Dem schwedischen Autorenpaar
Maj Sjöwall und Per Wahlöö verdanke ich meine Bekanntschaft mit
Kriminalliteratur. Anfang der Achtziger las ich 'Die Tote
im Götakanal'. Ich war gebannt von dem intelligent,
logisch und solide gebauten Krimi um eine ermordete,
unbekannte Frau, deren Leiche aus dem Schlamm eines
Schleusenbeckens geborgen wird und deren Geschichte sich
in akribischen Ermittlungen nach und nach erhellt.
'Die Tote im Götakanal' war der erste
Roman einer Serie (Untertitel: 'Roman über ein
Verbrechen') von insgesamt zehn, in den Jahren 1965 – 1975
erschienenen Polizeikrimis um den schwedischen Kommissar
Martin Beck, die zu Welterfolgen wurden.
Maj Sjöwall und ihr Ehemann und Coautor
Per Wahlöö gelten als 'Eltern' oder auch 'Paten' des
modernen sozial- und gesellschaftskritischen
skandinavischen Kriminalromans. Am Vorbild der
Polizeikrimis des US-Amerikaners Ed McBain, teilweise von
Maj Wahlöö ins Schwedische übersetzt, ließen die Autoren
im Zyklus um Kommissar Martin Beck ihre kritische
Sichtweise auf verschiedene Institutionen und Strukturen
der schwedischen Gesellschaft erkennen.
Das war neu, denn damals dominierten in
der europäischen Kriminalliteratur fiktive Rätselkrimis
ohne Bezug zur Wirklichkeit. Die bekennenden Marxisten
Sjöwall und Wahlöö brachen mit dieser Tradition, blickten
genau hin, engagierten sich und schrieben über politische
und soziale Ungerechtigkeiten und menschliche Abgründe mit
kritischer Schärfe und großer Sprachkraft. Ihre spannenden
Kriminalgeschichten mit den sehr individuellen, lebendigen
Porträts von Menschen aller Schichten und in allen
Lebenslagen wirken auch heute kaum gealtert.
Zwölf Jahre schrieb das Autorenpaar an
den zehn Krimis um Kommissar Martin Beck, bis Per
Wahlöö 1975 im Alter von 49 Jahren an seiner
Krebserkrankung verstarb. Maj Sjöwall führte die Tradition
der Beck-Krimis nicht weiter fort; sie übersetzte bis ins
hohe Alter Kriminalliteratur, z.B. von Anne Holt und von
Robert B. Parker.
Sjöwall/Wahlöö haben weltweit bis heute
zahlreiche Nachfolger*innen. So führte der weltbekannte
Autor Henning Mankell mit seinem Polizisten aus Ystad Kurt
Wallander die Tradition des sozialkritischen Polizeikrimis
fort (Mankell über die Martin-Beck-Reihe: 'Eine der
Serien, die mich am meisten inspiriert hat. (...) Sie
verändert das Genre. Wer nach diesen Romanen Krimis
schreibt, ist auf die eine oder andere Weise von ihnen
inspiriert').
Die Bücher von Maj Sjöwall und Per
Wahlöö wurden in viele Sprachen übersetzt, für Kino und
Fernsehen verfilmt, als Hörspiele bearbeitet und gewannen
zahlreiche Preise (u.a. den Edgar-Allan-Poe-Preis für
'Alarm in Sköldgatan'). Der Rowohlt-Verlag hat vor einigen
Jahren alle zehn Bände der Beck-Reihe neu übersetzen
lassen und mit Vorworten bekannter Autoren der
Spannungsliteratur neu publiziert.
'Die Tote im Götakanal' habe ich nach etwa 35 Jahren
nochmals gelesen. Auch wenn sich die Realität stark
verändert hat
(damals telefonierte man unterwegs aus
Telefonzellen, es gab kaum Einwanderer und keine
Flüchtlinge, bei der Ein- und Ausreise wurde der Ausweis
verlangt) liest sich die sehr spannende Geschichte
um die Aufklärung eines Mordes an einer Frau, die niemand
vermisst, nach wie vor modern, leicht und flüssig und hat
kein bisschen Staub angesetzt.
Für die packende Darstellung eines
religiös motivierten Sexualmordes genügen den Autoren Maj
Sjöwall und Per Wahlöö wenige Worte: Der Anfang: Die
Leiche wurde am 8. Juli herausgezogen, am Nachmittag kurz
nach drei Uhr. Sie war einigermaßen unversehrt und konnte
noch nicht lange im Wasser gelegen haben. Dass man sie
überhaupt fand, war Zufall. Dass man sie so schnell fand,
war Glück und hätte die polizeilichen Ermittlungen
eigentlich begünstigen müssen.
Die ersten Ermittlungen: "Wir müssen
eine Obduktion beantragen", sagte der Arzt.
"Wurde sie erwürgt?"
"Glaube schon."
"Vergewaltigt?"
"Glaube schon." Der Arzt machte eine Pause. Dann sagte er:
"Und zwar ziemlich brutal."
Das war's. 'Viel Glück bei der Aufklärung', Kommissar
Martin Beck, ''lycka till!'
Die zehn Krimis um Kommissar Martin Beck von Maj Sjöwall
und Per Wahlöö:
(1965) Die Tote im Götakanal
(1966) Der Mann, der sich in Luft auflöste
(1967) Der Mann auf dem Balkon
(1968) Endstation für neun
(1969) Alarm in Sköldgatan
(1970) Und die Großen lässt man laufen
(1971) Das Ekel aus Säffle
(1972) Verschlossen und verriegelt
(1974) Der Polizistenmörder
(1975) Die Terroristen.