Die sogenannte 'Russenmafia' ist kein Gespenst und keine spinnerte Verschwörungstheorie. Laut russischem Innenministerium kontrolliert sie in Russland 40% der privaten, 60% der staatlichen Unternehmen und 50% der Banken. Von den 8.000 bekannten russischen, kriminellen Gruppierungen mit insgesamt 100.000 Mitgliedern bilden die 200 größten von ihnen internationale Melanges.
Die russischen Syndikate, die in den 30 Jahren am Busen Stalins gediehen, im Kampf gegen internierte Oppositionelle eine wichtige Rolle spielten, aber dann außer Kontrolle gerieten, halten längst nicht mehr die vereinbarte Abstinenz von der Politik. Die Hoffnung westlicher Experten liegt darin, dass sich, nach beendetem Verteilungskampf auf dem Boden der GUS-Staaten, das Geld 'ehrlich macht', sprich: der Exkriminelle im Smoking sich läutert wie weiland der Raubritter und das Problem von allein verschwindet.
'Russenmafia' im bayerischen Strafvollzug
In den Strafvollzugsanstalten wird diese Art der 'rosa Verbrechensbekämpfung' wohl eher nicht greifen. Bereits im Sommer 2003 machte das Phänomen des 'heiligen Abschtschak' in der Jugendhaftanstalt Hameln von sich reden. Ein System der Schutzgelderpressung zur Finanzierung des Drogenhandels innerhalb als auch außerhalb der Haftanstalt, etabliert durch russische Spätaussiedler.
Nachhaltiger machte der 'heilige Abschtschjak'
('святой Общак'), auch: die 'Gangsterkasse', im Dezember 2007 Schlagzeilen, als die Augsburger Staatsanwaltschaft gegen fünf Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Kaisheim, die ein solches System dort etabliert hatten, Anklage erhob. Zumal als bekannt wurde, dass die mafiosen Hierarchien sich überregionaler Couleur erfreute und die bundesweit verteilten Abschtschjak-Bosse dynamisch kooperierten.
Tegler Import
Hat der 'heilige Abschtschak', hat die 'Russenmafia', eine der härtesten Subkulturen, die der Knast kennt, nun auch Berlin erreicht? Befindet sich die Teilanstalt III der JVA Tegel fest in der Hand der 'Russenmafia' und verschließen die Belegschaft sowie die hiesigen Behörden die Augen vor diesem ernsten Problem? - Glaubt man den Opfern der jetzt Angeklagten: ja.
So soll eine mehrköpfige Gang unter der Ägide des kasachisch gebürtigen Eduard K., kurz 'Eddie', seit Dezember 2006 in der Teilanstalt III ihr Unwesen getrieben haben. Von täglichen Übergriffen, Gewalttätigkeiten ist die Rede, davon, dass Meldungen, Hilferufe der Betroffenen von den zuständigen Beamten ignoriert wurden. Ja, dass, nach Informationen dieses Magazins, Beamte das brutale Treiben nicht nur protegierten, sondern selbst die Opfer unter Druck setzten. Zuletzt um Aussagen der Zeugen in spe zu unterbinden.
'Ich habe nichts zu sagen'
Am ersten Tag der Hauptverhandlung kam es nach einer ermüdenden Antragsflut seitens der Verteidigung erst am Nachmittag und erst nachdem auch wirklich der letzte Medienvertreter resigniert das Feld geräumt hatte, zu einer ersten Zeugenaussage.
Wie zu erwarten gaben die Angeklagten, derzeit in Moabiter Untersuchungshaft, zu den Anklagevorwürfen keine Erklärung ab. Weder der bis zu seinem 20 Lebensjahr als Profiboxer aktive Eduard K. (31, 'Eddie'), noch der Elektriker Rolandas P. (25) oder der Traktorist Vaidas V. (33). Nur der Litauer Bauarbeiter Evaldas V. (28) erklärte auf Russisch: "Ich habe nichts zu sagen."
Schlag auf den Kopf
Schließlich begann der aus Frankfurt Oder gebürtige, wegen schwerer Brandstiftung einsitzende Nando T. (32) seine Zeugenaussage. Im Dezember 2006 hätte es angefangen, berichtet der untersetzte, muskulöse, mittelgroße Mann mit dem langen, dünnen, mittelblonden Rockerzopf. Da sei "Eddie" eines Tages in Begleitung eines anderen Häftlings in seiner Zelle erschienen und habe ihm, der sich gerade tätowieren ließ, mit der Faust grundlos auf den Schädel geschlagen. Mit einer Wucht, dass die Zähne knirschend aufeinanderkrachten.
Dann sei "Eddie" regelmäßig bei ihm aufgekreuzt. Er wollte Drogen, schlug, bedrohte ihn und bemerkte mit einigem Zynismus: "Ich will dich ja nicht schlagen." Und bekräftigte mit einigem Nachdruck: "Frag die anderen, frag Réne, was ich mit denen gemacht habe." Nando T. begann, sich vor "Eddie" zu verstecken, erstattete Meldung bei seinem Gruppenleiter. Doch der soll ihn nur, in Hinblick auf seine baldige Entlassung im Januar 2009, zur Zurückhaltung gemahnt und erklärt haben: "Lassen Sie sich doch einschließen."
'Melder' ohne Antwort
Die meisten Übergriffe der "Russen" fanden nach 18:00 statt. Da steht Flügel C bis 21:45 offen und die Häftlinge sind in der Regel sich selbst überlassen. Nando T. sagt: "Es ist äußerst selten, dass Beamte auf der Station sind." Es gäbe Zeiten, da seien ganze Flügel der Teilanstalt nicht besetzt.
Nando T. hat Panikattacken, seine wiederholten 'Melder' werden ignoriert. Er sagt: "Wenn man im Stich gelassen wird, beginnt man zu resignieren."
Nando T. sieht auch, wie "Eddie" mit seinem Gefolge bei anderen Mithäftlingen einkehrt und erlebt danach zitternde, vor Angst schlotternde Kollegen. "Kumpels", sagt Nando T. und betont: "Freundschaften, das gibt es in keinem Knast." Einmal will er durch den Türspalt gesehen haben, wie "Eddie" den Gefangenen Gerrit Sch. mit dem Messer bedrohte. Nein, eine Meldung machte er nicht: "Ich war nur darauf bedacht, meinen eigenen Arsch in Sicherheit zu bringen."
Aus Angst: monatelang Verschluss
Nando T. hätte sich gewünscht, dass er als Opfer oder die "Russen" verlegt worden wären. Doch dazu kommt es nicht. Schließlich lässt er sich einschließen. Bis zum 29. April dieses Jahres begnügt er sich aus Angst vor den "Russen" mit einem reduzierten Dasein unter 'Verschluss'. Was bedeutet, mehr als 23 Stunden am Tag dieselben Wände, kaltes Essen, zweimal die Woche Duschen, seltener Besuch.
Nando T. ist sich der Brisanz seiner Aussagen bewusst. Denn als "Anscheißer" hat man, wie er sagt, keine Schonung zu erwarten. Nando T. erklärt dem Vorsitzenden Richter Schwengers: "Entschuldigen Sie, wenn ich das so sagen: Als 'Anscheißer' ist man die 'Fotze' für alle. Man wird angespuckt, geschlagen, Müll wird in die Zelle gekippt. Jeder darf mal."
Das Urteil: Fast sechs Jahre Haft wegen versuchter raeuberischer Erpressung hiess es zuletzt insgesamt fuer die Angeklagten. Evalgas V. erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fuenf Monaten, Rolandas P. drei Jahre und drei Monate. Eduard K., auch Eddie genannt, kam dagegen mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Moanten davon.
"Schlag gegen spanische Russenmafia in Berlin", Spiegel, 21.6.08
"Führungsmitglied der Russenmafia in Berlin verhaftet",
Tagesspiegel 22.6.08