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aus dem moabiter kriminalgericht
Mord & Totschlag -
die Ehre vor dem Grab
von Barbara Keller
3. Februar 2004. Kriminalgericht Moabit. Im März 2001 waren sie stolze Männer aus Ex-Jugoslawien, die sich gezwungen fühlten, ihre Ehre zu verteidigen. Auf der Pankstraße in Wedding. Mit der Waffe. Drei Jahre später liegt einer von ihnen schon lange auf dem Friedhof, die anderen sitzen im Knast. Veljko V. wegen Mordes lebenslang, Dalibor R. wegen Beihilfe zum Mord fünf Jahre. Darko Z. hinterließ Freundin und fünfjährigen Sohn. Veljko V. erträgt den Gedanken an seine Schuld, den an eine lebenslange Haft, die Trennung von Freundin und dreijährigem Sohn nur mit Neuroleptika. Das sind die Früchte einer saftigen Männerfehde. 2004 sitzt Veljko V. mit seinem engagierten Anwalt Hubert Dreyling ein zweites Mal vor Gericht. In Revision.
Im November 2003 gab der Bundesgerichtshof dem Revisionsantrag Veljko V.'s statt. Aus Mord wurde Totschlag. Die 32. Große Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Hans Luther soll nur noch über das Strafmaß entscheiden.
Das Drama nimmt seinen Anfang im Café "Target" in der Pankstraße (Wedding), das Darko Z. seit 2000 führt. Er nimmt einen Kredit auf, den er im Frühjahr 2001 fast abbezahlt hat. Die Kundschaft ist überwiegend balkanstämmig. Mit Veljko V. als Gast hat Darko Z. wiederholt Probleme.
Veljko V. ist ein mittelgroßer, schmächtiger Mann mit kleinem Kopf, fliehendem Kinn, hoher Stirn und tief liegenden Augen. Er hat kurzes, dünnes Haar mit Geheimratsecken. 1991 kommt der gelernte Elektromonteur nach Deutschland. Er heiratet eine Deutsche, lebt dann mit einer Russin zusammen. Veljko V. schlägt sich mit Jobs auf dem Bau durch. Er wird als unsicherer Mensch mit depressiver Grundstruktur beschrieben. Unruhig und oft übellaunig. Selbst seine Freunde halten ihn für unberechenbar. Ohne abhängig zu sein betreibt Veljko V. Drogenmissbrauch: Alkohol, Haschisch, Kokain.
Darko Z. fühlt sich von Veljko V. bedroht. Später wird auch von angebahnter Schutzgelderpressung die Rede sein. Weil ihm die Kripo polizeiliche Schutzmaßnahmen nicht gewährt, legt sich der Wirt schließlich zum Zweck des Selbstschutzes eine Pistole zu. Die trägt er während der Arbeit gut sichtbar im Hosenbund. "Lieber die als ich", sagt er.
In der Frühlingsnacht vom 15. zum 16. März 2001 kommt es zum Show Down. Im "Target" ist große Party. Alba Berlin hat am Vortag gewonnen. Fans und Spieler des Clubs sind anwesend und der jugoslawische Konsul. Um 2:00 - es ist schon etwas ruhiger geworden im Lokal - taucht auch Veljko V. mit B. auf. Einem zwielichtigen Jugoslawen, der sich mit gefälschten rumänischen Papieren illegal in Deutschland aufhält und in den Niederlanden wegen Rauschgifthandels gesucht wird.
Eigentlich hat Veljko V. Hausverbot. Aber dann bekommen die Beiden doch ein Bier. Ein spitzer, aggressiver Wortwechsel und B.'s unschöne Geste, mit der er die Gläser vom Tresen wischt, leiten eine Schlägerei ein, bei der es zur Sache geht. Veljko V. und B. ziehen den Kürzeren. Kundschaft und Wirt werfen die Beiden hinaus. B. soll schwer verletzt sein. Darko Z. hat ihm den Schädel mit dem Griff seiner Pistole bearbeitet. Zudem schlug ein Gast auf B. mit einem Baseballschläger ein. Der Quasirumäne wird nicht wieder gesehen.
Veljko V. aber kommt wieder. Mit einer halbautomatischen Pistole, die er illegal besitzt und Dalibor R., den er aus dem Bett holt und der ihn fahren soll. Wie in einem guten Chandler-Krimi lauern die Beiden dem Wirt auf der Pankstraße mit ihrem Wagen auf. Als Darko Z. mit den Tageseinnahmen, zwei Frauen und einem Freund in ein Auto steigt, ziehen Veljko V. und Dalibor R. auf gleiche Höhe. Heute leugnet der Angeklagte, zuerst geschossen zu haben. Und Anwalt Hubert Dreyling verweist auf ballistische Untersuchungen, die seiner Meinung nach nicht gewürdigt wurden.
Fakt ist: es kam zu einer wütenden Schießerei. Dabei stirbt Darko Z. Dalibor R. und Veljko V., die von dem die Szene überholenden Streifenwagen gestellt wurden, erleiden mittelschwere Verletzungen.
Das Urteil "Lebenslang", das auf Mord steht, schließt der Bundesgerichtshof bei diesem Revisionsprozess aus. Ein Handeln aus Mordlust, Habgier oder sonstig niedrigen Beweggründen - die Voraussetzung für ein Urteil auf "Mord" - scheint ihm nicht nachweisbar. Der Bundesgerichtshof gibt das Urteil an das Berliner Landgericht mit der Vorlage "Totschlag" zurück. Verhandelt werden kann also nur noch das Strafmass. Zum Leidwesen des Strafverteidigers Hubert Dreyling, der den Prozess gern noch einmal aufrollen würde: "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der Schuldspruch zu Unrecht gefällt wurde."
Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Thorsten Neudeck, beantragt allerdings 13 Jahre Haft. Das Gericht bestätigt diesen Antrag bei der Urteilsverkündung. Die Auslese der Revision für den Angeklagten ist mager. Bei einer lebenslangen Haftstrafe hätte Veljko V. nach 15 Jahren eventuell frei kommen können. Das neue Urteil erspart ihm gerade einmal zwei Jahre Freiheitsentzug. Rechtsanwalt Hubert Dreyling, der eine einstellige Haftstrafe fordert, ist empört: "Es ist das schlimmste Urteil, das ich während meiner 30jährigen Berufspraxis gehört habe. Eine einzige Zumutung."
Selbstverständlich wird er noch einmal in Berufung gehen. Vielleicht aber ist Veljko V., der jammert, "ich will nach Jugoslawien", bis dahin auch schon in sein Heimatland abgeschoben. Was das für seine Haftverbüßung bedeutet. Hubert Dreyling: "Da wird er wohl die Hälfte absitzen." Wenn nicht, sieht man sich vor Gericht wieder. Auf Kosten der Landeskasse. Hubert Dreyling: "Der hat doch kein Geld."
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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