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aus dem moabiter kriminalgericht
Mutter und Tochter auf Raubzug
von Barbara Keller
Am 19. Oktober 2004 stürzen zwei bewaffnete, mit schwarzen Strumpfhosen maskierte Frauen in die Schleckerfiliale Reinickendorfer Straße 99, Berlin Wedding. Überfall. Eine Mitarbeiterin, sie ist im sechsten Monat schwanger, sitzt an der Kasse. Eine weitere steht die Waren einsortierend hinter einem Regal neben einer Kundin. "Kasse auf!", befiehlt eine der Räuberinnen. Dann: "Schublade hoch!" Die Verkäuferin hinter dem Regal stößt einen spitzen Schrei aus und lässt den Karton fallen, den sie in der Hand hält. Eine der Maskierten richtet die Pistole auf sie: "Sie bleiben, wo sie sind!" Ein Griff in die Kasse. Ein Hundert- und ein Fünfzig-Euro-Schein wechseln die Besitzerin. Dann – alles geschieht innerhalb einer halben Minute - verschwinden die Eindringlinge wieder. Die anwesende Kundin, die die verschreckte Schleckerangestellte nach einer Creme fragt, hat von alledem nichts bemerkt.
Das Ereignis wird am nächsten Tag mit einer Meldung in der B.Z. gewürdigt: "Täterinnen entkamen unerkannt." Soweit könnte dieser bewaffnete Überfall ein perfekter sein. Und bliebe es vermutlich bis in alle Zeiten. Wären die Täterinnen eiskalte Verbrecherinnen. Doch bereits zwei Tage nach dem Schleckerraub erstattet ein angetrunkener Mann, Andreas R. (42), bei der Polizei Anzeige gegen seine Frau Elke R. (36) wegen Raubüberfall. Kurz darauf zeigt sich Täterin Zwei selbst an: Romina R. (18), die Tochter.
Seit dem 17. November 2005 befindet sich Elke R. in Haft. Romina R., sie ist Mutter einer 19 Monate alten Tochter, bleibt auf freiem Fuß. Am 6. Januar 2005 sitzen eine verheulte, vom Alkoholkonsum gezeichnete, zierliche Blondine, Elke R. und die gefasst wirkende, stille Tochter Romina R. vor Gericht. Die Urheberschaft der Tat streiten beide ab.
Wie es zu diesem Raubüberfall kam ist Mutter und Tochter ein Rätsel. Romina R. will sich an nichts erinnern: "Mir wurde schwarz vor den Augen, nachdem ich in die Kasse gegriffen hatte." Elke R.: "Es gab keine Absprachen." – Warum die Frauen jedoch mit Schreckschusspistole und abgeschnitten Strumpfhosen im Gepäck um die Häuser zogen, will oder kann auch sie nicht erklären.
Setzt man das Puzzle zusammen, könnte sich der ungewöhnliche Raubzug ungefähr so zugetragen haben: Elke R. und Romina R. sitzen am Mittag des 19. Oktober 2004 in der mütterlichen Wohnung beisammen. Auch Andreas R., mit seiner Frau in Trennung lebend, ist bei ihnen. Elke R., eine labile Frau, seit vier Jahren arbeitslos, Alkoholprobleme, hat seit acht Uhr morgen zwei große Schultheiß und zwei Korn getrunken. Man sieht fern, eine Gerichtssendung, flachst herum, wie es wäre, selbst einen Überfall zu unternehmen.
Romina R. aber meint es ernst. "Los Vater, mach mit!", fordert sie ihren Stiefvater auf. Andreas R: lehnt ab. Dennoch knallt er seine Schreckschusspistole auf den Tisch: "Wenn ihr überzeugen wollt, müsst ihr die mitnehmen." Und er schraubt auch schon mal den Aufsatz für die Silvesterraketen ab.
Wenig später sind Tochter und Mutter bereits auf Raubzug und auf der Suche nach einem geeigneten Objekt unterwegs. Romina R. braucht Geld für Windeln, wie sie der Mutter gegenüber beteuert. Sie hat Schulden bei der Telekom und traut sich nicht, ohne Geld nach Hause zu kommen. Dass ihr Freund sie dann angeblich schlägt, gibt bei Elke R. schließlich den entscheidenden Ausschlag.
Sie selbst blickt auf eine Partnerschaft voller Gewalttätigkeit zurück: "Mein Mann hat mir die Schneidezähne ausgeschlagen." Rechtsanwalt Boettcher: "Da hat dann auch mal eine Gabel in der Schulter meiner Mandantin gesteckt." Elke R. will verhindern, dass ihre Tochter das gleiche Schicksal erleidet. Mit fraglichen Mitteln.
Das letzte Geschäft bevor man dann wieder vor der eigenen Tür steht, soll es sein: die besagte Schleckerfiliale. Lange Zeit lungern die Frauen unentschlossen rauchend vor dem Laden herum. "Es sollten keine Kunden drin sein. Und auf keinen Fall Kinder.", sagt Romina R. vor Gericht. Dann schlagen sie zu. Hundert Euro behält Romina R. - 50 Euro die Mutter, die sich davon eine Flasche Selters, zwei Schachteln Zigaretten kauft und den Rest ihrer Tochter gibt.
Die Folgen dieser kriminellen Aktion sind bitter. Private Wäsche wird in aller Öffentlichkeit gewaschen. Der Scheinfrieden einer desolaten Familie geht vor fremder Augen in die Knie. Romina R., unehelich geboren: "Ich habe keine guten Erinnerungen an meine Kindheit. Mein Bruder wurde vorgezogen. Meine Mutter war immer betrunken." – "Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!", weint Elke R. – Sichtlich zufrieden scheint nur Andreas R., Ex-Mann in spe: "Sie hat die Sache mit dem Überfall ja auch überall rumgetrötet."
Bitter ist schließlich auch das Urteil: Zwei Jahre Haft auf Bewährung nach Jugendstrafrecht für Romina R., die ansonsten einen tadellosen Lebenslauf vorzuweisen hat. Drei Jahre und sechs Monate Haft für Mutter Elke R. Ein bewaffneter Überfall bleibt ein bewaffneter Überfall, auch wenn die Waffe nicht geladen ist. Richter Dieckmann betont: "Dieser Überfall ist kein Kavaliersdelikt!" Und: "Es sollte sich endlich einmal rumsprechen, dass bei einem Raubzug auf eine Schleckerfiliale keine Reichtümer zu erwarten sind!"
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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Elke R. überfiel mit Tochter Romina eine Schleckerfiliale im Wedding. Beute: 150 €
Romina R. Schulden bei der Telekom. Kein Geld für die Windeln. Soll angeblich die Mutter zu dem Raubzug überredet haben.
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