Beide sind im April 2011 gerade einmal ein paar Monate in Berlin. Pilar Valadié, die die Metropole bereits von anderen Aufenthalten kennt, ist eigentlich
nur auf 'Durchreise'. Sie erhält ein schmales Salär in Form eines Stipendiums aus der Heimat. Eigentlich interessiert sie sich jedoch für Japan.
Freundliche Menschen
Die attraktive Frau aus Südwestfrankreich (Baskenland), am nächsten Mittwoch wäre sie 28 Jahre alt geworden, hat ihr Leben, so scheint es, komplett auf ihre Kunst fokussiert. Ihr Arbeitsmittel ist ihr Apple Netbook, das sie so gut wie immer bei sich führt und vor dem sie den Großteil ihrer Zeit konzentriert und rauchend verbringt. Wer sie kennt, nennt sie charmant, 'always, always very sweet and kind'.
Auch Oumar G. ist im April 2011 erst seit ein paar Monaten in Berlin. Und auch ihn beschreiben Bekannte und Freunde als 'guten', 'lieben Menschen', als freigebig. Oumar G. stammt aus einer wohlhabenden Familie aus dem Senegal. Er ist das Nesthäkchen und der Stern seines Vaters, der eine (landesüblich) polygame Ehe führt und über Landbesitz verfügt. Oumar G. ist gläubiger Muslim und besuchte als Junge allmorgendlich mit seinem Vater die Moschee.
Ein schwerer Autounfall wirft den 15-jährigen Senegalesen, der zwei Wochen im Koma liegt, aus der Bahn. Danach ist er, wie sein älterer Bruder Saliou sagt, nicht mehr derselbe. Er nässt jahrelang ein, ist vergesslich, beendet seinen Schulbesuch und lebt in den Tag hinein.
Über Kapverden nach Italien, nach Berlin
Mit vielleicht 19 oder 20 Jahren, leiht sich Oumar G. Geld von seinem Bruder Saliou und geht nach Kapverden, einer dem Senegal vorgelagerten Inselgruppe im Atlantik. Zeitweilig verdient er sein Geld als Tänzer im Tourismusbetrieb. Auf Kapverden lernt er auch seine spätere Frau, eine Italienerin aus Mailand, kennen.
Oumar G. löst die von seiner Mutter arrangierte Ehe in Dakar und geht mit seiner neuen Frau nach Mailand. Sechs Jahre arbeitet und lebt Oumar G. in Italien. Aber weder kann er mit den Italienern warm werden, die er für rassistisch hält, noch die Familie seiner Angetrauten mit ihm. Schließlich trennt er sich von seiner Frau. Oumar G. verlässt sie und seine inzwischen vierjährige Tochter.
Leben am Spätkauf in Kreuzberg
Sein Bruder Saliou, der in Belgien lebt und arbeitet, schickt ihm Geld, damit er vorerst bei ihm wohnt. Doch anstatt die Einladung anzunehmen, strandet Oumar G. in Berlin. Genau genommen: in der Schlesischen Straße in Kreuzberg. Hier bringt er seine Tage als Kiez- und Nachterscheinung und als Drogendealer an einem Spätkauf hin.
Oumar G. lebt ohne festen Wohnsitz und avanciert, täglich zufrieden zugedröhnt mit Bier, Wodka, Speed und Marihuana, zu 'jedermanns Liebling'. Was er verdient, das können nach seinen Angaben mehrere Hundert Euro die Nacht sein, gibt er freimütig wieder aus oder verspielt es. In der Nacht vom 17. zum 18. April 2011 gegen 3:00 fragt Pilar Valadié bei Oumar G. wegen Kokain nach. Tags darauf wird sie tot aus dem Kanal geborgen. ('berlinkriminell.de' berichtete)
Normaler Konflikt im Drogenmilieu
Am heutigen Tag verurteilte die 40. Große Strafkammer des Berliner Landgerichts Oumar G. wegen Totschlags, Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten.
In der Urteilsbegründung hieß es, die Strafkammer folge in großen Zügen den Ausführungen des Angeklagten in seinem Geständnis vom 3. Januar 2012. Danach soll Pilar Valadié in besagter Nacht die 50 Euro für das Amphetamingemisch, fünf Gramm Speed, verweigert und Oumar G. stattdessen Sex angeboten haben. Dem Gericht schien diese Version des Geschehens für wahrscheinlich, nachdem zwei Zeugen, Freunde der Getöteten ausgesagt hatten, in der Tatnacht mit dem Opfer unterwegs gewesen zu sein. Pilar Valadié habe, so die beiden Männer, kein Geld mit sich geführt. (Die Aussagen dieser Zeugen war während des Verfahrens bislang nicht eingeführt worden.)
Pilar Valadié, so der Vorsitzende Richter Ralf Fischer, sei sicher keine 'prüde und keusche Frau gewesen'. Sie hätte ihren Körper in ihrer Kunst bewusst eingesetzt. Es sei vorstellbar, dass Valadié 'Sex als pragmatisches Mittel einsetzte'. Erleichtert vielleicht dadurch, dass sie aktuell keinen Freund hatte.
Das Gericht hielt es für wahrscheinlich, dass, wie von dem Angeklagten ausgesagt, Valadié bereits in der Nacht vom Sonntag zum Montag getötet wurde. Denn sie soll ihr Handy am Abend des 17. April ein letztes Mal benutzt haben. Das, obwohl sie täglich mit ihrem Smartphone und zwar mehrmals ins Netz ging.
Zehn Messerstiche
Allerdings folgte die Strafkammer nicht der von dem Angeklagten geschilderten Notwehrsituation. "Oumar G. hatte keinen Grund, sich vor Pilar Valadié zu ängstigen", so Richter Fischer. Der Angeklagte sei vielmehr wütend gewesen darüber, dass die junge Frau ohne zu zahlen türmen wollte und ihn nun auch noch mit dem Messer, das er möglicherweise für zahlungsunwillige Kunden bereithielt, bedrohte. Er entwandt, so der Richter, Pilar Valadié das Messer.
Wenn Oumar G. es nun dabei hätte bewenden lassen, wäre es bei einer 'ganz normalen Auseinandersetzung im Drogenmilieu geblieben'. "Aber Sie ließen Ihrer Wut freien Lauf", warf Richter Fischer dem Angeklagten vor. Zehn Messerstiche, die meisten mit großer Wut geführt, trafen Pilar Valadié. "Sie brach zusammen und verblutete."
Da die zu einer Verurteilung wegen Mordes erforderlichen Mordmerkmale im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden konnten, kam nur eine Bestrafung wegen Totschlags in Betracht. Mildernd wurde berücksichtigt, dass Oumar G. bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung trat und eine zur Tatzeit durch den Genuss von Drogen und Alkohol verminderte Schuldfähigkeit.
Oumar G., der bis zum heutigen Tag vielleicht geglaubt hatte, mit einem blauen Auge davonzukommen, zeigte sich am Tag der Urteilsverkündung weniger glücklich und der Autorin wütend den Mittelfinger. Oumar G. hat jetzt eine Woche Zeit, gegen das Urteil Revision einzulegen. Die Staatsanwaltschaft wird offenbar kein Rechtsmittels einlegen. Staatsanwalt Reinhard Albers erklärte: "Die Urteilsbegründung der Strafkammer ist schlüssig."
*Foto oben:
Oumar G. vor der Urteilsverkündung