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Gerichtsreportagen


Prozess in großen Lettern


von von Barbara Keller

26.01.2012, Moabiter Kriminalgericht, 11. Große Strafkammer
"Schreiben Sie", fordert der Vorsitzende Richter den Gerichtsdiener auf. Er diktiert: "Der Angeklagte kann charmant sein." Auf dem Bildschirm des Computers bauen sich mit einiger Verzögerung die circa 20 Zentimeter großen, schwarzen Buchstaben auf. Sie sollen in radikaler Verschlankung die Aussage des sachverständigen Psychiaters für den gehörfreien Angeklagten sein. Der Rechtsanwalt des Angeklagten runzelt die Stirn.

Richter Thomas Seifert hat in dem bereits ein halbes Jahr dauernden Prozess einige Übung, Mut und gelegentliche Freude in der Verknappung von Inhalten gewonnen. Aber auch die beisitzenden Richter helfen mit, dem Zeitfraß entgegenzuwirken. "Schreiben Sie 'Nein'", fordert Richterin Blume den armen Mann an der Tastatur forsch auf, der gerade im Begriff steht, den ganzen Wortlaut einer umständlichen Erklärung in die Tasten zu drücken.

Bernd L.-C., der sich bislang weder zur Sache einließ noch an einer Exploration des psychatrischen Gutachters mitwirkte, nimmt den Aufwand um seine Person gelassen zur Kenntnis. Er hat ein medizinisches Gutachten beigebracht, das ihm Gehörlosigkeit bescheinigt. Da er wegen einer berufsbedingten Späterkrankung der Gebärdensprache nicht mächtig ist, muss das Gericht zu ungewöhnlichen Mitteln der Prozessführung greifen.

Das Verfahren neigt sich dem Ende zu. Bevor die Beweisaufnahme geschlossen und die Plädoyers gehalten werden, soll sich der forensisch-psychiatrische Sachverständige Christian Winterhalter ein letztes Mal den Fragen der Prozessbeteiligten stellen.

Wiederholt kommt die angenommene, 'schwere narzistische Persönlichkeitsstörung des Angeklagten zur Sprache, die ihm bereits anlässlich der Vorkommnisse der Jahre 1994/95 bescheinigt wurde. Bernd L.-C., so der Sachverständige, wuchs offenbar als 'Liebling der Mutter' und als 'Einzelgänger' heran.

Die Beziehung der Eheleute L.-C. hält der Gutachter für problematisch. Er befürchtet, sie könnte sich trotz all der inakzeptablen Zwischenfälle restaurieren. "Frau L. hat wohl Probleme, einen verständnisvollen Partner zu finden", sagt Winterhalter. Manche Menschen würden, so der Sachverständige, lieber mit Problemen leben, als alleine. Frau L., die ihm 'nicht ganz unauffälig schien', sei so ein Typ. Winterhalter schloss auch nicht aus, dass Bernd L.-C ein weiteres Mal eine solch ungute Bindung eingeht.

Am Schluss der Sitzung verliert der Angeklagte dann aber doch die Fassung. Als es um eine frühere Verurteilung wegen Vergewaltigung geht. "Ich habe alles verpatzt", soll Bernd L.-C. damals in seinem letzten Wort erklärt haben. Gutachter Christian Winterhalter glaubt, in der damaligen Haltung des Angeklagten eine Distanzierung von der Tat nicht erkennen zu können.

Der Angeklagte echauffiert sich. Aufgeregt redet Bernd L.-C. auf den Vorsitzenden Richter ein. Es kommt zu einem Wortwechsel auch mit seinem Rechtsbeistand, dem der taube Mann das Ohr leiht und offenbar mühelos einen schnellen Schlagabtausch bewältigt. Seltsam, möchte man meinen, für einen Mann, der sich wegen seiner Taubheit seit sechs Monaten jedes gesprochene Wort einzeln auf den Bildschirm buchstabieren lässt.

Das Verfahren wird am 15.2.2012 weitergeführt.
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NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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