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aus dem moabiter kriminalgericht


Freie Hebammen:
inkompetente Kurpfuscherei?


von Barbara Keller

03. März 2004. Kriminalgericht Moabit. Im Jahr 1999 wurden in Berlin 29 856 Kinder geboren. 166 davon tot. Hinter jedem dieser kleinen Wesen, die es nicht schafften, steht eine Geschichte der Trauer, eine Tragödie, hinter jedem ein großes "Warum". Ehepaar K. gehört zu den Eltern, die sich diese Frage mit großer Eindringlichkeit stellen. Bis heute können sie den Tod ihrer Tochter nicht akzeptieren. Sie glauben, sie würde heute leben, hätten sie die Verantwortung ihrer Geburt nicht vertrauensvoll in die Hände der Hebammen Katrin M. (40) und Katrin L. (35) gelegt.
(Bericht zum 2. Prozesstag/Urteilsspruch)

Januar 1999. Ehepaar K. (Berlin/Prenzlauer Berg) freut sich auf seinen Nachwuchs. Es ist das erste Kind, ein Mädchen, das sie Mitte Mai erwarten. Die Schwangerschaft verläuft normal. Annette K. (damals 28, Finanzbeamtin) besucht regelmäßig ihre behandelnde Gynäkologin. Als diese ihre Praxis aufgibt, wendet sich das Ehepaar an die Hebamme Katrin M. Die gelernte und weitergebildete Fachkrankenschwester ist damals 36 Jahre alt und hat ca. 186 Geburtserfahrungen in Eigenregie (heute: 320). Sie nimmt Annette K.s o.B.-bescheinigten Mutterausweis entgegen und von da an die notwendigen Untersuchungen für eine Normalgeburt vor.

Von Anfang an machen André (damals 24, wissenschaftlicher Angestellter) und Annette K. deutlich, dass ihr Kind in der Klinik geboren werden soll. Zu diesem Zweck suchen sie sorgfältig das Klinikum aus. Sie besuchen diverse Krankenhäuser, hören Vorträge und entschließen sich schließlich für das Virchow-Krankenhaus. Zwar befürchtet Ehepaar K., im Krankenhaus nicht die gewünschte persönliche Zuwendung - wie bei einer eventuellen Hausgeburt - zu erfahren, ziehen aber das Klinikum wegen der umfänglichen medizinisch technischen Ausstattung vor.

Seit geraumer Zeit hat Annette K. ein Reiseköfferchen mit den nötigen Sachen dabei. Falls es schnell ins Krankenhaus gehen soll. Am 17. Mai ist es soweit. Das Kind will kommen. Das Mädchen ist zwar sehr kräftig und etwas über den Termin - aber Hebamme Katrin M. sieht keine Probleme für die Geburt. Am Morgen des 17. Mai 1999 ruft Annette K. ihre Hebamme an. Ja, auch sie meint, heute kommt das Kind zur Welt. Katrin M. soll später vorbeikommen, um das entscheidende Signal zur Fahrt in die Klinik zu geben.

Doch dann wird die Hebamme zu einer anderen Geburt gerufen. Sie schickt ihre Kollegin Katrin L. vor. Deren Befund: "Sie können jetzt fahren, aber auch noch etwas warten. - Warum wollen Sie überhaupt im Krankenhaus entbinden?" Und trotzdem Ehepaar K. eigentlich schon auf dem Sprung ist, das Auto schräg auf dem Bürgersteig geparkt, bleiben sie nun doch zu einer Hausgeburt und legen alle Verantwortung in die Hände der Hebammen Katrin L. und der später hinzukommenden Katrin M. Annette K.: "Ich fühlte mich plötzlich so sicher und aufgehoben."

Die Geburt zieht sich hin. Aber dann, ca. 18:30, ist es doch so weit. Das Mädchen ist endlich da. Katrin M. legt der glücklichen Mutter das rosige Kind auf den Arm. Annette K.: "Du musst jetzt schreien." Aber das Mädchen regt sich nicht. Katrin M. glaubt schwache Herztöne zu vernehmen. Die Hebammen bleiben besonnen, handeln rasch und ruhig. Nabelschnur durchtrennen, Absaugen, reanimieren, Notarzt rufen. Aber alle Mühe ist umsonst. Der Tod des Kindes bleibt schleierhaft.

Das trauernde Ehepaar K. versucht, mit dem Schmerz zu leben. Der Kontakt zu den Hebammen bleibt ein freundlicher. Aber dann findet ihr dringendes "Warum" seine Nahrung in einem ersten ernsten Zweifel. André und Annette K. hatten geglaubt, dass die Hebammen während der Geburt von einer Ärztin begleitet seien. Dabei handelte es sich bei der anwesenden weiblichen Person, wie sich später herausstellt, um eine Praktikantin. Bewusste Irrführung oder Missverständnis? Ihr Misstrauen führt zu Nachforschungen, zu einem Rechtsanwalt und schließlich über die Staatsanwaltschaft vor Gericht.

Anklage: fahrlässige Tötung. Die Frage ist: haben Katrin M. und Katrin L. alle gebotenen, notwendigen Maßnahmen ergriffen, um das Mädchen lebend zur Welt zu bringen? Haben sie die Eltern vorsätzlich getäuscht, um einen gutbezahlten Job machen zu können? Sind sie Kurpfuscherinnen? Würde das Kind heute leben, wäre die Geburt im Krankenhaus betreut worden?

Die Gutachter - ein Pathologe (Prof. Martin Vogel), zwei Rechtsmediziner (Dr. Hollmann/Max Einer), ein leitender Frauenarzt der Charité (Prof. med. Hartmut Hopp) und zwei Gutachterinnen des Berufsverbandes außerklinischer Geburten (Dr. Röchl-Löhnhoff, Regina Knobloch) - sagen: "Nein." und: "Jaein." Eine - spät angesetzte - Obduktion ergab, dass das Kind während der Geburt zeitweise unter Sauerstoffmangel litt. Irgendein Vorkommnis wird vermutet - bereits 13 Stunde vor der Geburt. Nach Meinung der Gutachterinnen des Berufsverbandes außerklinischer Geburten haben die Hebammen ihren Job verantwortungsvoll und kompetent ausgeführt. Die Gutachterin der Rechtsmedizin kann nicht mit gutem Gewissen behaupten, dass die Sauerstoff-Unterversorgung des Kindes in einer Klinik als solche erkannt worden wäre.

Prof. med. Hartmut Hopp, Leiter der Geburtshilfe und Pränataldiagnostik der Charité (Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin Franklin), jedoch wettert. "Das wäre in der Klinik nie passiert!" Denn: dort würde jede Gebärende mit der Kardiotokographie (CTG) kontrolliert. Überhaupt, die Hebammen - völlig inkompetent!

Was ist das Wundermittel CTG, das den gefürchteten Sauerstoffmangel beim Kind erkennen soll? - Beim CTG handelt es sich um das kontinuierliche Aufzeichnen der Herzfrequenz des Kindes u. a. mit technischen Mitteln. Allerdings gibt es viele Gründe für die Veränderung dessen Herzfrequenz. Die meisten davon haben nichts mit Sauerstoffmangel zu tun, sondern resultieren aus völlig normalen Veränderungen des Feten und seiner Umgebung. Von der Norm abweichende CTG-Aufzeichnungen findet man bei circa 50 Prozent aller Geburten.

In der Vergangenheit führten Überreaktionen auf CTG-Aufzeichnungen zu unnötigen Interventionen in Form von akuten Kaiserschnittentbindungen, Zangengeburten oder Vakuumextraktionen. Seitdem ist dessen Bedeutung relativiert. Die CTG macht nur Sinn in Zusammenhang mit weiteren Untersuchungen wie der Fetalblutanalyse. Vielleicht hätte eine optimale, aufmerksame Rundumbetreuung der Gebärenden verbunden mit der richtigen Interpretation der CTG-Messungen, den richtigen Maßnahmen zur rechten Zeit Annette und André K.s Kind retten können. Auch wenn es mit dem Betreff "ohne Risiko" in die Zielgerade gegangen war. Der Richter wird eine schwere Entscheidung zu treffen haben. Am 10. oder 17. März wird das Urteil gesprochen.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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