Die Angeklagten und ihre beiden
Verteidigerinnen scheinen wenig optimistisch, dafür
kämpferisch wie am ersten Tag. Der Angeklagte German
L. (29) trägt heute ein T-Shirt mit der Aufschrift
"Klassenkampf statt Weltkrieg!", die ein Schornstein
flankiert, aus dem sich eine Faust reckt.Der Mitangeklagte
Michael W. (39) hat erneut trotzig sein FDJ-Hemd mit dem
Emblem der
FDJ
angezogen. Auch an diesem Prozesstag führt
Amtsrichter Andreas Rische verhalten amüsiert das
Verfahren. Im vergangenen Jahr hatte er die beiden
Angeklagten den ihnen zur Last gelegten Taten für
schuldig befunden. Es sieht kaum danach aus, dass der
Amtsrichter seine Meinung geändert hat.
Das Wunderbare an der Demokratie
Auf dem Plan stehen heute zwei Zeugenaussagen, die
Plädoyers und das Urteil. Noch einmal schildert der
Direktor der Stiftung Berliner Mauer Prof. Dr. Axel Klausmeier, wie
sich die Dinge nach seiner Sicht zutrugen. Wie er im
Sommer 2012 nach der Andacht als Dritter aus der
Versöhnungskirche kam, die beiden Herren in
FDJ-Blusen und dem Transparent am Rande der
Feierlichkeit sah und dachte: "Naja, okay, stehen die
halt da."
Prof. Klausmeier hat kein Problem mit politischen
Meinungsäußerungen auf Demonstrationen. Er
sagt: "Das ist ja das Wunderbare an einer Demokratie."
Aber es sei doch auch alles eine 'Frage von Ort und
Zeit'. Als sich zwei Teilnehmer zum Schluss der
Veranstaltung über die beiden Störer
echauffieren, ein älterer Herr das Transparent
herunterzureißen sucht, schreitet Prof. Klausmeier
ein. Er bittet die anwesenden Ordnungshüter um
Hilfe, die den heute Angeklagten einen Platz in sicherer
Entfernung zuweisen.
Schwerter zu Pflugscharen vs.
FDJ
Akademiker Klausmeier, der in seiner Dissertation
einiges Prächtige über die schillernde Gestalt
des barocken Architekten
Thomas Ripley publiziert hat, erweist sich - und
da steht er nicht allein - nicht ganz sattelfest in
Sachen FDJ. Dass die Freie Deutsche Jugend bereits 1936
in Paris im Exil gegründet wurde und zu welchem
Zweck, ist ihm nicht bekannt. Klausmeier sagt: "Die FDJ
sollte Jugendliche auf das Regime der DDR vorbereiten."
Der Stiftungschef, der in Essen aufgewachsen ist,
engagierte sich 17-jährig selbst gegen die
Aufrüstung. Er trug, wie er sagt, das Symbol 'Schwerter zu Pflugscharen' und
war gegen Aufrüstung, also auch für den
Frieden.
Der Polizeibeamte D., ist am 13. August 2012
Einsatzleiter vor Ort. Er bestätigt als letzter
Zeuge des Verfahrens die relative Unaufgeregtheit der
Veranstalter um die Beiden Blauhemdenträger. Selbst
die Koordinatorin der Feier Iris Lanz hätte das
Auftreten der Männer als 'daneben' bezeichnet, aber
mit 'na gut' gehen lassen. Erst als es wegen der Empörung
eines älteren Herren, Mitglied eines
Opferverbandes, zu Rangeleien kam, sei man
eingeschritten.
Eine 'Sache von zehn Minuten'. Einsatzleiter D., aus
der DDR gebürtig und als Jugendlicher Mitglied der
1946 neu gegründeten FDJ, hält das Auftreten
der Angeklagten am 13. August 2012 als einen Fall der
'freien Meinungsäußerung'. Mit der
Koordinatorin Lanz geht er jedoch d'accord, die es als
'Geschmacklosigkeit' bezeichnet.
Sachverstand aus Frankfurt Oder
Rechtsanwältin Gabriele Heinecke für den
Angeklagten Micheal W., sieht nun offenbar bereits alle
Fälle wegschwimmen. Sie stellt einen letzten
Beweisantrag. Das Verbot der FDJ West aus 1951
'gehört auf den Müll', findet sie.
Außerdem sei in Sachen FDJ einiges an
Aufklärung nötig. Ihr Vorschlag: Prof. Dr. Alexander von Brünneck,
der an der Uni in Frankfurt Oder öffentliches
Recht, insbesondere Staatsrecht lehrt und als
anerkannter Fachmann gilt, soll als
Sachverständiger gehört werden.
Doch Richter Rische lehnt den Antrag rundweg mit
folgenden Worten ab: "Das Gutachten ist zur
Wahrheitsfindung nicht erforderlich." Als Verteidigerin
Heinecke Nerven zu zeigen beginnt, beschwichtigt der
Vorsitzende Richter: "Na, warten Sie's doch mal ab."
Verbote als demokratrische
Spielregeln
Die Plädoyers. Der Staatsanwalt beantragt in
seinem Vortrag jeweils 60 und 70 Tagessätze
à 20 Euro für die Angeklagten, die er der
Tatvorwürfe für schuldig befindet. Wenn die
verbotene FDJ West dasselbe Symbol verwende wie die laut
Vereinigungsvertrag legale FDJ Ost, dann stehe letzteres
im Zweifelsfall unter Verbot, meint der Kläger.
Eine Einstellung des Verfahrens käme trotz
'hochwertiger Motive' und Friedfertigkeit der
Angeklagten nicht in Betracht. Es fehle das
Einsichtsverhalten. Der Staatsanwalt konstatiert: "Das
Verbot ist nun einmal in der Welt. Als solches hat man
es zu beachten. Das sind die Spielregeln der
Demokratie."
Richter Rische überraschte mit seinem klaren
Urteil nicht nur den Staatsanwalt. Freispruch auf Kosten
der Landeskasse. Das Verhalten der Angeklagten
bezeichnete er als eine "Geschmacklosigkeit
ohnegleichen". Doch Geschmacklosigkeit sei nicht
justiziabel. Richter Rische ging mit Verteidigerin
Gabriele Heinecke d'accord, die für das Verhalten
ihres Mandanten Sozialadäquanz
angemahnt hatte. "Nicht einmal ansatzweise" sei den
Beteiligten "die FDJ West eingefallen". Mit den
FDJ-Blusen Ost bewegten sich die Angeklagten jedoch auf
dem Boden des Erlaubten.
Sozialadäquanz und letzte
Instanzen
Zuletzt bemerkte Amtsrichter Rische nebenher:
"Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn sich ein oberes
Gericht einmal damit beschäftigt. Eine letzte
Instanz." Ob es eventuell dazu kommen wird, entscheidet
der Kläger. Die Staatsanwaltschaft prüft
derzeit, ob sie Widerspruch gegen dieses Urteil einlegt.
*Foto, Prozessauftakt 2.4.2014
(v.l.n.r.):
German L. (29) und RÄin Anna Busl (Bonn)
Michael W. (39) und RÄin Gabriele Heinecke
(Hamburg)