Mario E., Wunschkind eines Feinmechanikers
und einer Verkäuferin, sagt: "Ich kenne eben die
falschen Leute." Anders als sein Bruder, der es zu etwas
gebracht hat und mit einer Akademikerin liiert ist.
Offenbar ist Mario E., der erst mit 25 Jahren schaffte,
flügge zu werden und auch dann erst einmal mit seinem
Freund Peter zusammen und um die Häuser zog, auch das
ewige Nesthäkchen.
Mario E. ist neun Jahre alt, als seine Mutter wegen einer
chronischen Psychose in die Psychiatrie eingewiesen und
seitdem dauerhaft betreut wird. Er beginnt 14-jährig
eine Karriere an der Bierflasche. Seine weitere
Sozialisation formt die Freizeit vor dem Tresen der
Weddinger Kiezkneipen.
Geistige Höhenflüge sind ihm nicht gegeben.
Mario E. arbeitet lieber mit den Händen und geht mit
neun Klassen von der Schule. Aber er schafft auch die
Malerlehre nicht, obwohl es ihm nicht an gutem Willen
fehlt. Der große, teils gutmütige Mann ist
leicht ablenkbar. Die falschen Freunde eben, sagt er.
Der väterliche Freund als
Liebhaber
Als Mario E. mit seinem Kumpel Peter völlig
verwahrlost aus der gemeinsamen Wohnung fliegt, findet er
einen scheinbar sicheren Hafen bei Helmut W. Der 15 Jahre
ältere, homosexuelle Frührenter hat gerade
seinen Freund verloren. Mario E. entdeckt seine bisexuelle
Seite und lebt eine teils glückliche Partnerschaft
mit Helmut W., der sich auch um den leidigen
Behördenkram seines verpeilten Freundes kümmert.
Aber Helmut W. ist selbst labil und guckt gern tiefer ins
Glas. Außerdem ist er quälend
eifersüchtig. Deshalb kommt es wiederholt zu
Streitigkeiten, wenn Mario E. mal wieder mit seinen alten
Saufkumpels unterwegs war. Bei einem späten Nachtmahl
im Dezember 2000 sitzen beide gut angetrunken zu Hause vor
ihren Tellern, als Helmut W. wieder die alte Leier von der
Eifersucht bemüht. Zwischenzeitlich schläft
Mario E. dabei auch ein, als schließlich eine wilde
Wut in ihm auflodert. Mario E. ergreift das
nächstbeste Küchenmesser und rammt es seinem
Freund in den Brustkorb.
Helmut W. hat kaum noch Zeit zur Verwunderung. Das Messer
durchbohrt die Herzwand. Er stirbt. Mario E. ist
verzweifelt, versucht vergeblich, sich mit einem
Stromschock in der Badewanne selbst das Leben zu nehmen.
Schließlich ruft er resigniert die Polizei, kniet
sich vor die eintreffenden Beamten und hält ihnen in
Erwartung der Handfesseln die Hände entgegen.
Trinken ohne Sucht
Mario E. ist rückhaltlos geständig. Das
Verfahren im Juli 2001 dauert ganze vier Tage und beginnt
zunächst als Mordprozess. In der
Urteilsbegründung räumt die für Recht
erkennende Strafkammer eine verminderte
Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund des
erheblichen Rausches ein. Erklärt aber auch: "Er
stand nicht unter dem Zwang, Alkohol trinken zu
müssen." Weder den Tatbestand des Mordes sieht die
Strafkammer erfüllt noch hält sie eine
Unterbringung von Mario E. in einer Entziehungsanstalt
für nötig.
Der Angeklagte sitzt daraufhin die über ihn
verhängten vier Jahre und sechs Monate
vollständig ab und bleibt in Bezug auf seine
Alkoholsucht untherapiert. Ihm gelingt es, drei Jahre nach
Haftentlassung trocken zu bleiben, arbeitet als Maler und
Lackierer für eine Leihfirma. Auch als er Ende 2008
arbeitslos wird, sucht er, solide zu bleiben.
Rückfall mit Schaden
Mario E. hält seine Wohnung in Schuss, spielt
Playstation. Aber schließlich trifft er sich doch
wieder mit seinen Kumpels und hängt tagsüber mit
ihnen bei Bier herum. Wenn das Maß voll ist, geht er
allerdings nach Hause. Er will keine Probleme und geht
Streit aus dem Weg.
Auch am 12. August 2009 ist Mario E. wieder gut
abgefüllt. Den Nachmittag hat er mit einer Bekannten
an der Neuköllner Schillerpromenade verbracht und
dabei wohl, wie jeden Tag, zehn große Bier
getrunken. Er nimmt am Kiosk noch zwei Flaschen Bier und
einen Yoghurt mit. Er will den Heimweg antreten, um zu
Hause Fußball zu sehen. Doch dazu kommt es nicht.
Am Ausgang tritt ihm das spätere Opfer Daniel C. in
den Weg. Daniel C. will ihn wegen einer vermeintlich
üblen Nachrede um ein klärendes Gespräch
bitten. Mario E. ist unwillig, schiebt Daniel C. beiseite.
Ein Wort gibt das andere. Daniel C. insistiert wiederholt,
als Mario E. plötzlich in rasender Wut eine
Bierflasche aus dem Beutel holt, um es ihm über den
Kopf zu schlagen.
Lass mich durch!
Daniel C. hat kaum Zeit, Blut, Glassplitter und das
über ihn rinnende Bier zu realisieren. Denn Mario E.,
erzürnt darüber, dass eine der beiden
Bierflaschen, die er soeben anschreiben lassen musste,
kaputt ging, rammt ihm kurz darauf den abgebrochenen
Flaschenhals in den Unterleib. Daniel C. taumelt
rückwärts, stützt sich an ein parkendes
Auto, sieht an sich herunter und die aus der Bauchwunde
ausgetretenen Darmschlingen. Mario E. seinerseits, dem
schlagartig klar wird, was er getan hat, lehnt wenige
Meter entfernt an der Hauswand und versucht, sich die
Pulsadern zu öffnen.
Wie durch ein Wunder bleiben innere Organe des Verletzten
jedoch unversehrt. Daniel C. verlässt mit einigen
versorgten Kopfverletzungen und der heilenden Wunde am
Unterleib eine Woche nach der Notoperation schon wieder
das Krankenhaus.
Mario E. dagegen muss sich ein viertel Jahr später
erneut wegen versuchten Totschlags vor dem Berliner
Landgericht verantworten. Auch dieses Mal sieht die
Strafkammer einen reuigen, geständigen, ratlosen
Angeklagten. Wieder benötigt das Gericht nur vier
Tage zur Beweisaufnahme. Und wieder wird Mario E. von
Rechtsanwalt
Carsten
Hoenig vertreten, der seinen Mandanten verloren
glaubt, wenn nicht endlich therapeutisch gegen dessen
Trunksucht vorgegangen wird.
Offen für gute Führung
Im Raum steht allerdings wegen der Schwere der Tat auch
eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Das
Sachverständigengutachten des forensischen
Psychiaters Dr. med. Karl Kreutzberg, in diesem Sinn in
Auftrag gegeben, macht dagegen deutlich, dass Mario E.
weniger ein Delinquent mit krimineller Motivation, als
eine labile, unter wohlmeinender Führung durchaus
willige Person ist.
Am 27. Januar 2010 verurteilt die 29. große
Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Angelika Dietrich
den Angeklagten Mario E. wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren. Die Tat sei außerordentlich brutal
und das Strafmaß deshalb in einem höheren
Bereich anzusiedeln, heißt es in der
Urteilsbegründung.
Allerdings sei Mario E. alkoholabhängig. "Wenn nichts
gegen seine Alkoholsucht unternommen wird, wird es weiter
zu schweren Straftaten kommen", erklärte Richterin
Dietrich. Da Mario E. hierzu nicht allein in der Lage sei,
ordnete die Strafkammer nach
§64 StGB die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt an. Hier wird Mario E. ab Februar
2010 zunächst zwei Jahre verbringen müssen.
Richterin Dietrich gab dem so Verurteilten mit auf den
Weg: "Nehmen Sie die Chance an. Wie Dr. Kreutzberg sagte,
sieht das ja gar nicht so schlecht aus." - Vielleicht
trifft Mario E. zur Abwechslung jetzt einmal die richtigen
Leute.