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aus dem moabiter kriminalgericht


Schabernack vor dem Kadi


von Barbara Keller

14. Juni 2005. Amtsgericht Tiergarten. Abt. 242-Schöffengericht.
Zwischen September und Dezember 2003 dreht eine Crew um Produzent Onno Ehlers (35) und Schauspieler Benjamin Tewaag (29) mit versteckter Kamera für die MTV-Sendung "Mission" in Berlin. Die Dreharbeiten, die - so Ehlers, "nette, absurde Situationen provozieren" sollen, verursachen absprachewidrig wiederholt Notrufeinsätze. Die betroffenen Polizeidienststellen erstatten Anzeige. Für den Missbrauch von Notrufen sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, alternativ eine Geldbuße vor. Aber auch wegen Amtsanmaßung haben sich die 'Spaßproduzenten' zu verantworten. Der Strafrahmen hierfür: eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder der Griff in die Geldbörse.


The Party is over: auf den Fensterbrettern und auf den Bänken vor dem Gerichtsaal tummeln sich zurückgelassene, weil leere, Wasserflaschen und Snackpappen. Man bemerkt gleich die große Attitüde: hier wird nicht aufs Kleinteilige geguckt, denn es geht ums 'Große Ganze'. Dieses 'Große Ganze' heißt "Mission". Eine vom Musiksender MTV ausgestrahlte Spaß-Sendung mit versteckter Kamera, die eine Crew um Uschi-Glas-Sohn Benjamin Tewaag (29) und Produzent Onno Ehlers (35) im Winter 2003 lieferte.

Der Schönheitsfehler an diesen Drehs: Die Justizpressestelle erteilte der Crew zwar eine pauschale Drehgenehmigung, aber nur unter der Bedingung vorheriger Absprachen mit den jeweiligen Polizeidienststellen. Tatsächlich endete jedoch offenbar die Mehrzahl der Drehs mit Noteinsätzen der Polizei, die von verstörten Bürgern alarmiert wurde.

Zudem soll Protagonist Benjamin Tewaag dabei unerlaubter Weise Dienstuniformen getragen haben, darunter solche der Polizei und des Bundesgrenzschutzes, die von einem Kostümverleih stammten und mit dem Hinweis ausgegeben waren, sie nur privat zu verwenden.

Situation ausgereizt

So mischte sich Benjamin Tewaag am 16. September 2003 unter die Wartenden einer Bushaltestelle vor der Justizvollzugsanstalt Moabit. Die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, bat er, jemand möge ihm die Handschellen mit einem Sägeblatt öffnen. Sofort rief ein Passant den Notruf. Drei Polizeiwagen und mindestens eine Zivilstreife sicherten, im Glauben, das sei ein ernsthafter Einsatz, umgehend die Bushaltestelle.

Auch drei Tage später war die zuständige Dienststelle der Polizei nicht informiert, als Benjamin Tewaag in einem amerikanischen Schlitten vor der Karl-Bonhoeffer-Klinik vorfuhr und der verdutzten Pförtnerin mitteilte: "Ich habe jemanden im Kofferraum, der ist gefesselt". Magda D. (49) notiert sich die Autonummer, sucht den merkwürdigen Kunden mit einer Zigarette hinzuhalten und alarmierte den Polizeinotruf. - Die Crew beendet den Dreh nicht, als die Polizei eintrifft, sondern erst, nachdem Tewaag in Gewahrsam im Polizeiwagen sitzt. Vor Gericht erklärt die Pförtnerin Magda D.: "Ich habe das für Ernst genommen. Ich fand das nicht so lustig."

Bei der Verhandlung vor dem Schöffengericht geht es nicht darum, ob die Sendungen spaßig waren oder nicht, sondern dass bei den Aufnahmen unsinniger Weise Polizeikräfte gebunden wurden, was leicht auch zu einer Katastrophe hätte führen können. Und tatsächlich hielt der willkürlich provozierte Polizeieinsatz vom 23. September 2003 die Polizeibeamten von einem Einsatz zu einem Raubüberfall ab.

Insgesamt 20 solcher Fälle listet die Staatsanwaltschaft, hartnäckig vertreten durch Uta Öhlert, gegen die Angeklagten - Onno E., Benjamin Tewaag, Andreas B. (35, Kameramann) und Robin P. (26, Assistent) - auf. Doch wenn Richterin Wolf glaubte, diesen scheinbar klaren Fall von Amtsmissbrauch und Missbrauch von Notrufen an einem Tag über die Bühne zu bekommen, irrt sie sich.

"Wo ist eigentlich Herr Amslgruber?"

Die Angeklagten fühlen sich rechtlich nicht in der Pflicht. Der Dreh sei von der Rechtsabteilung der Prisma-TV (München) geprüft worden. "Wo ist eigentlich Herr Amslgruber?!", ruft theatralisch Markus Roscher, der Rechtsanwalt von Benjamin Tewaag. Ja, der Fernsehproduzent Wolfgang Amslgruber von Prisma-TV hätte sich ja fein mit 2.000 € Geldbuße in außergerichtlicher Einigung davonstehlen können, so der aufgebrachte Jurist. "Eine Frechheit!", schimpft er.

Nun will Rechtsanwalt Roscher auch Hape Kerkeling, Kurt Felix und Stefan Raab in den Zeugenstand rufen. Die hätten ganz ähnliche Sketche gedreht - jedoch ohne juristische Konsequenzen. Die genannten Entertainer sollen bezeugen, was in puncto 'versteckte Kamera' unter gesellschaftlich erlaubter Schauspielerei verstanden wird.

Wie dem auch sei. Selbst wenn diesem Beweisantrag von Rechtsanwalt Markus Roscher entsprochen wird: aus der Tatsache, absprachewidrig die Polizeidienststellen nicht informiert zu haben, werden die Angeklagten sich wohl nicht winden können. - Für Benjamin Tewaag, der Amtsgerichte aus eigenem Erleben bereits hinreichend kennt, steht bei diesem Prozess einiges auf dem Spiel. Bei ihm ist noch ein knappes Jahr Bewährung offen, nachdem er 2003 wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde.


Urteil (5.7.05):
Trotz vehementen Beschwörens der legendären "Freiheit der Kunst" seitens der Angeklagten und deren Rechtsvertreter: das Schöffengericht unter Vorsitz der Richterin Wolf sprach Benjamin T., Onno E. und Andreas B. schuldig. Es verhängte gegen sie Geldstrafen von 1.200 €, 1.600 € sowie 800 € und sprach die anderen Beschuldigten frei. In der Urteilsbegründung hieß es, der Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Polizei und die Autorität der staatlichen Stellen sei höher einzuschätzen als die von den Angeklagten geltend gemachte Kunstfreiheit des Grundgesetzes. Auf die Bewährungsstrafe von Benjamin Tewaag nahm das Urteil keinen Einfluss, weil niemand zu Schaden kam und die Vorstrafe nicht einschlägig war.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Missbrauch von Notrufen? - Benjamin Tewaag (29) fühlt sich als Künstler nicht in der Pflicht, schiebt die Verantwortung auf MTV und erklärt: "Ich wollte nur spaßig sein."


Auch Aufnahmeleiter Onno Ehlers (35), der u. a. die Drehgenehmigung verantwortet, weist die Verantwortung von sich. Die Rechtsabteilung von MTV habe alles geprüft. "Wir versuchen, eine positive Sendung herzustellen."


Kameramann Andreas B. hält sich zurück.


Robin P. (26) , freiberuflicher Journalist, war als Assistent nur "Mädchen für alles".


Richterin Wolf glaubte, den Prozess an einem Tag über die Bühne zu bekommen.


Staatsanwältin Uta Öhlert sieht keine Veranlassung, die Sache als Bagatelldelikt zu betrachten.



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