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aus dem moabiter kriminalgericht


Totschlag wird Körperverletzung


von Barbara Keller

05. Nov. 2007. Moabiter Kriminalgericht. 29. Gr. Strafkammer.
Am 13. Mai 2007 geht Ingo P. (45) seiner gerade badenden Freundin Gertrun G. (36) an den Hals, weil sie so lange badet und ihn beleidigt. Ingo P. beruhigt sich bei einigen Bier, Schnaps und Formel1-Rennen. Als Ingo P. Stunden später nach ihr sieht, findet er sie leblos in der Badewanne vor. Er zermürbt sich in Selbstvorwürfen, behält die Attacke gegen seine Freundin gegenüber der Polizei jedoch für sich. Am zweiten Tag der Hauptverhandlung nach zahlreichen weiteren Zeugenvernehmungen wird deutlich: die Aussagen des Angeklagten dürften stimmen.
Beitrag zum ersten Tag der Hauptverhandlung
Zum Urteil...

Klarer Fall, so schien es. Ein Mann verliert die Nerven, weil seine Partnerin so lange badet. Er erwürgt sie in blinder Wut in der Badewanne. Später will er von seiner Urheberschaft nichts mehr wissen. Gegenüber der Polizei spielt er den Ahnungslosen. Doch später in der Kneipe, im "Galaxi" in der Frankfurter Allee, gesteht er weinend einem Zechkumpanen: "Ich habe meine 'Gabi' umgebracht."

Sven R. (45) heißt der Mann, der mit Ingo P. die Trauer teilt. Er nimmt ihn mit nach Hause, zündet Kerzen an. "Ik hab noch mitgeheult mit dem Arsch", empört sich der Mann später vor Gericht. Das permanent schlechte Gewissen von Ingo P., dessen schweißnassen Hände und das Geständnis: Sven R. kommt das spanisch vor. Er geht zur Polizei.

Am zweiten Tag der Hauptverhandlung vermitteln die Vernehmungen von acht weiteren Zeugen jedoch ein konträres Bild. Die Aussagen dreier Rechtsmediziner ergeben: Es hat einen Angriff gegen den Hals der Verstorbenen Gertrun G. gegeben. Der ist allerdings nicht als minutenlanges Würgen zu verstehen.

Äußerliche Spuren einer Gewalteinwirkung gegen den Hals waren auch nicht auszumachen. Vielmehr ist denkbar, dass Gertrun G. bewusstlos wurde und in der Badewanne ertrank. Auch die bisher kritisch betrachtete Aussage von Ingo P., Gertrun G. kurz nach 20:00 reglos aufgefunden zu haben, wird von dem Gerichtsmediziner Klaus Vendura (47) indirekt bestätigt: "Es spricht nichts dagegen, dass sie um 20:15 gefunden wurde."

Und Dr. Sven Hartwig (31), der als Todesursache eine gewaltsame Halskompression für sehr wahrscheinlich hält, sagt in seinem Gutachten: "Es kommt auch ein Ertrinken nach dem Überleben des Angriffs gegen den Hals der Verstorbenen in Betracht." Es ist denkbar, dass Gertrun G., die Epileptikerin war, bewusstlos wurde und ertrank.

Für einen epileptischen Anfall gibt es jedoch keine Belege. Dr. Hartwig: "Das entzieht sich dem Nachweis. Und auch ein Status würde sich dem entziehen." Allerdings hatte Gertun G., so die Toxikologin Sieglinde Herre, rund 3,2 Promille Alkohol im Blut. Sie sagt: "Ihr Handlungsspielraum war stark eingeschränkt."

Nach den stark relativierenden Aussagen der Gutachter kamen zwei Kriminalbeamte zu Wort, die das soziale Umfeld der Partner Ingo P. und Gertrun G., sowie den Tatort in Augenschein genommen hatten. Darauf auch Sven R., den das merkwürdige Verhalten seines Zechkumpanen zur Polizei trieb sowie der ehemalige Partner von Gertrun G.

Nach all diesen Aussagen ergibt sich das Bild eines Paares, das schwer mit Alkoholproblemen zu kämpfen hatte. Gertrun G., seit 1996 wegen dieses Problems in Behandlung, verliert im März 2007 ihren Job als Altenpflegerin. Sie war auf Arbeit angetrunken mit einem Patienten stürzt.

Der jetzt angeklagte Ingo P., ansonsten ordentlich und zuverlässig, musste bereits drei Abmahnungen einstecken, weil er sich wiederholt, und so ja auch am 13. Mai 2007, seine Alkoholräusche auskuriert. Doch Ingo P. ist, so bestätigen die Zeugen, mit Gertrun G., die er "Gabi" nennt, gut umgegangen. Und auch seine Schwester notierte die gelegentlichen Zeichen von Eifersucht von Ingo P. als ein gutes Zeichen.

Gertrun G. wohnte sporadisch noch immer bei ihrem ehemaligen Partner Wladimir S. (36), der die gemeinsame, jetzt 15-jährige Tochter groß zog. Wladimir S. bestätigt den Raubbau, den die starke, 51 Kilogramm Körpergewicht aufbringende Raucherin an ihrem Körper betrieb: "Seit einem Jahr hat sie nicht mehr richtig gegessen." Unter starken Stimmungsschwankungen hätte sie gelitten. Sei mal depressiv, mal aggressiv herum gesessen und habe dann herumgepöbelt, ohne handgreiflich zu werden.

Nach Ermittlungen der Kriminalbeamten hatten Ingo P. und Gertrun G. beabsichtigt, gemeinsam bei derselben Ärztin ihre Alkoholprobleme in Angriff zu nehmen.

Nach Würdigung der Aussagen dieser Zeugen rückt nun eine Verurteilung des Angeklagten Ingo P. nach § 227 StGB, Körperverletzung mit Todesfolge, in den Vordergrund.

Am Montag, dem 12. November 2007, werden Plädoyers und Urteil erwartet.

Urteil vom 14.11.2007:
Nach Würdigung aller Beweismittel erkannte die 29. Große Strafkammer des Moabiter Kriminalgerichts Ingo P. schuldig der Körperverletzung mit Todesfolge und verurteilte ihn zu vier Jahren Haft mit der Auflage, sich einer Alkoholtherapie zu unterziehen.


NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Prozessbeteiligte vor dem Gerichtssaal: zwei Kriminalbeamte als Zeugen und Verwandte der Verstorbenen in der Nebenklage.

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