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krimirezensionen ab 2003

 

Alexander Stevens
"Aussage gegen Aussage"
Piper Verlag, 2020,

ISBN 978-3-492-22971-5
22,00 €

Trau, schau wem!

von Susanne Rüster


Ein Mensch steht vor dem Strafgericht. Die Anklage lautet auf schwere Verbrechen wie Vergewaltigung oder Tötung. Der Angeklagte bestreitet die Tat. Muss er gleichwohl ins Gefängnis, wenn es nur einen Belastungszeugen gibt, Aussage gegen Aussage steht? Heißt es nicht: Im Zweifel für den Angeklagten?

Der Autor Alexander Stevens ist Strafverteidiger und zudem aus dem TV bekannt ("Richter Alexander Hold"). Er beschreibt sieben reale Fälle aus dem Gerichtssaal, die - bis auf einen - im Bereich des Sexualstrafrechts und der Gewalt- beziehungsweise Tötungsdelikte angesiedelt sind. Bereits das Cover steht sinnbildlich für die widerstreitenden Aussagen, es zeigt den Autor vor einer Wand, die zur Hälfte weiß und zur Hälfte schwarz ist, verstärkt durch den – nicht immer zutreffenden - Untertitel "Urteil OHNE Beweise".

Drei repräsentative Fälle seien hier vorgestellt: "Tränen lügen nicht - oder?" Ein aufstrebender Politiker ist angeklagt, eine Praktikantin vergewaltigt zu haben. Oder war es doch einvernehmlicher Sex? Auf der einen Seite das schluchzende Opfer, auf der anderen Seite der um seine Reputation kämpfende Angeklagte, der einräumt, dass es zwar einen Kuss gegeben habe, aber nicht mehr. Kann er das Gericht davon überzeugen, dass die ehrgeizige Opferzeugin gelogen hat? Dass sie sich in dem von den Medien hochgeputschten Fall nicht als karrierebewusste Frau hat darstellen wollen, die sich einen Aufstieg über sexuelle Gefälligkeiten erhoffte? Der Autor spricht auch die Möglichkeit an, dass es bei Sexualdelikten öfter zu Falschaussagen kommt. Der Folgen des Prozesses sind für den Angeklagten tragisch. 

"Das Mords-Geständnis" Ein ruppiger Bauer verschwindet vom Hof, ohne dass zunächst seine Leiche gefunden wird. Im Zuge trickreicher polizeilicher Vernehmungen, bei denen sich die Ehefrau, die beiden Töchter und der Schwiegersohn wechselseitig beschuldigen und immer wieder neue, einander widersprechende Geschehensabläufe vorbringen, geben sie schließlich an, gemeinsam den betrunkenen Haustyrannen erschlagen, seine Leiche zerteilt und den Tieren zum Fraß vorgeworfen zu haben. Mit anwaltlicher Vertretung widerrufen die Beschuldigten ihr Geständnis und schweigen dann. Sie werden wegen Verdachts des gemeinschaftlich begangenen Mordes vor Gericht gestellt. Einzige Beweismittel sind die Aussagen der Polizeibeamten als "Zeugen vom Hörensagen". Der Ausgang des Falles sei nicht verraten.

"Nur zweier Zeugen Mund tut Wahrheit kund". Hier geht’s um einen aufgrund seines unverschämten und konfrontativen Verhandlungsstils in Justizkreisen verhassten Anwalt. Dieser legt als Verteidiger eines Drogendealers Revision zum Bundesgerichtshof ein, weil sich das Strafgericht angeblich nicht an die Absprache im Rahmen eines Deals gehalten habe. Die Richter und die Staatsanwältin bestreiten dies vehement. Schließlich landet der Anwalt selbst als Angeklagter vor Gericht. Der Ausgang des Prozesses ist überraschend.

Fazit:
Der Zeuge ist das unsicherste, unzuverlässigste und manchmal auch ungerechteste Beweismittel, das es gibt. Beherrschendes Thema des Buches ist die Aussagekraft und Glaubwürdigkeit von Aussagen. Wem schenkt man Glauben und warum? Welche Gründe kann jemand für eine Falschaussage haben? Welche Auswirkung kann sich daraus auf Täter oder Opfer ergeben? Wie verhält es sich mit dem Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten? Der Autor zeigt, wie Ermittlungsbeamte Aussagen in eine bestimmte Richtung lenken können und wie sich unser Gehirn und unsere Erinnerung manipulieren lässt. Themen wie Glaubwürdigkeit, Lügen, Beeinflussung, Voreingenommenheit, kindliche Zeugen, Suggestivfragen, stumme Sachbeweise, Zeugen vom Hörensagen, verbotene Vernehmungsmethoden, die freie Beweiswürdigung durch Richter werden behandelt.

Alexander Stevens stellt seine Fälle gut lesbar und nicht allzu juristisch dar, lässt hinter die Kulissen des Strafrechts und des Gerichtsalltags blicken, führt verschiedene Möglichkeiten des Verfahrensausganges an, sodass man mitraten kann. Wie würde ich urteilen? Teile ich die Einschätzung des Gerichts? Er erklärt die Beweislage und präsentiert das – manchmal überraschende - Ergebnis. Bei der Auswahl der Fälle hätte man sich neben den Tötungs- und Sexualdelikten etwas mehr Abwechslung gewünscht, auch wenn vor allem im Sexualstrafrecht typischerweise Aussage gegen Aussage steht. Auch hätte etwas mehr Straffung den meist 30-40 Seiten umfassenden Kapiteln gutgetan und Wiederholungen vermieden. Etwas einseitig verteilt der Autor Seitenhiebe gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht – nur nicht gegen die Strafverteidiger, die die Wahrheit ebensowenig gepachtet haben.

Insgesamt ein unterhaltsames Sachbuch mit interessant, spannend und detailreich dargestellten realen Fällen, das für den interessierten Laien und selbst für Strafrichter und Ermittler Lehrstoff und Anlass zur eigenen kritischen Hinterfragung bietet. Es handelt sich allerdings um außergewöhnliche Konstellationen und zum Teil um Fehlurteile, die unter Berücksichtigung des Schutzes des Angeklagten im deutschen Strafprozessrecht und der Entscheidung im Kollegialverfahren äußerst selten vorkommen.
Weitere Bücher von Alexander Stewens, in denen er von seinen Erfahrungen mit der deutschen Strafjustiz berichtet, sind "9 ½ perfekte Morde", "Verhängnisvolle Affairen", "Sex vor Gericht".



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