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Gerichtsreportagen


Eine grässliche Entgleisung - Prozess gegen Torben P. und Nico A.


von von Barbara Keller

18.9.2011, 39. Große Strafkammer, Landgericht Berlin
Am gestrigen Tag verkündete die 39. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Uwe Nötzel das Urteil gegen Torben P. (18) und Nico A. (19), die in der Nacht zum Ostersamstag dieses Jahres auf dem Bahnhof der U6, Friedrichstraße herumrandalierten und -pöbelten. Die beiden Gymnasiasten hatten nach einer Geburtstagsparty am Halleschen Tor auf dem Heimweg noch Zerstreuung an der Sexmeile Oranienburger Straße suchen wollen. Die angetrunkenen, aggressiv gestimmten Männer trafen auf Markus Pi. (30), den Sie provozierten und dem Torben P., nach einer Konfrontation und nachdem er ihn mit einer knapp halb gefüllten Plastikflasche zu Boden geschlagen hatte, mehrfach auf den Kopf trat. Die Tat wurde von fünf Videokameras, installiert auf dem Bahnsteig, umfassend dokumentiert...
Bericht vom 17.9.2011...
Update 5.4.2012: Das Urteil ist rechtskräftig. Der BGH verwarf die Revision des Angeklagten.
(hierzu MoPo vom 5.4.2012)

Blass, mit regloser Miene nahmen Torben P. und Nico A. am gestrigen Tag das Urteil entgegen. Beide, wie an jedem Verhandlungstag, in Konfirmandenkluft. Hemdsärmelig, die Hände vor dem Schoß gefaltet, sackte der 1,99 Meter große Torben P. sichtlich in sich zusammen, als Richter Nötzel das Urteil verkündete. Torben P. + Nico A.Eine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung.

Keiner will ins Gefängnis

Also keine Bewährungsstrafe, wie Verteidiger Alexander Sättele für seinen Mandanten beantragte und Torben P. erhoffte. Der hatte in seinem letzten Wort erklärt: Richter Uwe Nötzel"Ich verdiene eine Strafe. Aber keiner will ins Gefängnis. Ich auch nicht."

Nico A., der, wie Richter Nötzel ausführte, "die fatale Entscheidung getroffen" und "den provozierenden Kontakt zu Markus Pi. hergestellt" hatte, kam, verurteilt wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, Nötigung sowie unterlassener Hilfeleistung, erstaunlich glimpflich davon mit einer Geldstrafe von 250 Euro, zahlbar innerhalb von sechs Monaten und der Auflage, binnen der nächsten drei Monate einen großen Erste-Hilfe-Kurs zu absolvieren. Die Kammer verzichtete darauf, Nico A. wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu verordnen. Die Kammer sah, trotzdem der 19-Jährige bereits in Sachen Sachbeschädigung in Erscheinung getreten ist, "keinen großen Erziehungsbedarf". Sie erkannte weder schädliche Neigungen bei Nico A. noch eine Beteiligung an der Tat gegen Markus Pi. Von Nico A., der in der Tatnacht dem Helfer des Opfers auf den Rücken gesprungen war und ihn zu Boden brachte, um seinem Freund und sich die Flucht zu ermöglichen, war daher kaum noch die Rede in den anderthalb Stunden währenden Ausführungen des Vorsitzenden Richters.

Mein Herz raste

Der Hauptangeklagte Torben P. hatte sich geständig zu der weitgehend Video dokumentierten Tat eingelassen, bis zuletzt aber vorgegeben, das Kerngeschehen der Tat sei ihm entfallen. Vielmehr erinnere er sich an ein dumpfes Gefühl der Angst, ein Gefühl, sich verteidigen zu müssen. In seiner Einlassung sagte er: "Mein Herz raste, mein Körper fühlte sich sehr schwer an." Oberstaatsanwalt Rudolf HausmannEinen klaren Gedanken habe er nicht fassen können.

Allerdings traf Torben P. in der Tatnacht nach erfolgreicher Flucht am S-Bahnhof Gesundbrunnen eine Freundin, der er seine Gewalttat schilderte und auch gestisch nachstellte. Die Zeugin berichtete, dass sie Torben P. weinend auf einer Bank am Gesundbrunnen angetroffen, ihn angesprochen habe. Dann seien sie auf einen Spielplatz gegangen, wo Torben P. ihr alles erzählt habe. Später relativierte die Zeugin ihre Aussage, die, wie sie nun sagte, unter dem Eindruck des von der Polizei veröffentlichten Videos stand. Richter Nötzel führte in der Urteilsbegründung zu der partiellen Amnesie des Angeklagten aus: "Was uns alle interessiert, wurde ausgespart." An der erklärten Erinnerungslücke hege die Kammer "erhebliche Zweifel".

Betrunken wie noch nie

Zu seinem Alkoholkonsum zum Zeitpunkt der Tat machte Torben P. recht widersprüchliche Angaben. Er sei "betrunken, wie noch nie in seinem Leben" gewesen. Gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen Cornelia Mikolaiczyk hatte Torben P. eine derart große Menge Alkohol angegeben, dass diese in ihrem Gutachten vor Gericht erklärte: "Dann wären Sie heute tot."

Das psychiatrische Sachverständige Cornelia MikolaiczykGericht räumte nichtsdestotrotz beiden Angeklagten eine "erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit" ein. Einen Grund zur Annahme eines Vollrausches sah es jedoch nicht. Die 39. Große Strafkammer, so Richter Nötzel, hätte auch geprüft, ob es sich bei der Tat gegen Markus Pi. um einen "versuchten Mord" handelt. Sie hätte jedoch diese Annahme verworfen, da die hierzu notwendige Erfüllung der Mordmerkmale fehle.

Auch bei Torben P. erkannte die Strafkammer weder 'schädliche Neigungen', noch eine psychopathologische Struktur der Persönlichkeit. Der Gymnasiast, der gemeinsam mit seiner älteren Schwester mit einer depressiven Mutter und einem früh an Parkinson erkrankten Vater aufwuchs, zeige bei "unauffälliger Sozialisation ein auffälliges Verhalten". Was passiert sei, habe für ihn jedoch nur singulären Charakter. Eine Wiederholung stehe nicht zu befürchten.

Entwicklungsbedürfnisse

Für beide Angeklagten, die an der Schwelle zum Erwachsensein stehen, brachte das Gericht Jugendstrafrecht (Erziehungsstrafe) in Anwendung. Es charakterisierte Torben P. euphemistisch als einen jungen "Mann, in dem Entwicklungskräfte von einigem Umfang vorhanden" seien.

In der Strafzumessung konnte das Gericht von einem Strafrahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren ausgehen. Dass Torben P. nach vier Tritten auf den Kopf seines Opfers noch einmal Anlauf nimmt und wieder auf den Kopf des bereits bewusstlosen Mann eintreten will, werteten die Richter als 'Vollendungsstreben'. Eine "schwere der Tat" sahen sie für gegeben an.

Strafmildernd wertete die Kammer die anhaltende Medienberichterstattung, die einem "Prangereffekt" gleichgekommen sei. Das Haus des Angeklagten sei von Journalisten förmlich belagert, Torben P. im Internet mit Morddrohungen konfrontiert worden. Die Familie musste schließlich umziehen.

Torben P. als auch Nico A. genießen übrigens derzeit Hausverbot bei der BVG. Torben P., der die Schule verlassen musste und den jetzt ein katholisches Gymnasium aufzunehmen bereit ist, erhält derzeit Einzelunterricht in den Räumen der Schulverwaltung. Der 18-Jährige hatte sich bei seinen Opfern, Markus Pi. und dessen Retter Georg B. zu entschuldigen versucht. Georg B. lehnte zwar erst eine Entschuldigung ab, stimmte dann aber einer einmaligen Zahlung über 2.500 Euro an ihn zu.

Die Strafkammer sieht, so Richter Nötzel, in dem bislang unbescholtenen Abiturienten Torben P. einen weitgehend normal entwickelten, jungen Mann. Trotz seiner Schwierigkeiten, Empathie mit anderen zu empfinden, der Probleme, sich in Gruppen einzuleben und obwohl er dazu tendiert, normale Gespräche als Machtkampf zu erleben, erkannte die Strafkammer nur ein "gewisses" aber kein "großes Erziehungsbedürfnis".

Erhebliches Handlungsunrecht

Die Tat ist "eine grässliche Entgleisung", so der Befund des Gerichts. Eine Bewährungsstrafe käme aber nicht in Betracht. Richter Nötzel: "Das Handlungsunrecht war so erheblich, dass die Kammer bei allem Abwägen zu einer Aussetzung der Strafe auf Bewährung nicht kommen konnte." Die Tat sei "eindeutig zu heftig gewesen". Die Strafkammer sähe keine andere Möglichkeit, als eine empfindliche Jugendstrafe zu verhängen.

Zuletzt wandte sich Richter Nötzel direkt an Torben P., der sich während der Urteilsbegründung abwesend mit seinen Fingern beschäftigte hatte. Seine Existenz sei mit diesem Urteil keineswegs "vernichtet". In der Haft könne Torben P. das Abitur wieder aufnehmen. "Die Unzuträglichkeiten müssen Sie hinnehmen", so Richter Nötzel zu Torben P., dessen Ohren sich plötzlich rot verfärbten. Nach einem Drittel Strafverbüßung, so Nötzel, sei die Aussetzung der Haft zur Bewährung möglich. Zudem sei unter gegebenen Umständen auch eine Verbüßung im offenen Vollzug möglich.

Nachdem Richter Nötzel die Sitzung für geschlossen erklärt hatte, erhob sich die Vertreterin der Jugendhilfe, ging auf Torben P. zu, um ihm ermunternd die Hände abzuklatschen. Doch der ließ die Geste kraftlos durchfallen und griff erst einmal zu seinem Tabakpäckchen.

Resonanzen

Die Staatsanwaltschaft, die vier Jahre Haft für Torben P. beantragt hatte, zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Oberstaatsanwalt Rudolf Hausmann, Torben P.Leiter der Intensivtäterabteilung, erklärte: "Wir finden uns in dem Urteil der Kammer wieder." Mit dem Haftantritt des Torben P. wird es seiner Meinung nach nicht so schnell gehen. Das Urteil müsse erst einmal rechtskräftig werden. Offener Vollzug sei vorstellbar, aber, so Hausmann: "Soweit sind wir noch nicht." Das Mindestmaß, das Torben P., ob im offenem der geschlossenen Vollzug, schließlich zu verbüßen habe, wäre ein Drittel der Haftstrafe. Demnach elf Monate.

Rechtsanwältin Elke Zimmerer, die das Opfer Markus Pi. vertrat, erklärte: "Mein Mandant ist erleichtert, dass es zu keiner Bewärungsstrafe gekommen ist." Sie hoffe nicht, dass das Urteil Signalwirkung habe, denn ein "abschreckendes Urteil" sei es nicht. Nachahmer würden dadurch nicht abgeschreckt. Markus Pi. der nur durch einen glücklichen Zufall die Attacke des Torben P. überlebte, wünscht, laut Verteidigerin, nichts weniger, als seinem Peiniger auf offener Straße wieder zu begegnen.

Rechtsanwalt Alexander Sättele, der Verteidiger des Torben P. kündigte indessen Revision an. Sättele, der das Verfahren 'fair und aufgeschlossen' fand, erklärte: "Eine Bewährungsstrafe wäre ausreichend gewesen."
Fotos (von oben nach unten):
1. Die Angeklagten Torben P. und Nico A. mit ihren Rechtsanwälten.
2. Richter Uwe Nötzel: "Die Tat ist eine grässliche Entgleisung."
3. Oberstaatsanwalt Rudolf Hausmann: "Wir finden uns in dem Urteil der Kammer wieder."
4. Cornelia Mikolaiczyk, psychiatrische Sachverständige, befand, dass beide Angeklagte Jugendlichen gleichzustellen und nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln seien. Sie konnte nicht ausschließen, dass beide Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat erheblich durch Alkoholisierung eingeschränkt waren.
5. Torben P. bei Prozessauftakt: "Meine Tat ist eine Schweinerei."



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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