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Gerichtsreportagen
Geldregen im Gerichtssaal
Enkel-Trick"-Betrüger zahlt 85-Jähriger 65.000 € in bar zurück.
von Susanne Rüster
Amtsgericht Tiergarten, Abt. 285a, 28.07.2021
"Mutti, ich liege in der Charité, habe Corona, muss beatmet werden", stöhnte ein Mann am Telefon. "Nur eine Spritze kann mich retten, die kostet 100.000 Euro. Ich will nicht sterben." Die 85-jährige Zeugin aus Köpenick, zur Hauptverhandlung von ihrem (echten) Enkel begleitet, erschrak zutiefst...
Die alte Dame suchte alles Geld zusammen, das sie in der
Wohnung verwahrte – "auch den letzten 50-Euro-Schein"
- und übergab das Geld weisungsmäßig einer
Botin des Angeklagten, die die Beute sofort nach Polen
brachte.
Die Rentnerin schluchzend im Prozess: "Ich war nicht mehr
ich selbst. Ich habe doch schon ein Kind verloren." Dass der
Anrufer gar nicht ihr Sohn, sondern ein Komplize des
Angeklagten war, bemerkte sie in der Aufregung nicht. Der
echte Enkel fand seine Großmutter aufgelöst vor
und rief die Polizei. "Was ist das für ein Mensch",
sagte die Zeugin, den mit gesenktem Kopf sitzenden
Angeklagten fixierend. "Kann der seinen Kindern noch in die
Augen sehen?"
Von einer zuvor getroffenen Verständigung zwischen
Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht wusste die
Zeugin nichts. Als einer der Anwälte dicke
Geldbündel aus der Aktentasche zog und sagte, dass sie
die 65.000 € zurückerhalten werde, brach die alte
Frau in Glückstränen aus. Es war ihr gesamtes
Sparvermögen aus ihrer Tätigkeit als Friseurin und
sie wollte es für den Umzug in eine Seniorenresidenz
nutzen. "Ich wohne im vierten Stock ohne Aufzug. So
wird’s doch noch etwas mit meiner Alterssicherung."
In drei weiteren, dem Angeklagten vorgeworfenen
Betrügereien kam es nicht zur Geldübergabe, weil
die Opfer Verdacht geschöpft hatten. Derartige
"Enkel"-Betrugsfälle würden meist aus dem Ausland,
hier Polen, organisiert, erläuterten die Kripo-Zeugen,
die jeweiligen Banden gingen arbeitsteilig mit 5-6
Tätern vor. Der Anrufer kontaktiere zahlreiche meist
ältere Menschen telefonisch, gebe sich als Sohn oder
Enkel aus und spiegele eine dringende finanzielle Notlage
vor.
Falle das Opfer auf den Betrug herein, wickle ein Abholer
die Geldübergabe vor Ort durch. Ein zweiter Täter
fahre, sichere die Transaktion und fungiere als
Kontaktperson. Der Angeklagte habe hier als
"Abholer-Logistiker" fungiert und den Pkw gesteuert. Die
Polizeizeugen betonten, dass die Opfer allen
Bildungsschichten angehören würden, ob sie auf den
Trick hereinfielen, hinge auch von Zufällen ab, wie
ihrer Befindlichkeit, vorangegangenen Erlebnissen und der
aktuellen Lage, etwa in der Corona-Pandemie.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten
entsprechend der Verständigungsgespräche zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur
Bewährung. Er sei geständig gewesen.
"Sämtliche Vorwürfe der Anklage treffen zu", trug
er über den polnischen Dolmetscher vor. Der Angeklagte
sei bisher nicht bestraft, führte der Richter aus, und
er habe den gesamten Schaden wieder gut gemacht, was selten
vorkomme.
Selten kommt es auch vor, dass eine Zeugin
überglücklich dem Richter dankte, der den Deal
eingefädelt hatte. Und so waren alle erleichtert, auch
der Angeklagte, der nach Aufhebung des Haftbefehls den
Gerichtssaal als freier Mann verließ und dem
Café gegenüber dem Kriminalgericht zusteuerte.
-> Susanne Rüster <-
Die Verfasserin war langjährig als Staatsanwältin
im Kriminalgericht Moabit tätig und ist Autorin u.a.
von Polizeiermittler-Krimis.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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