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Gerichtsreportagen


"Ich sah Blut, Blut, Blut!"


von von Barbara Keller

20.12.2011, Moabiter Kriminalgericht, 40. Große Strafkammer
Erneute Wendung im Prozess um den Mordfall Pilar Valadié (27). Oumar G. (29), der sich bisher für unschuldig erklärte, verstrickte sich in heikle Widersprüche. Der Angeklagte stellte für den nächsten Prozesstermin eine weitere Einlassung in Aussicht…
Prozessauftakt 22.11.201 / Hauptseite...


Bislang hat Oumar G. die Tatvorwürfe vehement bestritten. Nach seiner Einlassung vom 9. Dezember soll ein 'kräftiger' Mann mittleren Alters mit halblangen Rastahaaren namens 'Joe' der Täter sein. Der Angeklagte will dem 'großen Unbekannten' den Schlüssel zur Taborstraße für ein Schäferstündchen mit Pilar Valadié ausgehändigt haben.

Als Oumar G. dann später die Leiche der französischen Künstlerin fand, sei er erschüttert gewesen. Er habe 'Joe' gesucht, um ihn zur Rede zu stellen. Weil er seinem Vermieter den Anblick der Getöteten nicht zumuten wollen, so der Angeklagte, habe er die Tote 'weggeworfen'.

"Es ist so, wie ich es Ihnen gesagt habe"

Am 20. Dezember 2011 verstrickt sich der Angeklagte, der sich erneut der Befragung durch das Gericht zu stellen hat, in eklatante Widersprüche. So sehr, dass der Vorsitzende Richter Ralf Fischer den Angeklagten schließlich fragt: "Wollen Sie mir nicht erzählen, wie es wirklich war?" Aber Oumar G. echauffiert sich: "Es ist so, wie ich es Ihnen gesagt habe... Es war Montagmorgen. Dienstagnacht habe ich sie weggeworfen."

Noch einmal hört das Gericht die Aussage der Zeugin Marta Z. (36). Die als Tresenfrau im 'Madame Claude' beschäftigte Zeugin, hatte bereits am 23. November bezeugt, die später Getötete in der Nacht vom 18. zum 19. April 2011 gesehen zu haben. Also in jener Nacht, in der Pilar Valadié nach Aussage des Angeklagten bereits seit einem Tag tot gewesen sein soll. Ein weiterer Zeuge bestätigte, dass Marta Z. an diesem Tag den Tresen auch bediente.

"Was soll ich noch sagen", sucht Oumar G. vergeblich die Bitte des Vorsitzenden Richters nach einer weiteren Befragung abzuwehren. Richter Fischer insistiert: "Sie haben ausgesagt, Pilar Valadié am Morgen des 18. April tot in der Taborstraße gefunden zu haben. Sie haben die Zeugin gehört. Sie war sich sicher, Pilar Valadié noch am Abend des 18. April lebend gesehen zu haben. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?" Oumar G. entgegnet: "Ja."

"Ich erinnere mich nicht"

Darauf beginnt der Vorsitzende Richter mit seiner hochnotpeinlichen Befragung. Wie er, Oumar G., 'Joe' und Pilar Valadié in die Taborstraße begleitet haben will. Wer, wann, was sagte, tat oder unterließ. Dabei blieben die Aussagen des Angeklagten seltsam konturlos blass. Wiederholt weicht Oumar G. aus: "Ich erinnere mich nicht."

"Wie fanden Sie die Frau?" dringt der Richter in den Angeklagten. "Lag sie auf dem Rücken, wo lagen die Beine?" "Haben Sie die Leiche berührt?" Oumar G.: "Ich habe sie mit dem Fuß berührt." "Sie haben sie (Dienstagabend, A. d. R.) in Mülltüten verpackt und weggebracht?" "Sí." "Sie haben Sie ausgezogen." "Sí." Fischer: "Einzelheiten. Womit haben Sie angefangen?"

Mit der Frage "Wie haben Sie sie bewegt?" leitet Richter Fischer das fatale Ende der prekären Befragung ein. "Wie jemand der schläft und den zieht man dann aus." Der Richter hakt nach: "So schlaff und beweglich, wie jemand, der schläft?" "Ja, so schlaff war das."

"Ihre Geschichte kann nicht stimmen"

Weitere 20 Minuten später fragt der Richter: "Warum haben Sie die Leiche ausgezogen? Ich hab's nicht verstanden." Der Angeklagte erwidert: "Ich weiß es auch nicht." Richter Fischer: "Nach einem Tag müsste das Blut doch schon getrocknet gewesen sein." Oumar G. erregt: "Ich habe Blut, Blut, Blut gesehen!" Und dann lässt Richter Fischer die Katze aus dem Sack: "Die größte Schwierigkeit bei Ihrer Geschichte ist, dass Montagnacht die Leichenstarre voll ausgeprägt und alles steif und fest war. Sie bestand noch, als die Leiche gefunden wurde. Ihre Geschichte kann nicht stimmen." Doch Oumar G. ist zunächst nicht zu erschüttern: "Es ist so, wie ich es Ihnen gesagt habe... Es war Montagmorgen. Dienstagnacht habe ich sie weggeworfen."

Der psychiatrisch forensische Kommentar

Zuletzt ist an diesem Tag der Hauptverhandlung die psychiatrische Sachverständige Dr. Cornelia Mikolaiczyk zu hören. Nach zwei mehrstündigen Explorationen des Angeklagten glaubt die Gutachterin weder eine generelle, noch zur Tatzeit forensisch relevante seelische Störung an Oumar G. wahrzunehmen. Auch in dem von dem Angeklagten für sich reklamierten Alkoholkonsum kann sie offenbar keine eingeschränkte Handlungsfähigkeit zur Tatzeit erkennen. Ohne dem Angeklagten ein Drogenproblem generell absprechen zu wollen.

Nach einer kurzen Beratungspause, die Rechtsanwalt Akin Hizarci zur Verständigung mit seinem Mandanten benötigt, stellt Oumar G. schließlich eine weitere Einlassung zur Tat für den nächsten Verhandlungstermin in Aussicht.

Das erste Mal seit Beginn des Prozesses vor einem Monat wohnt auch die Mutter der Getöteten der Verhandlung bei. Eine kleine, mädchenhafte, sportlich gekleidete Person, deren festes, langes Haar mit einem Seidenband zu einem Seitenzopf gebunden ist. Als sie als Nebenklägerin dem Angeklagten Vis-à-vis in rund fünf Metern Entfernung Platz nimmt, spiegeln ihre Gesichtszüge ein bewegtes Gefühlspotpourri wider. In schneller Folge wetterleuchten Abscheu, Wut, Neugier, Trauer und Entsetzen über ihr Gesicht. Dann folgt sie scheinbar unbewegt der Verhandlung.

Die Hauptverhandlung wird am 3. Januar 2011, 9:15, Saal 704 fortgesetzt.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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