|
berlinkriminell.de
Gerichtsreportagen
Ein Buddelkasten als Grab (3)
7. - 10. Prozesstag
von Susanne
Rüster
Landgericht,
30. Strafkammer | 22.09.20
Die folgenden vier Prozesstage brachten mit dem
Geständnis des Angeklagten Pawel G. die entscheidende
Wende und mit Verhandlungstag Zehn das Urteil, das
erwartungsgemäß für den geständigen
Angeklagten milder ausfiel.
Weitere Berichte zu diesem Verfahren
...
Der siebente
Prozesstag gestaltet sich kurz. Pawel G. will
sich nun doch äußern, stellt seine Einlassung
jedoch erst für den nächsten Termin in Aussicht.
Die gelassen agierende Schwurgerichtskammer kommt dieser
kleinen Zumutung nach. - Das  'Highlight' dieser nur einstündigen
Verhandlung sind mehrere Rechnungsbelege (Bons) vom
Todestag. Sie sollen den Angeklagten als Alibi dienen.
Diese hatten erklärt, zum Tatzeitpunkt gegen 20 Uhr
in einem Supermarkt gewesen zu sein, um von ihnen
gesammelte Flaschen gegen neues Bier zu tauschen. Gegen 21
Uhr, nachdem der Zeuge Q. sie mit der Leiche im Schlafsack
erwischt, sind sie erneut in diesem Supermarkt. Da
läuft allerdings bereits der Polizeieinsatz.
Geständnis: Ich bin
verantwortlich
Der 8. Verhandlungstag
bringt die Wende. Nach dem bisherigen Prozessverlauf
erwartet man jetzt ein mühsames Indizien-Puzzle,
hält den die Mitschuld des bestreitenden, emotional
aufgewühlten Angeklagten Mariusz L. für dubios
und den äußerlich cool agierenden Pawel G.
für den Alleintäter. Es komm jedoch anders.
Pawel G. lässt seinen Verteidiger ein schriftliches
Geständnis verlesen.
Das Geständnis des Angeklagten Pawel G. klingt in
Stichpunkten etwas so: "Ich nannte sie Ina … Ich
bin verantwortlich für ihren Tod. Ich wollte Inas Tod
nicht. Ich kannte sie seit einiger Zeit. Wir wollten Sex
haben. Ich habe sie mit in die 'Basis' genommen. Ina und
ich haben geschmust. Ina hatte nur noch ihr T-Shirt an.
Plötzlich kam Mariusz rein, er war aufgebracht,
vielleicht war er neidisch. Ina verließ kurz den
Raum und Mariusz und ich prügelten uns. Dann kam Ina
wieder und Mariusz schlug auf sie ein. Ich wollte Ina erst
helfen, dann habe ich sie auch geschlagen. Warum,
weiß ich nicht mehr. Ich war betrunken. Ina atmete
noch als wir weggingen. Sie war tot, als wir
zurückkamen. Ich verpackte sie im Schlafsack von
Mariusz. Er hob das Grab im Buddelkasten aus. Ich zog die
Leiche im Schlafsack aus dem Schuppen und auf die
Straße. Es tut mir leid."
Alkoholabhängig und
schuldfähig
Die
forensisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr.
Seelig und Dr. Winterhalter halten die Angeklagten, deren
Lebensläufe sich ähneln, für
schuldfähig.
So wird Pawel G. zunächst Verwaltungsangestellter,
kündigt dann den Job, zieht 2004 aufs Land und
arbeitet als Gabelstaplerfahrer. Er heiratet 2009. Der
Absturz beginnt fünf Jahre später mit dem
Krebstod der Ehefrau, mit der er bislang keine Kinder hat.
Pawel G. beginnt, ernsthaft zu trinken, hält sich im
Trinkermilieu auf. In Berlin versucht er einen Neustart
als Schwarzarbeiter, scheitert jedoch an seiner
Alkoholsucht.
Vier Jahre nach dem Tod seiner Frau lebt Pawel G.
chronisch auf der Straße. Hier lernt er auch Mariusz
L. kennen. Die Beiden verstehen sich gut, verbringen den
Winter in der Garage eines Hofes in der Bergstraße,
Berlin Mitte. Mit dem Flaschensammeln verdienen die
Männer monatlich stattliche 200 Euro - 350
Euro.
Gutachter Dr. Seelig hält Pawel G. für nikotin-
und alkoholabhängig, aber nicht für schwer
psychisch krank. Pawel G. habe nach dem Tod der Ehefrau
die Kontrolle verloren, täglich zwei bis drei
Flaschen Wodka oder Wein und zehn Flaschen Bier
täglich getrunken. Am Tattag sei durchgehend
getrunken worden, um sich aufzuwärmen. Eine
Bewusstseinsstörung mit Aufhebung der
Schuldfähigkeit sei aufgrund der
Alkoholgewöhnung nicht anzunehmen. Der Angeklagte
habe zielstrebig gehandelt, die Leiche beiseite schaffen
wollen und erinnere sich an den Vorfall. Der Gutachter
rät eine Unterbringung in der Entzugsanstalt. Das
Problem seien jedoch die fehlenden Deutschkenntnisse.
Der Sachverständige Dr. Winterhalter hält den
anderen Angeklagten, Mariusz L., ebenfalls für
schuldfähig. Mariusz L. macht in Polen eine
Ausbildung als Facharbeiter für Elektroenergie. Er
hat drei bis vier oberflächliche Beziehungen zu
Frauen und trinkt seit er 18 Jahre alt ist. Mariusz L.
leidet an Asthma und an den Folgen eines Sturzes 2018 aus
10 m Höhe, einem Suizidversuch. Wegen epileptischer
Anfälle war er im Krankenhaus. Seit Sommer letzten
Jahres hält er sich in Deutschland auf und wurde kurz
darauf obdachlos.
Bei der polizeilichen Vernehmung zeigt Mariusz L. starke
Entzugssymptome: Zittern, Schwitzen, Würgereiz. Die
schwere Alkoholabhängigkeit wird in der U Haft
medikamentös behandelt. Seine
Blutalkoholkonzentration beträgt 5 Stunden nach dem
Aufgriff noch 2,24 Promille. Ein Vollrausch und
aufgehobene Schuldfähigkeit seien gleichwohl nicht
anzunehmen. Eine Maßregel mit dem Ziel des
Alkoholentzugs hält der Sachverständige wegen
fehlender Krankheitseinsicht und Bagatellisierungstendenz
nicht zielführend.
Die Plädoyers:
Zwischen Körperverletzung und Freispruch
Am neunten Tag
des Verfahrens geht es um die Plädoyers. Die
Staatsanwältin fordert sieben Jahre Haft wegen
Totschlags für beide Angeklagte. Mariusz L. und Pawel
G. seien gleichermaßen schuldig am Tod von Inese P.,
führt die Staatsanwältin in ihrem
überzeugenden Plädoyer aus. Sie rekapituliert
noch einmal die Fakten: Pawel G. will zunächst mit
Inese P. einvernehmlichen Geschlechtsverkehr
durchführen, schlägt dann aber mit dem
hinzukommenden Mariusz L. auf sie ein. Die Täter
brechen dem mit mehr als drei Promille alkoholisierten
Opfer das Nasenbein, schlagen zwei Schneidezähne aus
und fügen ihm erhebliche Verletzungen am Kehlkopf zu.
Inese P. atmet noch, als die beiden Männer die
Baracke verlassen. Damit nahmen sie 'bedingt
vorsätzlich' den Tod der Frau in Kauf, führt die
Staatsanwältin aus. Ob der Tod durch Ersticken
infolge Einatmung von Blut eingetreten sei oder durch
Gewaltanwendung gegen den Hals und reflektorische
Mechanismen bleibe unklar, sei aber unerheblich.
Zielstrebig packt Pawel G. nach ihrer Rückkehr die
Leiche in den Schlafsack von Mariusz L., während
dieser absprachegemäß die Grube im Sandkasten
aushebt. Soweit Mariusz L. bestreite, mit der Tötung
etwas zu tun zu haben, werde er überführt durch
die Spurenlage. Sein Blut wird im Raum, am Laken und an
der Wand, und auch an Oberschenkel und Hals der Leiche
gefunden. Blut der Toten auch auf seiner Kleidung und den
Schuhen. Die Verletzung an der rechten Hand zeige
eine für das Eindringen von fremdem Blut typische
Entzündung. - Soweit die Erklärungen der
Anklage.
Die Verteidigung versucht, die Anklagevorwürfe zu
mildern. Nach dem Geständnis sei zwar der Sachverhalt
klar, sagt der Verteidiger des Angeklagten Pawel G. Jedoch
habe er Inese P. nicht töten wollen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien bei einer
spontanen Tat aus großer Erregung die
Maßstäbe milder. Pawel G. sei lediglich wegen
Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen.
Die beiden Verteidiger des Mariusz L. bestreiten für
ihn den Tatvorwurf. Mit der Körperverletzung und dem
später eintretenden Tod habe er nichts zu tun. Seine
DNA an der Leiche stamme vom Puls fühlen, das an ihm
festgestellte Blut vom Einpacken der Leiche in seinen
Schlafsack. Seine Wunde an der Hand komme vom
Flaschensammeln und Hineintasten in Müllcontainer
ohne Handschuhe. Seine Schuhspuren am Grab beweisen nicht
das Ausheben der Grube. Kurz: Es gebe keinen Beweis
für seine Mitwirkung bei der Tat.
Zuletzt das Urteil
Die Schwurgerichtskammer
verurteilt am 10. Verhandlungstag beide Angeklagte wegen
gemeinschaftlich begangener Körperverletzung mit
Todesfolge (§ 227 Strafgesetzbuch). Der Angeklagte
Mariusz L. erhält eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren,
der Angeklagte Pawel G. eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren.
In der mündlichen Urteilsbegründung
schließt sich der Vorsitzende Richter zum Tathergang
im Wesentlichen der Staatsanwältin an. Die
Strafkammer teilt jedoch nicht die Würdigung des
Täterverhaltens als bedingten Tötungsvorsatz.
Nach der Rechtsprechung des BGH liege es zwar bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen
nahe, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne und
dass der Täter einen solchen Erfolg billigend in Kauf
nehme. Vorliegend hätten die Schläge jedoch
nicht eine äußerste Intensität erreicht.
Auch sei nicht ausgeschlossen, dass die Angeklagten beim
Verlassen der Baracke darauf vertraut hätten, der Tod
werde bei dem noch atmenden Opfer nicht eintreten.
Im Übrigen hält auch die Schwurgerichtskammer
Mariusz L. für mitverantwortlich für die Tat.
Seine widersprüchlichen Angaben habe er immer wieder
korrigiert und sei durch das Geständnis des Pawel G.
überführt. Die Tatbeteiligung zeige sich auch an
den DNA-Spuren am Opfer, im Raum und an der Kleidung des
Angeklagten Mariusz L., dessen Handverletzung ebenfalls
vom Einschlagen auf das Opfer zeuge.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte die
Strafkammer die aus den polnischen
Strafregisterauszüge ersichtlichen Freiheitsstrafen
für beide Angeklagte wegen Diebstahls, Bedrohung,
Gewaltanwendung. Pawel G. wird sein – wenn auch
spätes - Geständnis zu Gute gehalten, das zur
Tataufklärung beitrug. Seine Freiheitsstrafe sei
daher milder zu bemessen als diejenige für Mariusz
L., der seine Tatbeteiligung bis zuletzt bestritten
habe. Zu berücksichtigen sei ferner, dass beide
Angeklagte bereits ca. 7 Monate in Untersuchungshaft
gesessen hätten. Bezüglich der starken
Alkoholisierung sei jeweils von verminderter
Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Tat auszugehen
und die Strafe daher zu mindern (§§ 21, 49
StGB).
Eine Maßregel sei nicht angemessen, aufgrund der
fehlenden Deutschkenntnisse erscheine eine
Alkoholentzugs-Therapie nicht erfolgversprechend, zumal
Mariusz L. diese auch ablehne.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Verfasserin verlässt den Gerichtssaal mit
gemischten Gefühlen. Die Täter haben ihre Strafe
erhalten. Über ihre Vergangenheit und die
Tatumstände ist in akribischen Ermittlungen einiges
aufgedeckt worden. Nur das Vorleben des Opfers bleibt im
Dunkeln. Kam Inese P. allein nach Deutschland, hatte sie
Familie, Mann und Kinder? Gibt es niemand, der um sie
trauert?
* Foto:
JVA Moabit, u.a. U-Haft,
©Susanne Rüster
-> Susanne Rüster <-
Die Verfasserin war langjährig als Staatsanwältin
im Kriminalgericht Moabit tätig und ist Autorin u.a.
von Polizeiermittler-Krimis.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3

|
Anzeige
in eigener Sache:
|