Im Herbst 2005 fing alles an.
Die damals 21-jährige Siska T. arbeitete in einem Tschibo-Laden in Schöneberg, in dem sie sich auch zu qualifizieren hoffte. Doch eines Tages trat Bircan P. in ihr Leben. Jeden Morgen trank er vor 9:00 seine Kaffee Latte in ihrer Filiale, beobachtete sie, war für Zurückweisungen unempfindlich.
Hausverbot mit Folgen
Das gegen ihn schließlich verhängte Hausverbot beendete jedoch nicht die erzwungene, unerfreuliche Bekanntschaft, sondern stachelte den verschmähten Romeo nur noch mehr an. Jetzt lungerte er tagelang vor dem Schaufenster herum, ließ seiner Angebeteten Blumen und Briefe zutragen. Vollkommen taub gegen alle bösen Worte der verzweifelten jungen Frau, stellte er seiner Ehefrau konsequent die Scheidung in Aussicht und teilte seine 'gemeinsamen Zukunftspläne' Siska T. mit.
So lernte Siska T. ungewollt auch die Gattin des Angeklagten kennen. Die stürmte eines Tages in die Tschibo-Filiale und beschimpfte die schmächtige, junge Frau als 'Hure und Schlampe'. Siska T., die sich verfolgt fühlte, an Albträumen litt, wechselte darauf mehrfach die Filiale und musste schließlich auch ihre Ausbildung abbrechen.
Ab spätestens Januar 2007 befasste sich das Amtsgericht Tiergarten mit dem bislang unbescholtenen Juristen. Es verurteilt den hartnäckigen Verfolger wegen Hausfriedensbruch zu 20 Tagessätzen à 60 Euro. (Das
Gesetz wegen Stalking trat erst im März 2007 in Kraft.) Doch die 1.200 Euro zahlte der Gutverdiener aus der Portokasse und setzte sein Treiben fort.
Erst vier Jahre später musste sich der uneinsichtige Rechtsanwalt vor dem Amtsgericht wegen Stalking verantworten. Der geständige Angeklagte erhielt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, zur Bewährung ausgesetzt auf drei Jahre. Außerdem wurde er verurteilt. 1.500 Euro an die Justizkasse und 1.500 Euro an einen gemeinnützigen Verein zu zahlen. All dies tat der geständige Bircan P. Darüber hinaus zahlte er freiwillig Schmerzensgeld von 3.100 Euro an Siska T., ging in Berufung und fuhr in seinen Nachstellungen fort.
Vier Jahre später
"Wegen dir sind wir berühmt geworden", schreibt Bircan P. in einem seiner zahlreichen Briefe auch nach der Verurteilung an Siska T. Damit meint er den Beitrag auf STERN.de
"Stalking auf Türkisch" vom 9. Oktober 2010. Bircan P. versteht diese Veröffentlichung offenbar wie eine amtliche Bestätigung seiner Verbindung zu Siska T. Nach seiner Verurteilung hat sich der Jurist darauf verlegt, die junge Frau von einer Bäckerei gegenüber der Tschibo-Filiale gelegen zu beobachten.
Den Berufungsprozess am 25. Mai 2011 nutzt der verheiratete Jurist auf Freiersfüßen deshalb noch einmal als Forum, seine Liebe in aller Öffentlichkeit zu beschwören. "Ich will stehen", erklärt er der Vorsitzenden Richterin feierlich, baut sich auf und eröffnet seine Einlassung mit: "Ich habe mich verliebt." Er beabsichtige, sich scheiden zu lassen und mit der Nebenklägerin, Siska T., das Leben zu teilen.
"Darf ich Ihnen eine Frage stellen?", fragt Bircan P. herablassend die Vorsitzende Richterin, als sei er der einzige Mensch auf der Welt, der je liebte. "Waren Sie schon einmal verliebt?" "Ja, sicher", antwortet die Richterin gereizt. "Wie schizophren", radebrecht der türkische Jurist daraufhin, "wenn Logik, könnte Liebe nicht sein."
Die Richterin unterbricht schließlich den selbstverliebten Redefluss des Angeklagten mit: "Hören Sie auf, hier herumzuzappeln! Haben Sie mal darüber nachgedacht, eine Therapie zu machen?" Bircan P. erwidert fassungslos: "Welche Therapie?"
Sie sind ein schlechtes Mensch
Für Siska T. ist dies alles ein Albtraum. Sie weint, als sie noch einmal ihre Bemühungen schildert, den brünstigen Verfolger abzuschütteln: "Er versteht es einfach nicht. Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, dass er mich anekelt. Er hört einfach nicht auf." Inzwischen hat sich Siska T. auch Hilfe bei einem Psychologen gesucht. Sie sagt: "Ich habe geglaubt, ich schaffe das alleine."
In der Zwischenzeit sind die Töne in den Briefen von Bircan P. rauer geworden. "Dein Herz ist nicht so schön wie dein Gesicht", heißt es darin. Auch: "Sie sind wütend, Sie sind ein schlechtes Mensch." Eine Einsicht in die realen Umstände steht wohl nicht in Aussicht.
Das Gericht verwirft in seinem Urteil schließlich die Berufung des Angeklagten und legt noch etwas drauf. Ein Jahr ohne Bewährung heißt es für Bircan P. "Sie müssen ins Gefängnis", erklärt die Vorsitzende Richterin, die den Rechtsanwalt am liebsten vom Fleck weg verhaftet hätte. Das wäre angesichts eines Berufungsverfahrens, so die Richterin, jedoch nicht fair. Die Richterin gibt dem unerwünschten Freier mit auf den Weg: "Für jeden Brief, den Sie jetzt noch schreiben, wird ein Verfahren ausgelöst. Wenn hier noch ein Brief kommt, wird der Haftbefehl vollstreckt."
update: Bircan P. ging in Revision und befindet sich bis auf weiteres auf freiem Fuß.
(1.7.2001)
update: Die Revision des Angeklagten wurde verworfen und das Urteil damit rechtskräftig.
*Namen von der Redaktion geändert