aus dem moabiter kriminalgericht
Sachliches Urteil: Hebammenprozess
von Barbara Keller
17. März 2004. Kriminalgericht Moabit.
Das Urteil im Prozess gegen die Hebammen Karin M. und Karin L. wegen fahrlässiger Tötung ist nun ergangen. 70 Tagessätze à 40 € für Karin M., Freispruch für Karin L. - Berufung oder Revision wird Seitens der Staatsanwaltschaft (Sommer) zu erwarten sein. Enttäuschung bei den Klägern.
(Bericht zum 1. Prozesstag)
Eine Tortour für Kläger als auch Angeklagte: fünf Jahre gingen ins Land, ehe dieser Fall endlich vor Gericht verhandelt wurde. Schuld daran waren Dezernentenwechsel, Probleme bei den Sachverständigen. Ein und ein halbes Jahr gingen allein auf das Konto der Gerichtsmediziner.
Richter Dr. Kaehne legte dafür ein überdurchschnittlich flottes Gerichtsverfahren hin. An einem einzigen Tag - bis in den frühen Abend hinein - absolvierte er die vollständige Beweisaufnahme, sodass für den zweiten Prozesstag nur noch die Plädoyers und der Urteilsspruch blieben.
Das mit Spannung erwartete Urteil erging am Mittwoch, dem 17. März 2004. Staatsanwalt Sommer - sichtlich eingenommen gegen die Angeklagten Hebammen - beantragte für beide ein halbes Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Seine Begründung: es gehe nicht um einen Glaubenskrieg, ob Haus- oder Klinikgeburt zu präferieren seien. Vielmehr darum, ob kausale Fehler bei der Geburt begangen wurden. Fehler, die zum Tod des Kindes der Kläger führten. Das sei der Fall.
Sommer wirft den Hebammen Karin M. und Karin L. vor, ihrer Aufklärungspflicht seitens der Paares K. nicht nachgekommen zu sein, während des Geburtsvorganges zu selten die Herztöne des Kindes gemessen und eine Überführung in die Klinik unterlassen zu haben. Die Fehler bei den Herztönen des Kindes hätte man in der Klinik feststellen können. Es wären weitere Maßnahmen eingeleitet und das Kind "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebend geboren worden". Diese Pflichtverletzungen hätten den Tod des Kindes verursacht.
Der Rechtsanwalt der Nebenklage, Lutz Scheerer, ging erwartungsgemäß über diesen Antrag hinaus: ein Jahr Freiheitsentzug (drei Jahre Bewährung) gekoppelt an ein Berufsverbot. Mangelnde Fachkompetenz, das Ignorieren früher Warnzeichen hätten den Tod des Kindes hervorgerufen. Scheerer: "Diese Frauen dürfen als Hebammen nicht mehr praktizieren."
Richter Dr. Kaehne, der später sagt, "ich habe es mir nicht leicht gemacht mit diesem Urteil", entlässt zunächst Karin L. aus der Verantwortung. Freispruch, denn sie kannte die Vorgeschichte der Geburt nicht. Sie kam nur helfend hinzu.
Fehler bescheinigt Richter Kaehne jedoch beiden Hebammen. Nein, eine Risikogeburt, die eine Klinikgeburt zwingend erforderlich machte, lag nicht vor. Aber die Größe des Kindes, die Überfälligkeit der Geburt, die geringe Menge an Fruchtwasser hätte doch zu erhöhter Aufmerksamkeit führen müssen.
Laut Richter Kaehne lagen weitere Fehler vor: die Gebärende habe zu früh mitpressen dürfen, auch das Nachhelfen durch Druck auf den Bauch führte seines Erachtens zu einer zusätzlichen Belastung für das Kind. Die geringen Auffälligkeiten hätten die Hebammen veranlassen müssen, die Kläger in ihrem Wunsch nach einer Klinikgeburt zu bestärken. Aber das seien alles keine "unerhörten" Fehler. Schlussendlich: die eine Ursache, die zum Tod des Kindes führte, kann nicht ausgemacht werden.
Dennoch: auch wenn die Kliniken nicht unbedingt ideal arbeiten und Fehlentscheidungen auch hier getroffen werden, muss das Gericht doch vom Idealfall ausgehen. Es ergeht deshalb ein Richterspruch wegen fahrlässiger Tötung gegen die angeklagte Hebamme Karin M.
§ 222 sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Da es sich nach Richter Kaehne nicht um einen "überdurchschnittlichen Fall" handelt ("Zerdrücken des Kopfes mit der Zange beispielsweise"), keine "eklatanten Fehler" begangen wurden, die sich über den Durchschnitt erheben, glaubt das Gericht mit einem Urteil auskommen zu können, wie oben bereits beschrieben.
Die anzusetzenden 100 Tagessätze minderte Dr. Kaehne wegen der Länge des Verfahrens. Zu der Berufspraxis beider Hebammen äußerte sich der Richter in folgender Weise: "Die Berufsausübung der angeklagten Hebammen ist durch die umfängliche Publizität in den Medien ohnehin schwer geschädigt."
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
|