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aus dem moabiter kriminalgericht
"Todsünde Graffiti"
von Barbara Keller
27. Aug. 2004. Kriminalgericht Moabit. 24. Große Strafkammer.
Sven Sch. (28) nannte sich als Graffiti-Held "König vom Leopoldplatz". Für den betreut wohnenden, kleinen, unförmig dicklichen, jungen Mann mit Sozialhilfe war Graffiti Lebensinhalt. Die standesgemäße Markenkleidung und die teuren Spraydosen stahl er. Sein Vorstrafenregister - immer wieder Diebstahl und Sachbeschädigung - war lang, als er am 15. März 2003 wiederholt beim Sprayen und Stehlen von Farbe ertappt wurde. Weil Sven seinen Verfolger mit einem Messer zu verscheuchen suchte, lautete die Anklage: "schwerer räuberischer Diebstahl". Das erstinstanzliche Urteil vom 1. 12. 2003 (sechs Jahre Haft) wurde jetzt nach unten korrigiert.
Pressemeldung zu einem ähnlichen Fall
Im März 2003 besprüht Sven Sch. am Westkreuz einen S-Bahnzug. Mit einem 6 bis 8 Quadratmeter großen Schriftzug in silberner, schwarzer Farbe. Von Bahnarbeitern ertappt, wirft er während seiner Flucht Schottersteine nach ihnen. Dennoch wird er wenig später von der Polizei gestellt.
Kurz darauf versucht Sven Sch. in einem Baumarkt Spraydosen zu entwenden. Ein Ladendetektiv wird auf ihn aufmerksam, läuft ihm nach. Um den Verfolger abzuschütteln, droht er mit einem Messer. Aber der Detektiv bleibt hartnäckig. Wieder nehmen ihn Polizeibeamte in Gewahrsam. Dieses Mal jedoch wird Seven Sch. in die JVA Moabit überstellt. Der Vorwurf: "schwerer räuberischer Diebstahl". Als es neun Monate später zum Prozess kommt, lautet das Urteil: sechs Jahre Haft.
Ein eiserner Vorhang fällt. Sven Sch. stürzt aus allen Wolken. Nun sitzt er als Schwerverbrecher ein. Das ihm zugewiesene Strafmaß liegt über dem von Frauenhändlern, gewerbsmäßigen Einbrechern, Kindervergewaltigern und einschlägig Verurteilten der Rubrik "fahrlässige Tötung". - Das jetzt in zweiter Instanz gefällte Urteil stellt Sven Sch. mit diesen zumindest auf eine Stufe: vier Jahre und zwei Monate Haft.
- Als minder schwerer Fall, dessen Strafrahmen zwischen ein bis zehn Jahren liegt.
Wie lässt sich dieses harte Urteil verstehen? - Sven Sch. ist ein Sprayer der chronischen Klasse, ein Wiederholungstäter. Er gehört zu den "Illegalen", bei denen sich die Qualität der Graffitis nicht am künstlerischen Wert misst. Sondern am Gefahrenpotenzial, das ihre Entstehung mit sich bringt. Doch bevor Sven Sch. zum "König vom Leopoldplatz" in der Sprayerszene avanciert, der seine überlebensgroßen Werke mit "Saphir" zeichnet, gilt er jahrelang als trauriger Außenseiter.
Sven Sch. ist ein eher kleiner, dicklich unförmiger, junger Mann. Ein Berliner Bauarbeiterkind aus dem Wedding. Wegen der zerrütteten Familienverhältnisse landet er bereits mit 14 Jahren im Heim. Und trotz normaler Intelligenz besucht er seit der dritten Klasse die Sonderschule. Sven Sch.: "Ich war immer ein bisschen langsamer als die Anderen."
Mit circa zwanzig Jahren entdeckt Sven Sch., der schon früh gern Comics zeichnete, die Graffiti-Szene. Er ist Nichtraucher, interessiert sich nicht für Drogen und beginnt erst ab dieser Zeit Alkohol zu trinken. Unter den Graffiti-Freaks gelingt es Sven Sch., einen sozialen Status zu erringen. Endlich erhält er Anerkennung. In dem Video, das alle zwei, drei Monate ins Internet gestellt wird und das die besten Graffitis zeigt, sind hin und wieder sind auch von ihm Graffitis dabei. Die Tipps für die Sprüh-Objekte erhält er von einem Freund, der bei der Bahn arbeitet.
Sven Sch. textet großflächig die Eingänge von Supermärkten, U- und S-Bahnen, Bauwagen zu. Zehn bis zwanzig Dosen wöchentlich verbraucht er. Sven Sch.: "Ich dachte, ich bin voll der Typ. Und die Leute sehen morgens meine Sprühereien, wenn sie mit der S-Bahn fahren."
Die Markenklamotten und die große Menge an Spraydosen stiehlt sich der Sozialhilfeempfänger, der sozial betreut wohnt: "Ich wollte ja nicht rumlaufen wie ein Penner." - Dementsprechend lang ist das Vorstrafenregister von Sven Sch. Seit seinem 14. Lebensjahr immer wieder Einträge wegen Diebstahl, Sachbeschädigung. Bei den Diebstählen handelt es sich zumeist um Nahrung, Kleidung und Spraydosen. Bei der Sachbeschädigung um Graffiti.
Als es im Dezember 2003 zu dem spektakulären Urteil von sechs Jahren kommt, hat Sven Sch. bereits drei Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Er ist unverbesserlich.
Noch einmal: Wie erklären sich die harten Urteile des Gerichts vom 1. Dezember 03 und 27. August 04? - Eigentlich gar nicht. Denn natürlich sind Graffiti-Sprühereien eine Pest. Die sozialen U-Bootfahrer sind es nicht minder. Aber wie darf verstanden werden, dass ein bandenmäßig Frauen schleusender, bewaffneter, koksender, ukrainischer Krimineller, der Frauen jahrelang zur Prostitution zwingt und ausbeutet an Strafmaß weniger zu erwarten hat, als ein Graffiti-Sprüher der Klasse "betreutes Wohnen"?
* Name
von der Redaktion geändert.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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Laden-Detektiv Peter L.*, ließ sich auch durch Drohen mit dem Messer nicht von der Verfolgung abhalten: "Ich hatte keine Angst vor Sven Sch."
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