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aus dem moabiter kriminalgericht


Zirkusclown und bei Gelegenheit Dieb


von Barbara Keller

04.01 2007. Moabiter Kriminalgericht, 32. Gr. Strafkammer.
In einer Sommernacht 2006 zapft Zirkusartist Manuel S. (40) einem vor der Kanalstraße 134 geparkten LKW 120 Liter Dieselkraftstoff ab. Es ist ein Gelegenheitsklau, den der dreifache Familienvater in Begleitung seines 19-jährigen Sohnes begeht. Die Saison für den Familien-Zirkus S. ist lau, die Heizung für die Schlangen frisst trotzdem Diesel und der Tierschutz schläft nicht.

Wenn der Vorhang fällt, beginnt für die Wunderwelt Zirkus, die Backstage in schillernder Weise die Lage eines gesättigten (Arbeits-)Marktes spiegelt, der Alltag. "Immer nur lächeln" heißt es auch für die deutschlandweit rund 400 Wanderzirkusse, die sich auf immer enger werdendem Raum einer monopolisierten Unterhaltungsspielwiese drängen.

Futterbesorgungsprobleme, massive, die Zirkusexistenz bedrohende Tierschutzkampagnen gegen die traditionellen Wildtierattraktionen, Finanzierungsengpässe, ausbleibendes Publikum und last but not least der immer rarer und teurer werdende innerstädtische Raum machen den Zirkussen mit schmalem Portefeuille zu schaffen.

Da geht es dem Zirkus S. nicht anders als den anderen Kleinen. Im Sommer 2006 hat der kleine Familienzirkus einen saisonbedingten Engpass. Die guten Zeiten für einen Zirkus sind die Vor- und die Nachsaison. Dazwischen fahren Familien mit Kindern, die das Gros des Publikums stellen, gewöhnlich in Urlaub.

Doch die Schlangen in den Terrarien benötigen konstante Temperaturen, so will es der Tierschutz und auch die unbequemen Tierschützer. Und das Dieselöl, mit dem die Heizung betrieben wird, geht zur Neige. Da macht in der Sonntagnacht des 16. Juli 2006 die Gelegenheit, ein in der Kanalstraße abseits geparkter Lastkraftwagen, Diebe.

Manuel S., der gerade mit seinem Ältesten (19) vorbeikommt, und wie bei Zirkusmenschen, die von der Hand in den Mund leben, üblich, alles dabei hat, zapft eben mal schnell 120 Liter Dieselkraftstoff. Mit einem Schraubendreher hebelt er die Sicherung des Kanisters auf. Dann fließt der Diesel ganz von allein ins Diebsbehältnis.

Ein halbes Jahr später muss sich Manuel S. vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen besonders schweren Diebstahls verantworten. Nach § 243 StGB strafbar mit Freiheitsentzug bis zu zehn Jahren. Der Mann, der aufgeregt und viel zu früh, mutterseelenallein im Flur vor dem Gerichtssaal wartet, sieht alles andere aus als ein Straftäter. Als um 11:15 das Verfahren gegen ihn aufgerufen wird, erhebt sich der sichtlich besorgte Mann nervös.

"Es tut mir wirklich leid", sagt Manuel S. zu den Vorwürfen der Staatsanwältin. Eine junge Frau, die heute ihren ersten Auftritt als Anklagevertreterin hat. Befragt zu seinem Beruf erklärt der dreifache Familienvater, er sei Artist, Clown, Ansager, Bodenakrobat, Kartenabreißer. Zirkus S. sei ein Familienunternehmen. Auch Heuholen und Mistwegbringen gehöre zu seinem Job. Eben alles.

Dass Manuel S. gemeinsam mit seiner Verlobten von 300 bis 500 Euro monatlich den Lebensunterhalt bestreitet, geht der Richterin nicht ein. Manuel S. erklärt: "Wir essen bei meinem Vater. Alle aus einem Topf." Das ist die Welt der Sternchen hinter dem Vorhang. Eine Welt von acht Quadratmeter Wohnwagen, immer unterwegs, deshalb meistens unter sich, der Familie.

Der gebürtige Stuttgarter Manuel S. ist nicht vorbestraft und hat den Schaden bereits beglichen. Dass es zum Verfahren kam, bedauern alle Prozessbeteiligten. Aber die Strafanzeige ist nun einmal da und damit das öffentliche Interesse. Dass Manuel S. den Schraubverschluss aufhebeln 'musste', macht aus dem Gelegenheitsdelikt zudem einen besonders schweren Diebstahl.

Im Urteil heißt es schließlich: Geldstrafe von 90 Tagessätzen à fünf Euro, sprich 450 Euro, wegen besonders schweren Diebstahls. Manuel S. kann die Summe in Raten abbezahlen und wird sich hierüber mit der Vollstreckungsabteilung ins Benehmen setzen.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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angeklagt: Manuel S.
Zirkusartist Manuel S. zapfte aus Not und um den laufenden Heizbetrieb für die Schlangen zu gewährleisten nächtens 120 Liter Diesel von einem geparkten Lastkraft-
wagen.

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