstlerische Fingerübung, die später auch als "Stilleben mit Puppe und Pampelmuse" figuriert, mag sich in die finstere Lebenssituation des im Exil lebenden Künstlers, der 1942 sämtliche Bilder bei einem Brüsseler Zahnarzt versteckte, nicht recht einzuordnen.

Vom Schlüsselbild zur Blüte

Seit 28 Jahren mit Nussbaum beschäftigt, seit zehn Jahren Direktorin einer Sammlung, die seit 1998 angemessen in einem Libeskind-Bau logiert, glaubt Ingeborg Jaehner einen Nussbaum sicher erkennen zu können: "Durch meine Hände sind in der Zwischenzeit mehr als 200 Bilder gegangen.

"Stillleben Der Maler Felix Nussbaum", so beschließt sie - ihr Bauchgefühl bezwingend - steht nur scheinbar im Widerspruch zum Malstil des Künstlers in dieser Zeit. Ihre Interpretation des Gemäldes: Felix Nussbaum, der im Sommer 1944 in Auschwitz ermordet wurde, schließt mit diesem Stilleben exemplarisch sein Leben als Künstler ab. Ein Hinweis darauf ist der in das Gemälde eingebrachte Zeitungsausschnitt, der Felix Nussbaum als Künstler feiert. Damit avanciert das "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum", die Tragödie des jüdischen Künstlers versinnbildlichend, selbsterklärend zu einem Schlüsselbild der Sammlung.

Drei Jahre später, Berlin. "Sie wirken überrascht", fragt der vorsitzende Richter Schwengers die Zeugin Ingeborg Jaehner. Die zurückhaltende Wissenschaftlerin wirkt sichtlich verstört, als sie erfährt, dass der freundschaftliche Ratgeber von Sytherby's, Richard A., für seinen Anruf bei ihr und sein freundlich bestimmtes Drängen eine satte Provision von einem der Angeklagten erhalten hat. Sie ringt sichtlich um Fassung, bevor sie erklärt: "Ich habe das als freundschaftlichen Hinweis aufgenommen. Ich habe nicht gedacht, dass da Geld fließt."

Doch Geld floss reichlich, nachdem Ingeborg Jaehner, die erste Adresse für Echtheitsanfragen in Sachen Nussbaum, grünes Licht für die "Puppe mit Pampelmuse" gegeben hatte und das Bild schließlich auch ankaufte. Die Nussbaum-Foundation überwies dem schwedischen Kunsthändler Björn S. 200.000,-- Euro auf sein Konto. Der reichte hiervon 120.000,-- Euro an das Trödler-Ehepaar De., die wiederum den Initiator des genialen Coups, den begnadeten (mutmaßlichen) Schwindler Gustav N. (70) mit 65.000,-- Euro bedachten. So die Anklageschrift.

Laut dieser meldete sich Björn S. im Herbst 2007 und im Frühjahr 2008 wiederholt mit Nussbaum-Blüten bei Ingeborg Jaehner. Doch der Expertin war kein zweites Mal eine ungeteilte Begeisterung abzuringen. "Selbstbildnis mit Maske" (angeblich 1933) hielt sie schlichtweg für "schlecht gemalt" und bezeichnete es als "Montagsbild". Das Gemälde soll sich Jaehner im Original in der Berliner Galerie Wilde angesehen haben, die der Angeklagte damals mit einem Geschäftsfreund in der Berliner Chausseestraße betrieb.

Ein Montagsbild und keine Fälschung

Trotzdem holte sich die Museumsdirektorin Rat bei einem authorisierten Restaurator, der erklärte, es spräche zumindest nichts gegen die Authentizität des Werkes. Deshalb und wohl um sich nicht selbst ad absurdum zu führen, schließlich vertraute die Osnabrückerin dem schwedischen Kunsthändler, ließ sie auch dieses Bild in das Werksverzeichnis aufnehmen. Ingeborg Jaehner: "Nach meinem Dafürhalten war es ein Nussbaum. Aber schlecht gemacht." "Selbstbildnis mit Maske" ging kurz darauf für 320.000,-- Euro an einen privaten Sammler in die Vereinigten Staaten.

Bei der dritten Nussbaum-Fälschung, "Variation des komischen Konzerts" (angeblich 1934), das der Direktorin wegen Zeitmangels durch Björn S. und dem Trödler De. im Juni 2009 nun im großen Saal des Museums in Osnabrück, vorgestellt wurde, war die Luft raus. Selbst Björn S. lässt später durch seinen Anwalt Peter Zuriel erklären: "Ihr missfiel das Bild. Das konnte man an ihrer Körpersprache erkennen."

Das ist kein Nussbaum, war Ingeborg Jaehner sofort klar. Zu viele Elemente, zufällig zusammengewürfel. Das macht keinen Sinn. Doch den fatalen Rückschluss auf das von ihr vor zwei Jahren angekaufte "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum", das wegen der Insolvenz des Stifters Karmann erst vor kurzem an die Wand kam, mochte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ziehen. Vor Gericht erklärt sie: "Ich wollte es einfach nicht glauben. Ich war mir so sicher."

Ingeborg Jaehner gibt mehr pro forma auch dieses Mal das Bild zur Begutachtung an den Restaurator in München weiter. Aber auch der zeigt sich skeptisch. Ein Eintrag ins Werkverzeichnis ist vom ersten Moment undenkbar. Während die Berliner Verkäufer jedoch via Email und Fax auf den Echtheitserklärung drängen, und auch für dieses Bild bereits einen potentiellen Käufer aufgetan haben, geht eine anonyme Anzeige bei der Kripo ein. Der Rest ist ein Fall für den Staatsanwalt.

Das Ende der Wertschöpfungskette

Kronzeuge der Anklage ist Jürgen R. (52), der gemeinsam mit dem Südafrikaner Willem P. (43) die Fälschungen herstellte und das unterste Ende der Wertschöpfungskette bei diesem Großgeschäft bildete. Laut Anklage soll Jürgen R., der "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum" frei nach Fantasie im Stile Nussbaums malte, für dieses und auch für "Selbstbildnis mit Maske", jeweils 5.000,-- Euro kassiert haben. 50,-- Euro gab er an seinen Auftragnehmer Willem P. ab, der insgesamt fünf der sechs zum Weiterverkauf bestimmte Fantasie-Blüten, darunter zwei Kippenberger, malte.

Doch Jürgen R. wartet vor Gericht mit einer die Karma-Kasse schonenden, eigenen Version der Dinge auf. Danach verfeinerte der Autodidakt, der nach eigenen Angaben in der DDR mit 'Berufsverbot" belegt war, das Malen in Moskau bei russischen Kollegen. 2003 eröffnet er in Wilmersdorf eine Restaurationswerkstatt und lernt ein Jahr darauf den großen Zampano Gustav N. kennen. Dieser hilft ihm gelegentlich mit Geld aus, sodass einiges an Schulden aufläuft.

Gustav N. gibt die ersten beiden 'Nussbaum-Variationen' im Frühjahr 2007 bei Jürgen R. in Auftrag. Ein Bild will er sich selbst an die Wand hängen, erklärt er, ein anderes soll an einen Privatmann gehen. Jürgen R. sagt, er signierte die Gemälde auf der linken Seite mit 'Felix Nussbaum', auf der rechten mit seinem eigenen Kürzel. Doch Letztere sind seltsamer Weise verschwunden..

Jürgen R. berichtet, er sei mit Hinweis auf die Schulden von Gustav N. um jeglichen Lohn geprellt worden. Dieser hätte ihn bei Telefonaten hingehalten und sei schließlich von der Bildfläche verschwunden. Durch das Trödler-Ehepaar De. erfährt Jürgen R., dass sein Bild als Fälschung für schweres Geld verkauft ist. Er ist 'sauer'. Das dritte Bild soll jetzt ohne den Ideengeber Gustav N. und auf eigene Kasse umgesetzt werden. "Doch daraus wurde ja dann nichts mehr", erklärt Jürgen R. resigniert am 16. Juni 2010 dem Gericht.

Auch zwei Kippenberger-Fälschungen aus der Werkstatt von Jürgen R., die mutmaßlich ein Kunsthändler aus Essen auf den Markt bringen sollte und in einem Fall mit einem Vorschuss von 200.000,-- Euro bereits für die Herbstauktion der Villa Grisebach umgesetzt war, kamen nicht mehr in Umlauf, nachdem der Nussbaum-Deal schließlich Ende 2009 aufgeflogen war.

Die Last, die keiner trägt

Soweit. Der Rest im Stenogrammstil. In der Zwischenzeit haben sich lediglich der schwedische Kunsthändler Björn S. und Trödler Wilhem De. zur Sache eingelassen. Unisono heißt es von beiden 'mein Name ist Hase'. Beide widersprechen dem Vorwurf, von den Fälschungen gewusst zu haben. Wilhelm De. klagte diesbezüglich während seiner Aussage am 25. Juni 2010: "Ich weiß nicht, warum mich Jürgen R. belastet. Vielleicht will er die Verantwortung nicht allein tragen."

Gustav N., der mutmaßliche Drahtzieher, der einschlägig vorbestraft sein soll und sicher einiges zu erzählen wüsste, wenn er denn wollte, ist derzeit nicht verhandlungsfähig. Der gebürtige Südafrikaner Willem P., der den Großteil der Bilder malte, Hartz IV- Empfänger ist, "Probleme mit der Freizeitgestaltung hat", wie er sagt und mit einem Hungerlohn abgespeist wurde, ist von Jürgen P. bereits entlastet worden. Dem Gericht erklärte Willem P.: "Manchmal gibt er mir ein bisschen Geld, dann bin ich schon zufrieden." Damit meint er Jürgen R., der ihm immer mal "mit 30,-- Euro oder so" aushalf.

Das Verfahren gegen Willem P., der dem letzten Verhandlungstag wegen eines Magen-Darm-Infekts fernblieb, ist in der Zwischenzeit abgetrennt. Auf die weitere Präsenz des brotlosen Künstlers in diesem Verfahren wurde einhellig verzichtet.

Es schweigen weiterhin der Kunsthändler Knut E., der die falschen Kippenberger bei Jürgen R. in Auftrag gegeben haben soll und Sigrid De., die gemeinsam mit ihrem Mann an den Nussbaum-Verkäufen aktiv beteiligt gewesen sein soll. Ein Verständigungsgespräch zwischen dem Kläger, der Verteidigung des Knut E. und des Gerichts ergab nach Information des Richters Schwengers inzwischen, dass ein Geständnis des Kunsthändlers zu einer Bewährungsstrafe führen könnte. Bedingung: der Vorwurf des bandenmäßigen Vorgehens sollte zuvor ausgeräumt sein. Hierauf dürfte Knut E. allerdings weniger Einfluss haben.

Die den ganzen Prozesstag am 30. 6. 2010 dauernde, hochnotpeinliche Befragung der Chefin der Nussbaumsammlung Ingeborg Jaehner wird am Mittwoch, dem 18. August 2010, mit der Befragung durch die Verteidigung fortgesetzt. Ins Haus stehen jetzt die Aussagen der Kunsthändlerin, die das "Montagsbild" ("Selbstporträt mit Maske", angeblich 1933) erfolgreich in die USA vermittelte, sowie die die Zeugenaussage des Restaurators, der im Auftrag oder auf Bitten der Museumsdirektorin die angebotenen Blüten auf Echtheit untersuchte und mindestens die erste für echt hielt.

*1 Jürgen R. malte ein Bild im Stil des Malers Felix Nussbaum und nannte es "Stillleben Der Maler Felix Nussbaum". Das Nussbaum-Museum in Osnabrück kaufte es für 200.000,-- € als echt ein und stellte es aus.
*2 Auf das sanfte Drängen von Richard A. (Sotherby's) entschloss sich Museums-Chefin Ingeborg Jaehner, die 'Nussbaum-Blüte' für Europa zu retten. Der 'freundschaftliche Rat' brachte A. eine satte Provision.

(die Termine zum Verfahren bitte dem aktuellen Wochenplan entnehmen...)


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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