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Gerichtsreportagen


Berlins erster Islamisten-Terrorprozess


von von Barbara Keller

17.01.2011, 1. Strafsenat
Seit dem 5. November vergangenen Jahres müssen sich zwei türkisch gebürtige Deutsche, ein 21-jähriger Mann und eine 28-jährige Kurdin, vor dem 1. Berliner Strafsenat verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, terroristische Vereinigungen im Ausland zumindest durch Medienarbeit im Internet und finanzielle Zuwendungen unterstützt zu haben. Ein erstes Geständnis liegt vor...
(Beitrag vom 24.1.2011)
(Beitrag vom 31.1.2011)
(Bericht vom 25.2.2011)
(Bericht vom 01.03.2011)
(Bericht vom 09.03.2011) Urteil, Filiz Gelowicz
(Bericht vom 06.04.2011) Urteil, Fatih K.
Update: Geiselnehmer in Nigeria fordern Freilassung von Filiz G. (25.03.12)

Das Verfahren, das zu Beginn Presse und Zuschauer mobilisiert hatte, scheint inzwischen, übrigens zu Unrecht, an Interesse eingebüßt zu haben. Den fulminanten Auftakt verdankte der Prozess der Tatsache, dass die Angeklagte Filiz G. die Ehefrau des im Februar vergangenen Jahres in Düsseldorf verurteilten Terroristen Fritz G. ist, dem Kopf der sogenannten 'Sauerlandgruppe'.

Nest im Schwaben

Der deutsche Unternehmersohn Fritz G., der 16-jährig zum Islam konvertierte und den Anschluss an radikale Islamisten im legendären 'Multikulturhaus' in Neu-Ulm fand, hatte mit drei weiteren Komplizen daran gearbeitet, Autobomben herzustellen, um in Deutschland Anschläge gegen vornehmlich US-amerikanische 'Ungläubige' auszuführen. Im Multikulturhaus sollen auch Mamdouh Mahmud Salim, Osama bin Ladens Finanzchef, Mohammed Atta, einer der Todespiloten von New York sowie Said Bahaji Cheflogistiker der Terroranschläge am 11. September 2001 verkehrt haben.

In einem terroristischen Ausbildungscamp der Islamischen Jihad-Union (IJU) ausgebildet und gebrieft, gründete Fritz G. in Deutschland einen deutschen Ableger der IJU. Offenbar befand sich in der islamistischen Zelle jedoch ein vielseitiger V-Mann. Anfang September 2007, acht Monate nach der Heirat von Filiz und Fritz G., wurde letzterer als Rädelsführer der deutschen IJU verhaftet.

Die Angeklagten waren geständig. Fritz G. schwor zuletzt seinen radikalen Überzeugungen ab. Er wurde zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die anderen teilten sich in Gefängnisstrafen von zwölf, elf und fünf Jahren. Während des Prozesses musste auf eine Zeugenaussage der jungen Gattin des Fritz G. verzichtet werden. Filiz G. machte von ihrem Zeugnisverweigerungrecht Gebrauch. Sie wurde allgemein für unbescholten gehalten.

Fundamental im Netz

In der Zwischenzeit muss dieses Bild offenbar revidiert werden. Denn die als Büroangestellte Beschäftigte unterhielt über den mitangeklagten Alican T. Kontakte zur in Waziristan (Pakistan), der Hochburg der Taliban, gegen die afghanischen Milizen und die ISAF operierenden IJU. Nach der Verhaftung ihres Mannes avancierte die Angeklagte offenbar im Internet zur weiblichen Kultfigur für die gemeinsame Sache der radikal-islamistischen Glaubensbrüder im Internet. Sie stellte zahllose Beiträge und Videos einschlägigen Inhalts ins Netz, suchte neue Kämpfer sowie Geld für die Sache zu akquirieren. In einem Video des in Waziristan als potentieller Selbstmordattentäter medienwirksam figurierenden Eric B. (22) bedankt sich der inzwischen in einem Schusswechsel getötete Empfänger für die Spende von 'fisebilillah', dies ein Account-Name der Angeklagten.

Auch Filiz G. ist geständig. Sie sei bis zur Verhaftung ihres Mannes im September vor drei Jahren nicht eingeweiht gewesen, sagt sie. Sie habe "eigentlich nicht gemerkt", wie sie sich radikalisieren ließ. Anders als ihr Mann, Fritz G., den die Entführung des Glaubensgenossen Khaled el Masri durch die CIA motivierte, will Filiz G. "Wut und Empörung" über die Leiden "Unschuldiger" im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet angetrieben haben.

Während Filiz G. nach ihrem Geständnis gelöst, fast heiter wirkt, werden gegen den noch immer zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten Alican T. Beweise und Indizien aufgefahren. Er habe in regem Chat-Kontakt mit den Kämpfern der IJU, darunter auch dem schillernden Eric B. gestanden. (Übrigens nicht, wie von einigen Prozesszuhörern belächelt, in öffentlichen Kommunilationsräumen des Internets, sondern über den Yahoo Messenger.)

Die Kämpfer Allahs lagen Alican T. wegen Spendengeldern für Waffen in den Ohren und drängten ihn , in einer 'Sache', bei der es blutige Opfer geben sollte, selbst nach Pakistan zu reisen. Von Schleusungen angehender Gotteskrieger in das Krisengebiet war der Angeklagte zumindest unterrichtet. Alican T. soll sich wegen Spendengelder an Filiz G. gewandt haben, welche schließlich wohl auch seine eigene Reise in den fernen Osten organisierte.

Relationen

Die Verteidiger des Alican T. suchen die Vorwürfe abzuschwächen, führen gegen sie ins Feld, der Angeklagte habe in der von den Ermittlungsbehörden vereitelten und in Wien unterbrochenen Reise nur seine Eltern in der Türkei besuchen wollen. Gelder, die Alican T. akquirierte, seien nicht für Waffen, sondern lediglich Spenden für Tieropfer gewesen.

Am vorletzten Prozesstag erwirkte Rechtsanwalt Hansgeorg Birkhoff (für Filiz G.) mit einem Beweisantrag die Vorführung des Oscar prämierten Dokumentarfilms "Taxi to the Dark Side" (Regie Alex Gibney). Nachdem die Prozessbeteiligten die online gestellten Dokumente von Selbstmordanschlägen & Co. bereits gesehen hatten, wollte der Verteidiger mit diesem Film, wie er sagt, einen notwendigen Kontrapunkt setzen. Die 105 Minuten lange Doku beschäftigt sich mit den Bemühungen der USA, während des Irak-Krieges und auch danach, bestehendes Völkerrecht (Genfer Konvention) für eigene Zwecke auszuhebeln. Über Tötungen, Folter von terrorverdächtigen, muslimischen Gefangenen in Bagram, Abu-Ghuraib bis zur gezielten Umwidmung international gültiger, juristischer Verbindlichkeiten mit Guantánamo.

Urteil gegen Alican T. vom 22.06.2011
Am 22.06.2011 wurde der zur Tatzeit noch jugendliche Alican T. (21) wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Alican T. hatte sich zu den Tatvorwürfen bis zuletzt nicht eingelassen. Dass der junge Mann im Urteil die höchste der (ansonsten sehr milde ausfallenden) Strafen erhielt, ist wohl seiner Verteidigungsstrategie zu verdanken. (b.k.)

NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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