Anne-Katrin J. (22), geboren in Lübeck,
wohnhaft Wedding, hat an einem Tag Mitte Mai 2011
Geburtstag. Nachmittags ist sie mit einer Freundin und
einem jungen Mann aus Mölln (Schleswig-Holstein)
in einem einschlägigen Kaufmarkt unterwegs, um zu
Shoppen. Der Einkauf endet mit der Aufnahme der
Personalien durch einen Ladendetektiv und einer
Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten...
Anne-Katrin J. tritt am 12. Januar 2012 relativ
gelassen vor den Richtertisch. Die schlanke, blonde
Hotelfachfrau macht nicht den Eindruck, als habe sie
etwas zu verbergen. Laut Anklage soll sie ein
dreiviertel Jahr zuvor die Linse der Videokamera
verstellt haben, als ihr Freund Mark T. (23) zwei teure
Flaschen Parfüm für einen Gesamtpreis von
25,90 Euro in die Tasche steckte.
Doch Anne-Katrin J., die sofort einwilligt, sich zum
Sachverhalt einzulassen, sagt: "Ich habe nicht
mitbekommen, dass er irgend etwas macht." Sie hätte
zudem Geld dabei gehabt und das Parfüm auch kaufen
können. "Ich habe zu ihm gesagt, ob wir jetzt
losgehen können." Das sei in dem Moment gewesen, in
dem sie vorgeblich den Diebstahl mit ihrer Präsenz
verdeckt habe.
"Tja", erklärt dazu die Vorsitzende Richterin
lethargisch. "In welcher Beziehung stehen Sie denn zu
Mark T.?" Anne-Katrin J.: "Ich kenne ihn seit ich 13
bin." Sie sei ebenfalls in Schleswig aufgewachsen. Am
besagten Tattag sei man zu Dritt in dem Laden unterwegs
gewesen und planlos herumgestreift.
Mark T. hielt sich in der Parfüm-Abteilung auf. Er
machte Anne-Katrin J. auf ein Parfüm aufmerksam.
Offenbar wollte der junge Mann seiner Jugendfreundin ein
Geschenk machen. "Ich habe ihm gesagt, dass mir das
Parfüm gefällt", berichtet sie.
Dann sei alles sehr schnell gegangen. Plötzlich
habe der Security-Mitarbeiter vor ihnen gestanden. Mark
T. sei sofort geflüchtet. "Ich bin da geblieben.
Ich wusste ja nicht, was los war", erklärt die
Angeklagte der Richterin, die nicht sehr überzeugt
wirkt. Die Richterin erwidert: "Hier sieht es aber so
aus, als wenn Sie sich davor stellen." "Ja, das ist ja
da, als er mir die Flaschen zeigt."
Ohne die Aussage des Ladendetektivs kann das Gericht in
dieser Sache nicht auskommen. Deshalb wird der einzige
Zeuge dieser mutmaßlichen Straftat zu Rate
gezogen. Zunächst selbstbewusst und festen
Schrittes betritt Wolfram L. (48) den Saal. Doch dann
kann sich der Security-Mann leider kaum noch an etwas
erinnern. L. erklärt mit einem Blick auf
Anne-Katrin J. trocken: "Sagt mir gar nichts die Frau."
Über die Videokamera war Wolfram L., so berichtet
er, auf den Diebstahl aufmerksam geworden. Über die
Regale hinweg konnte er sehen, wie die jungen Leute
"sich locker im Laden bewegten". "Ich hatte den
Eindruck, dass sie sich davor gestellt hat, damit er die
Flaschen einstecken kann."
Von diesem Eindruck allein lässt sich jedoch kein
Urteil zu Lasten der Angeklagten fällen. Die
Richterin stellt, nachdem Wolfram L., den Saal verlassen
hat, in allseitigem Einvernehmen das Verfahren ein. Die
Angeklagte, Anne-Katrin J., bleibt auf diese Weise ohne
das besagte Geburtstagsgeschenk aber auch ohne einen
klaren Freispruch.