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Gerichtsreportagen


Der besondere Fall: Aussage gegen Schweigen


von von Barbara Keller

28.02.2011, Moabiter Kriminalgericht, 11. Große Strafkammer
Die Beweisaufnahme ist geschlossen, die Plädoyers sind gehalten. Nach mehr als acht Monaten Verhandlungsdauer könnte das Urteil gegen Bernd L.-C. (61), der seine Frau im Winter 2010 in der gemeinsamen Weddinger Wohnung eingesperrt, bedroht, geschlagen und vergewaltigt haben soll, eigentlich heute vorliegen. Doch das Gericht wird das Urteil noch schriftlich vorbereiten müssen. "Damit es über den Bildschirm laufen kann", wie der Vorsitzende der Strafkammer, Richter Thomas Seifert, sagt. Denn der Angeklagte, Bernd L.-C. ist gehörlos. An allen Verhandlungstagen musste daher das Gesprochene für den Angeklagten visualisiert und synchron in großen Lettern auf einen Bildschirm buchstabiert werden.
weitere Berichte zum Verfahren...

Urteil vom 07.03.2012: Das Gericht verurteilte Bernd L.-C. wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie dazu, der Geschädigten 5.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.
Update (12.3.2012): Die Staatsanwaltschaft ging in Revision.

Aber die lange Verfahrensdauer ist nicht nur diesem Umstand geschuldet. Bernd L.-C., der sich von Beginn des Prozesses für unschuldig erklärte, lehnte, das ist Großteils ausgeschlossen: die Öffentlichkeitsein gutes Recht, eine Einlassung zu den Tatvorwürfen ab. Das Verfahren bestritt daher in weiten Zügen das mutmaßliche Opfer. Die Hauptzeugin und Noch-Gattin des Angeklagten.

Bevor das Gericht heute die Beweisaufnahme für geschlossen erklärte, verlas die Kammer den (nicht ganz) aktuellen Registerauszug des Angeklagten vom 23. März 2011. Bernd L.-C., der bereits wegen Vergewaltigung seiner ersten Ehefrau vorbelastet ist, erfreut sich demnach drei Eintragungen aus den Jahren 1995, 2005 sowie 2010. Darin geht es um Bedrohung, einen Verstoß gegen das Waffengesetz und fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr. Im Dezember 1995 kam Bernd L.-C., angeklagt wegen Nötigung und Körperverletzung, noch einmal mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren davon.

Die Staatsanwaltschaft forderte am heutigen Tag eine vierjährige Haftstrafe für Bernd L.-C., die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie Haftfortdauer. Noch einmal ließ die Anklagevertreterin das in Rede stehende Martyrium von Mereille L.-C. Revue passieren. Sie berichtete, wie das Ehepaar L.-C. an einem Abend im Winter 2010 vor dem Fernseher saß, um einen 'Tatort' zu sehen. Wie das Vergnügen bereits nach wenigen Minuten abbrach, mit einer, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, harmlosen Verständnisfrage von Mireille L.-C. an ihren Mann.

Wie man sich fühlt

Der Krimi startet in dieser Folge mit einer Frauenleiche an einem einsamen Strand in grober Ouvertüre. Mireille L.-C., die auf eine belastete, zehn Jahre währende Beziehung mit einem offenbar cholerischen Mann zurückblickt, soll Bernd L.-C. gefragt haben, wie man sich als Vergewaltiger denn fühle.

Die sich anschließende eisige Atmosphäre soll bis zum nächsten Morgen angehalten und sich dann in Gewaltausbrüchen des Angeklagten entladen haben. Mireille L.-C., die wohl nicht zuletzt wegen eines Krebserleidens depressiv erkrankt und daher schwerbeschädigt ist, berichtet von einem harschen Auftakt und der unfreundlichen Aufforderung des Angeklagten an sie: "Ich will ficken!"

Erzwungener Oralverkehr, Beleidigungen nach vergeblichen Mühen folgten, so die Zeugin. Als der Angeklagte seiner Frau in den Mund uriniert und sie ihn unvermittelt in den Penis beißt, drückt er ihr seine Zigarette auf dem Rücken aus. Mireille L.-C. soll seinen Urin vom Boden lecken, er schert ihr die Haare auf der linken Kopfseite ab. Denn sie sei seine Sklavin, sagt er. Er wolle sie in den Puff schicken. Bernd L.-C. droht seiner Frau, die Vagina aufzuschlitzen. "Ich will dich zerstören, aber nicht töten", droht er. Mireille L.-C kann dem Horrorszenerio entfliehen. Nachdem ihr Peiniger eingeschlafen ist, holt sie sich aus dessen Kleidern den Schlüssel.

Da war was passiert

Die Anklagevertreterin hält diesen Tathergang für erwiesen. Auch wenn Mireille L.-C. 'eine problematische Person' sei. Ihre Aussagen seien konsistent und glaubwürdig. Auch gebe es durchaus objektive Umstände, die dafür sprächen. Das Bettlaken im Schlafzimmer voller Urin, der Bartrasierer und die abgeschnittenen Haare des Opfers im Bad. Auf dem Bauch der Geschädigten war noch das "Ich..." lesbar, das zuvor "bin eine Votze" komplettiert haben soll. Polizeibeamten, die mit diesem Fall befasst waren, sagten einhellig aus: da war was passiert.

Der forensisch-psychiatrische Sachverständige Christian Winterhalter bescheinigte dem Angeklagten eine ausgeprägte narzistische Persönlichkeitsstörung. "Das konnten wir hier alle sehen", führte die Staatsanwältin aus. So soll Bernd C.-L. an einem Tag des Verfahrens mit einer roten Clownsnase erschienen sein und eine Wodkaflasche mit der Aufschrift 80 Prozent vor sich aufgestellt haben. Die Nebenklagevertreterin forderte für Mireille L.-C. in einem Adhäsionsantrag Schmerzensgeld in Höhe von 1.100 Euro, Verdienstausfall für die anhaltend Arbeitsunfähige sowie 'eine angemessene Freiheitsstrafe'. Ihre Mandantin habe unter erschwerten Bedingungen ihre Aussage machen müssen, ihr Leid und Antworten auf hochnotpeinliche Fragen praktisch Wort für Wort in den Computer diktieren müssen. Offenbar hatte man sich so an das Medium Großbildschirm gewöhnt, dass sich niemand Gedanken machten, auch die Beweisfotos in Anwesenheit von Mireille L.-C. über den Monitor laufen zu lassen. Darunter Aufnahmen der verletzten Geschädigten, auch aus dem Intimbereich, alles in Großaufnahme.

Aus dem Kaffeesatz

Rechtsanwältin Ria Halbritter beharrte auf einen Freispruch für ihren Mandanten. Mireille L.-C. sei die einzige Augenzeugin. Es stände Aussage gegen Schweigen. "Ich weiß auch nicht, wie es gewesen ist", so die Juristin, die sich in diesem Fall besonders als Frau sensibilisiert fühlt. Aber gerade deshalb müssten hier erhöhte Anforderungen gestellt werden. Sie forderte ein psychotraumatologisches Kausalitätsgutachten, dem sich das mutmaßliche Opfer jedoch hartnäckig verschließe.

Nach Ansicht der Strafrechtlerin könnte Mireille L.-C., die die Trennung von ihrem Mann anstrebte, um ihr Wohnrecht in der Eigentumswohnung gebangt und die Straftat deshalb vorgetäuscht haben. Rechtsanwältin Halbritter fragt sich, warum ihr Mandant erst Stunden später und nicht spontan, angesichts der heiklen Frage aus dem Anzug gegangen sein soll.

Hat sich Mireille L.-C. etwa die Verletzungen selbst beigebracht? "Ich weiß es auch nicht", sagt Verteidigerin Halbritter. Deshalb hat sie mit anerkannten Koryphäen über den Fall aus dem Nähkästchen geplaudert. Professor Dr. Markus Rothschild sandte die Verteidigerin die Unterlagen zum Verletzungsbild. Der fand den abrasierten Schädel der mutmaßlich Gepeinigten 'auffallend akkurat' abrasiert. Drei mögliche Verletzungen sollten dem Rechtsmediziner zufolge durch eine Rangelei entstanden sein. Eine solche, so Rechtsanwältin Halbritter, habe aber nicht stattgefunden. Der Sachverständige Dr. Alexander Böhle, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, gab über Opfer solcher Gewalttaten in den Raum: "Normalerweise wird eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt." "Wir haben aber keine posttraumatische Belastungsstörung", stellt Rechtsanwältin Halbritter fest.

Zuletzt ist, bevor sich das Gericht zu einer einwöchigen Bearbeitungspause zurückzieht, noch einmal Bernd L.-C. gefragt. Nach mehrmaliger, vergeblicher Ansprache durch den Vorsitzenden Richter lässt er wissen: "Ik schließe mich der Verteidigerin an." Richter Seifert fragt: "Ist das auch Ihr letztes Wort?" Der Angeklagte antwortet: "Ja."

Das Urteil wird am Mittwoch, dem 7. März 2012, um 9:00 im Saal B306 verkündet.





NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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