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Gerichtsreportagen
'Ku-Damm-Raser':
Lebenslange Freiheitsstrafe rechtskräftig
- Expertenbeitrag -
von Susanne
Rüster
Berlin, 19. Juni 2020
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe
bestätigte am Donnerstag, 18.06.2020, die Verurteilung
eines der beiden Angeklagten wegen Mordes. Hamid H.hatte
bei einem illegalen Autorennen den Tod eines
unbeteiligten Verkehrsteilnehmers verursacht. Das
BGH-Urteil wird als 'historisch' bezeichnet. - Das
Urteil gegen den Mitangeklagten Marvin N. hob der BGH
auf und verwies es zur erneuten Verhandlung an das
Landgericht Berlin.
Tathergang
Die zur Tatzeit 24 und 26 Jahre alten Angeklagten Hamid H.
und Marvin N., die sich zu einem illegalen Autorennen im
nächtlichen Berlin verabredet hatten, rasten mit 139-149
km/h bzw. 160-170 km/H den Kurfürstendamm entlang. Mit
unverminderter Geschwindigkeit fuhren sie bei Rot in die
für sie nicht einsehbare Kreuzung
Tauentzienstraße/Nürnberger Straße ein. Der Audi S 6 mit
22 5 PS
des Hamid H. kollidierte hierbei ungebremst mit einem
Jeep, der bei Grün von rechts aus der Nürnberger Straße
einbog.
Dessen 69-jährige Fahrer, ein
pensionierter Arzt, der von seiner Lebensgefährtin kam und
nach Hause wollte, wurde bei dem Aufprall 70 Meter durch
die Luft geschleudert. Er starb noch am Unfallort. Der
Audi von Hamid H. wurde auf den neben ihm fahrenden
330-PS-starken Mercedes des Mitangeklagten geschleudert,
wodurch dessen Beifahrerin erheblich und Marvin N. leicht
verletzt wurde. Die Tauentzienstraße glich einem
Trümmerfeld.
BGH-Urteil vom 18. Juni 2020
Die Verurteilung zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe wegen
Mordes durch das LG Berlin im Fall des Unfallverursachers
Hamdi H. hat der BGH bestätigt und lediglich eine
Korrektur im Schuldspruch vorgenommen. Das Urteil des LG
Berlin vom 26.03.2019 gegen Hamid H. ist damit
rechtskräftig.
Aus der außergewöhnlichen
Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten und der
damit einhergehenden und von ihm erkannten
Unfallträchtigkeit habe die Vorinstanz zu Recht auf
bedingt vorsätzliches Handeln von Hamid H. geschlossen, so
die Richter*innen des BGH. Das LG habe 'tragfähig
begründet, dass der Angeklagte diesen tödlichen
Unfallhergang als möglich erkannte, die hiervon ausgehende
Gefahr für sich selbst aber als gering einschätzte und
hinnahm'.
Damit hat der BGH den von der
Angeklagten-Seite vorgebrachten Einwand, vorsätzliches
Handeln sei unter Berücksichtigung der Eigengefahr zu
verneinen, zurückgewiesen. Auch hat er dem Motiv des
Angeklagten Hamid H., das Rennen unbedingt zu gewinnen
(was bei einem Unfall ausgeschlossen wäre), keine
vorsatzausschließende Bedeutung beigemessen.
Der Angeklagte habe erkannt, das Rennen
nur bei 'maximaler Risikosteigerung auch für Dritte unter
Zurückstellung aller Bedenken' gewinnen zu können, wie das
LG zu Recht angenommen habe. Dabei seien ihm die Folgen
des 'bewusst hochriskanten Fahrverhaltens' gleichgültig
gewesen. Die Bewertung der Tat als Mord sei daher nicht zu
beanstanden. Die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung
aus niedrigen Beweggründen lägen vor.
Der Mitangeklagte Marvin N., dessen
Fahrzeug nicht mit dem Jeep des Unfallopfers kollidierte,
muss jedoch in dieser Sache nochmals vor Gericht. Nach
Aufhebung des Urteils gegen ihn muss das LG Berlin jetzt
über seine Strafbarkeit und Schuld im dritten Rechtsgang
erneut verhandeln und entscheiden.
Die Verurteilung des Marvin N. als
Mittäter des Mordes könne keinen Bestand haben, weil 'die
Beweiswürdigung des Landgerichts die Feststellung eines
gemeinsamen, auf die Tötung eines Menschen gerichteten
Tatentschlusses nicht trägt', so die Begründung des BGH.
Das LG habe sich lediglich mit dem Vorsatz des vom
Angeklagten Hamid H. verursachten tödlichen Unfalls
auseinandergesetzt, jedoch nicht mit der Frage, ob die
vorsätzliche Tötung des unbeteiligten Verkehrsteilnehmers
auch Marvin N. als Mittäter zuzurechnen sei.
Mittäterschaft setzte einen gemeinsamen Tatentschluss
voraus.
Dass auch Marvin N. einen tödlichen
Ausgang einer am Rennen unbeteiligten Person billigend in
Kauf genommen habe, sei vom LG jedoch nicht ausreichend
begründet worden. Auch liege es 'angesichts ihrer
Fokussierung auf das Rennen auch fern' dass beide
Angeklagte während des rasanten Zufahrens auf die Kreuzung
den ursprünglich auf das Straßenrennen ausgerichteten
Tatplan 'konkludent auf die gemeinsame Tötung eines
anderen Menschen erweiterten', liegt so die Begründung des
BGH. Der Haftbefehl gegen Marvin N. blieb bestehen.
Beide Angeklagte, die sich derzeit in
der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit befinden, waren
bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe nicht anwesend.
Strafprozess mit langem Vorlauf
Es ist das zweite Mal, dass sich die Richter des BGH mit
diesem Fall beschäftigten. Das LG Berlin hatte die beiden
Angeklagten bereits im Februar 2017 wegen
mittäterschaftlich begangenen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Es war das erste Urteil wegen
Mordes in einem Autoraser-Prozess überhaupt. Der BGH hatte
das Urteil im März 2018 aufgehoben, weil der vom LG
festgestellte Geschehensablauf nicht die Annahme eines
vorsätzlichen Tötungsdelikts trage.
Polizeigewerkschaft sieht im Urteil
wichtige Botschaft
Der Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
(DPolG) Rainer Wendt äußerte sich bereits zum ersten
Urteil des LG Berlin vom 27.02.2017: 'Ein deutliches
Zeichen an alle diejenigen, die glauben, aus Eigensucht
das Leben anderer Menschen gefährden zu dürfen. Es zeigt
auch, dass die Justiz bereit und in der Lage ist,
deutliche Strafen zu verhängen und die generalpräventive
Wirkung von Rechtsprechung zu berücksichtigen. Wir (…)
fordern, die Polizei mit ausreichendem Personal und
moderner Technik in die Lage zu versetzen, diejenigen zu
überführen, die immer noch nicht verstehen, dass der
öffentliche Verkehrsraum kein Abenteuerspielplatz ist.'
Erstmalige Verurteilungen eines
Autorasers wegen Mordes
Da die Teilnehmer illegaler Autorennen in der Regel einen
Tötungsvorsatz bestreiten, muss das Gericht klären, ob die
Fahrer darauf vertraut hatten, dass 'die Sache schon gut
gehen' werde. Dann würden sie lediglich wegen fahrlässiger
Tötung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren)
verurteilt werden. Nach der Rechtsprechung kommt es
entscheidend darauf an, ob die im jeweiligen Einzelfall
festgestellten Umstände den Schluss auf einen Tötungsvorsatz
zulassen.
Noch im April 2020 hatten die BGH-Richter*innen in einer
Verhandlung im vorliegenden Fall Zweifel an dem Mord-Urteil
gegen beide Angeklagte geäußert. Die jetzige Entscheidung,
die nach den Ausführungen der Vorsitzenden Richterin
Beate Sost-Scheible 'nach intensiver Beratung' erging,
kam daher für alle Beteiligten überraschend.
Auch Juristen uneinig
Die Bewertung illegaler Rennfahrten ist auch unter Juristen
umstritten. So gibt es Befürworter härterer Urteile, um die
Teilnehmer an derartigen Autorennen ('Stechen'), meist junge
Männer mit PS-starken Fahrzeugen, zur Vernunft zu bringen.
Allerdings registriert die Polizei immer wieder illegale
Rennen und beschlagnahmt Fahrzeuge. Müsse sich nun jeder
Autofahrer, der mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs
sei, fragen, ob er ein potentieller Mörder sei, so
argumentieren die Kritiker einer Verurteilung wegen eines
Tötungsdelikts.
Die neue Gesetzeslage
Im Jahr 2017 wurde aufgrund des vorliegenden Falles das
Strafgesetzbuch ergänzt: § 315d StGB
regelt nunmehr die Strafbarkeit von Veranstaltern oder
Teilnehmern illegaler Autorennen; möglich sind Geldstrafen
oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren. Werden Leib oder
Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von
bedeutendem Wert gefährdet, ist neben der Geldstrafe eine
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren möglich. Verursacht der
Täter durch die Tat den Tod oder eine schwere
Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine
Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, kommt
eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren in
Betracht.
Instanzenzug zweiter Rechtsgang:
BGH-Urteil vom 18.06.2020 (4 StR 482/19),
Vorinstanz: LG Berlin, Urteil vom 26.03.2019 [(532 Ks) 251
Js 52/16 (9/18)],
Erster Rechtsgang:
BGH-Urteil vom 01.03.2018 (4 StR 399/17),
Vorinstanz: LG Berlin, Urteil vom 27.02.2017 [(535 Ks) 251
Js 52/16 (8/16)].
-> Susanne Rüster <-
Die Verfasserin war langjährig als Staatsanwältin im
Kriminalgericht Moabit tätig und ist Autorin u.a. von
Polizeiermittler-Krimis.
Foto: Symbolbild
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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