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Gerichtsreportagen
Ein Buddelkasten als Grab (1)
1. - 2. Prozesstag
von Susanne
Rüster
Landgericht,
31.07.2020, 30. Strafkammer
Die Grube am Rand des Spielplatzes im
Heinrich-Zille-Park (Berlin-Mitte) war bereits ausgehoben.
Sie sollte der brutal getöteten Inese P. (53) als
Grab dienen. Bevor es jedoch dazu kam, wurde ihr Leichnam
gefunden. Er lag am Abend des 11. Februar
2020 quer des Gehwegs der Bergstraße (Berlin Mitte).
Zwei tatverdächtige, aus Polen gebürtige
Männer wurden noch am selben Abend verhaftet.
Ein Buddelkasten als Grab (2)
/ 3. - 6. Prozesstag...
Ein Buddelkasten als Grab (3)
/ 7. - 10. Prozesstag (Urteil)
Ein Buddelkasten als Grab (4)
/ Das ganze Verfahren (31.07. bis 22.09. 2020)
Anklage: Totschlag - 1. Verhandlungstag
Knapp 6 Monate nach der
Bluttat stehen Pawel G. (42, Ökonom) und Mariusz L.
(35, Energietechniker) – beide seit dem 11. Februar
2020 in Untersuchungshaft - vor Gericht. Die Anklage wirft
ihnen vor, 'gemeinschaftlich handelnd einen Menschen
getötet zu haben, ohne Mörder zu sein'. Sie
hätten die in einem Schuppen in der Bergstraße
hausende Inese P. so massiv geprügelt, dass die Frau
an den Verletzungen starb. Ein Totschläger wird mit
Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft, in
besonders schweren Fällen ist auf lebenslange
Freiheitsstrafe zu erkennen (§ 212
Strafgesetzbuch).
10 Verhandlungstage hat die 30. Große Strafkammer
für den Prozess eingeplant.
Gespannt darf man sein: Mariusz L. will am nächsten
Verhandlungstag aussagen, Pawel G. vielleicht.
2. Verhandlungstag
Seinen Feierabend am 11.
Februar 2020 hätte sich der Zeuge Qu., Designer von
Beruf, sicher anders vorgestellt, als fast über eine
Leiche zu stolpern. Mit gewählt sonorer Stimme
schildert der große, schlanke Mittvierziger seinen
unerwartet gruseligen Tagesabschluss: In der Einfahrt
eines Hauses in der Bergstraße habe ein Schlafsack
gelegen, der ihm 'gefüllt' vorkam. Daneben standen
zwei betrunkene Männer, die er anhand ihrer
abgetragenen Kleidung und ihres Pflegezustands als
Obdachlose einordnete. Der Zeuge forderte die Männer
auf, den Schlafsack zu öffnen, 'ob da ein Mensch drin
sei'. Die lallende Antwort in einer slawischen Sprache,
die der Zeuge als Aufforderung, abzuhauen, deutete,
ignorierte er.
Ein lädiertes Gesicht
Nachdem die Männer
den Schlafsack geöffnet hatten, erblickte der
Designer eine in ein Laken gewickelte Gestalt mit einem so
'lädierten Gesicht', dass er nicht wusste, ob es
einem Mann oder einer Frau gehörte. Während er
Polizei und Feuerwehr alarmierte, verschwanden die
Angeklagten im Park.
Herzdruckmassage bei einer Toten
Bewunderung verdient der
beherzte Versuch des Zeugen, die Gestalt im Schlafsack mit
einer Herzdruckmassage zum Leben zu erwecken. Nach einiger
Zeit erkannte er die Vergeblichkeit seines Tuns. Dem Opfer
lief bereits schwarz geronnenes Blut aus dem Mund.
Die Angeklagten schweigen im Termin
Mariusz L und Pawel G.
sagen kein einziges Wort. Das liegt nicht daran, dass sie
als einzige im Gerichtssaal einen Mund-Nasen-Schutz
tragen, sie könnten ihn abnehmen. Vermittelt durch
den Simultandolmetscher verfolgen sie - vorgeführt
aus der U-Haft - im abgetrennten verglasten Bereich die
Strafverhandlung. Der Angeklagte Pawel G. hat sich
offenbar entschlossen, Staatsanwaltschaft und Strafgericht
erst mal machen zu lassen und vertraut auf seine beiden
Verteidiger.
Für den Angeklagten Mariusz L. verliest sein
Verteidiger eine schriftliche Stellungnahme: Mit dem
gewaltsamen Tod der 53-jährigen Inese P. hat er rein
gar nichts zu tun. Helfen wollte er seinem Kumpel Pawel,
eine leblose Frau, die in sein Laken und seinen Schlafsack
eingewickelt war, in einer Grube auf dem Spielplatz zu
verstecken. Pawel hat die Leiche von der 'Basis' (eine von
beiden genutzte leer stehende Garage im Hinterhof in der
Bergstraße) weggebracht und durch die Hofeinfahrt
auf den Bürgersteig gezerrt. Er (Mariusz) hat den
Schlafsack geöffnet, um den Puls der Person zu
prüfen, aber keinen mehr gespürt. Zuvor hatten
beide getrunken und gestritten. Pawel hat eine Verletzung
am Handknöchel - woher bleibt offen.
Eine 'ruhige' Festnahme
Der Rest des
Verhandlungstags ist strafrichterliche Routine: Eine
Schutzpolizistin von der nahe gelegenen Wache (Abschnitt
55) sowie der Leiter der Mordkommission schildern den
Ablauf der Polizei-Maschinerie: Absichern des
Auffindungsorts, Spurensicherung, Errichtung eines Zeltes
wegen Regen. Derweil kamen die Angeklagten zurück,
vermutlich weil sie zu ihrer 'Basis' wollten. Die der
Schutzpolizistin vom Sehen bekannten Männer
hätten 'gut drauf' gewirkt. 'Die vertragen ja 'ne
Menge'. Nach der Beschreibung des Zeugen Qu. wurden beide
als mögliche Täter festgenommen. Sie seien seit
etwa drei Jahren in Berlin und gehörten – wie
auch das Opfer - zu einer Gruppe polnischer Obdachloser.
Ob der Fortgang des Prozesses auch eine Antwort darauf
gibt, wie Pawel G. und Mariusz L., die ihre Berufe mit
'Ökonom' und 'Energietechniker' angeben, so den Boden
unter den Füßen verlieren konnten, lässt
sich derzeit nicht absehen.
Ein 'Z' im Schuhprofil als Beweis?
Am 'Grab' im Buddelkasten
finden sich Schuhabriebspuren mit einem 'Z'. Nach den
Ermittlungen des kriminaltechnischen Instituts (KTI) soll
das Schuhwerk der Angeklagten ähnliche Merkmale
aufweisen. Näheres dazu und auch zu den Spuren am
Leichnam wird man vermutlich in den nächsten
Verhandlungstagen erfahren, in denen auch Bildmaterial
gezeigt werden soll.
Eine Tote, die niemand kennt
Das Vorleben der
getöteten Polin bleibt trotz
Ermittlungsbemühungen im Dunkeln. Inese P. habe
früher als Putzkraft gearbeitet und sich irgendwann
alkoholabhängig dem Obdachlosenmilieu angeschlossen.
Das ist alles. Gibt es jemand, der sie vermisst?
(Prozess-Termine: 28.08.2020, 09:00 Uhr,
02.09.2020, 09:00 Uhr, 04.09.2020, 09:00 Uhr ->
18.09.2020, 09:00 Uhr)
*Foto:
Die 'Basis', die die
polnisch gebürtigen Wohnungslosen wohl als
Unterschlupf nutzten.
© C. Rockenschuh
-> Susanne Rüster <-
Die Verfasserin war langjährig als Staatsanwältin
im Kriminalgericht Moabit tätig und ist Autorin u.a.
von Polizeiermittler-Krimis.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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