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aus dem moabiter kriminalgericht


Intuitiv verkabelt: 240 Volt


von Barbara Keller

29. März 2006. Kriminalgericht Moabit, 29. gr. Strafkammer
Sonntag 11. Dezember 2005. Das hätte auch ins Auge gehen können. Als der völlig überarbeitete und übernächtigte Veranstaltungstechniker Jens M. (32) aus Furcht vor imaginären Einbrechern die Tür seines Musikstudios in Spandau/Hakenfelde unter Strom setzt, warten 240 todbringende Volt in der Türklinke auf schnelle Erdung. Die von ihm alarmierten Polizeibeamten vom Abschnitt 21 rasen mit Blaulicht zu Hilfe. - Nur ein Zufall verhindert, dass ein Mensch zu Schaden kommt.
zum Urteil ...


Es ist Sonntagmorgen. Ein einsames Industriegelände in der Parkstraße, Spandau Hakenfelde. Jens M. hat sich seit Donnerstag im Probenraum seiner Hobbyband gegenüber der Firma Kleinwächter eingebunkert. Am Montag wollen die Musiker Ergebnisse sehen. Mit Alkohol, Cannabis, vor allem mit Speed hält der penible Perfektionist sich wach.

"Sonntagmorgen ging's dann los", sagt Jens M. später. Er ist auf dem Weg zum Dixieclo, als er Geräusche in der Küche hört, "dass da rumgeschraubt wird", was mit einem Schneidbrenner gemacht wird und dass junge Ausländer das Studio belagern.

Mehrmals ruft er zwischen 10:10 und 10:43 den Notruf 110. Bittet einen Polizeiwagen in die Parkstraße, weil sich angeblich Beamte "bekriegen". Acht Polizisten gegen einen Polizeibeamten, sagt er. Aus der Schlägerei wird schließlich ein gedachter Einbruch in den Probenraum. Bei seinem letzten Anruf drängt Jens M.: "Bitte, bitte, bitte schnell. Es ist ernst. Ich muss das Fenster verrammeln!"

Als drei Funkstreifenwagen mit insgesamt sechs Polizeibeamten via Blaulicht den "Tatort" erreichen, winkt ihnen Jens M. zunächst hektisch aus dem Kellerfenster zu: "Sie müssen hinten rum, hinten!" Die Polizeibeamten finden die (Strom führende) Tür jedoch verschlossen. Und Jens M. reagiert nicht mehr auf den Zuruf der herbeigerufenen Helfer.

Noch einmal werfen die Polizeibeamten einen Blick in den Keller des Probenraums: "Hier ist die Polizei, mach die Tür auf!" Aber Jens M. reagiert nicht. "Als ob wir nicht da wären." Schummerlicht, dürftige Partybeleuchtung. Jens M. versteckte sich hinter einem Pfeiler, unter der Fensterbank, wuselte auf der Erde herum. "Als wenn man einen Gruselfilm guckt," so sei das gewesen, sagt die Polizistin Angela Z. (22) später vor Gericht.

Ihr Kollege Markus F. (24) ist es schließlich, der die Anderen warnt: "Achtung! Der spielt mit Stromkabeln!" Und dann geht alles plötzlich sehr schnell. Durch eine versteckte Tür dringen die Polizisten in den dunklen Probenraum vor. Ein Tritt gegen den Oberkörper, Jens M. geht zu Boden. Dann hört er eine weibliche Stimme: "Hört auf, der hat genug!" Erst als Jens M. die Umrisse eines Feuerwehrhelms über sich erkennt, weiß er, dass seine Helfer eingetroffen sind.

Am 29. März 2006 vor Gericht lautet die Anklage auf "versuchten Totschlag". Jens M., ein kleiner, schmächtiger Mann mit Pferdeschwanz, ganz in Schwarz gekleidet, ist geständig. Speed, Cannabis, ja. Und dann habe er sich aber gegen die Eindringlinge wehren wollen: "Ich habe intuitiv verkabelt. So, wie ich es auf der Bühne machen würde."

Zwei Gutachter sind als Zeugen geladen. Der Sachverständige Manfred Bohn (56), der zum physikalischen Aufbau dieser "intuitiven Verkabelung" sprechen soll. Und der psychologische Gutachter Prof. Dr. Robert Conrad. Manfred Bohn erklärt: Hätte der an der Tür rüttelnde Polizeibeamte auch das Treppengeländer oder das neben der Tür verlaufende, freie Wasserrohr berührt, dann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit tödlicher Folge.

Prof. Dr. Conrad dagegen führt Jens M.s vorübergehende psychotische Störung auf seinen anhaltenden Speedkonsum zurück und räumt ihm eingeschränkte Einsichtsfähigkeit und eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit ein. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält er nicht für opportun.

Das Gericht scheint nicht zufrieden. Cannabis, Alkohol. Jens M. wird zu seinen liebgewordenen Gewohnheiten zurückkehren. Dem Speed hat er zwar nach Aussage seines Rechtsanwaltes nun abgeschworen. Aber wer garantiert dafür?

Jens M., seit dem 12. Dezember 2005 inhaftiert, jedenfalls ist zuversichtlich: Er habe wieder Spaß am Leben. Es ginge auch ohne Alkohol und Drogen. Er spiele Schach, Skat und hat erkannt: "Auch im Knast gibt es jede Menge Spaß."

Urteil: Jens erhält eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen vorsätzlichen Vollrausches.


•zum ersten Prozesstag lesen Sie auch: Uta Falck, "Rumgewuselt wie im Gruselfilm"

NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Der Vater des Angeklagten während einer Verfahrenspause: "Der Junge sollte Montag was Vernünftiges abliefern. Da hat er sich mit Speed wach gehalten. Andere trinken Kaffee."


Polizeibeamte des Abschnitts 21. Beinahe wurde ihnen die von Jens M. mit Strom verkabelte Tür des Spandauer Musikstudios zum Verhängnis.


Nicht alle Prozesszuhörer fühlten sich in Form.

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