Als
Armin
Meiwes im März 2001 als "der Kannibale von
Rotenburg" Schlagzeilen in den Medien macht, findet Ralf
M. keine Ruhe mehr. Seit mindestens 15 Jahren trägt
er sich mit ähnlichen Fantasien. Bisher glaubte er
sich allein. Nun weiß der gelernte, derzeit
arbeitslose Maler und Lackierer: Ich bin mit meiner
Neigung nicht allein auf der Welt und strebt die
Verwirklichung seiner an das Zerlegen eines Menschen
gekoppelten Sexfantasien an.
Gesucht: schlanke, schlachtreife
Männer
Anfang 2000 zieht Ralf M. nach Berlin, Neukölln. Hier
hofft der schüchterne Außenseiter, der bisher
in der Nähe von Bremen lebte, in der Anonymität
unterzutauchen. Inspiriert durch den wegen Totschlags
verurteilten Computerspezialisten Meiwes geht auch Ralf M.
ins Internet. Fieberhaft auf der Suche nach
einschlägigen Foren wird er fündig. Auf dem
"Verspeist-Forum", das seine Besucher mit dem Intro
empfängt - "Für alle, die es mögen,
Menschen zu essen, selbst gegessen zu werden ... " -
findet er, was er sucht.
Hier inseriert Ralf M. unter anderem unter dem Kürzel
"metzgay": "Suche schlanke, schlachtreife Männer um
die 30 für Schlachtesex". Im Juni 2004 fügt er
hinzu: "Bei Eignung auch reale Schlachtung. Mit Bild, wenn
du bereit bist." Auch den eigentlich in fester Beziehung
lebenden Berliner Musiklehrer, das spätere Opfer,
soll Ralf M. in diesem Forum kennen gelernt haben.
Zweimal trifft man sich offenbar zu einvernehmlichem
sexuellem Rollenspiel. Beim dritten Mal macht Ralf M.
verabredungswidrig Ernst. - Er sticht auf den Gefesselten
mit einem zurechtgelegten Kreuzschraubendreher ein und
richtet zum Zweck seiner sexuellen Befriedigung ein
Blutbad an. - Am nächsten Tag stellt sich Ralf M. der
Polizei: den zunächst ungläubigen Polizeibeamten
des Neuköllner Abschnitts 55.
Eine dunkle Seite ... die
medizinisch behandelt werden muss
Am 3. Mai 2005 sitzt Ralf M. in einem
großräumigen, mit Panzerglas verkleideten
Sicherheitskasten im Saal 700, dem größten Saal
des Berliner Kriminalgerichts. Wegen des enormen
Medienandrangs. Die Pressefotografen stürzen auf den
blassen, jungenhaft wirkenden Mann los wie auf eine
zoologische Sensation. Durch den vorsitzenden Richter
Peter Faust zur Nennung seiner persönlichen Angaben
aufgefordert, ist von dem Angeklagten nicht mehr als ein
schwaches Genuschel zu vernehmen.
Dennoch: Ralf M. kann und will offenbar nichts (mehr)
verbergen. Durch seinen Rechtsanwalt Detlef Binder
lässt Ralf M. mitteilen, dass er den Tatvorwurf voll
einräumt. Im Nachhinein sei er selbst fassungslos
über die Tat. Er schäme sich und möchte
sich bei den Angehörigen des Opfers entschuldigen.
Wörtlich: "Ich weiß, dass es eine dunkle Seite
in mir gibt, die medizinisch behandelt werden muss." Ralf
M., der glaubte, diese dunkle Seite im Griff zu haben,
bekennt: "Phasenweise beherrschen mich die dunklen Seiten
meines Ichs."
Am ersten Verhandlungstag kommen all jene schwer
erträglichen Details zur Sprache, die am
nächsten Tag bereits die Schlagzeilen der
Boulevardzeitungen beherrschen. Stunden, so rekonstruiert
Gerichtsmediziner Dr. Sven Hartwig, muss Ralf M. damit
zugebracht haben, sein Opfer auszuweiden und zu
zerstückeln. Bevor Ralf M. völlig
überfordert seine Neuköllner Wohnung
verließ und mit dem Auto des getöteten
Musiklehrers besinnungslos Richtung Bayern fuhr, um
schließlich verzweifelt zu bemerken: "Ich habe gar
kein Ziel."
Der erhoffte Effekt trat nicht
ein
Übernächtigt, grau erscheint er am Abend des
nächsten Tags auf einer Neuköllner Wache
(Berlin) und wünscht ein Geständnis abzulegen.
Der Polizeibeamte Jürgen J.: "Ich dachte, da kommt
wieder so ein Spinner, der sich von Geistern verfolgt
fühlt." - Aber Ralf M. übergibt den Beamten
seine Wohnungsschlüssel, wo diese die Dinge wie
geschildert vorfinden: den Rumpf des Opfers im Bettkasten,
die Beine in blauen Müllsäcken, die Lunge des
Opfers im Katzennapf, den Penis eingepökelt in einer
Folie zum späteren Verzehr im Kühlschrank.
Menschenfleisch aß Ralf M. allerdings dann doch
nicht. Schließlich klafften, so sein Rechtsanwalt
Detlef Binder, Realität und Fantasie auseinander:
"Der erhoffte Effekt trat nicht ein. Ralf M. fand es
eklig, das Fleisch zu essen." – Hier unterscheidet
sich Ralf M. wesentlich vom Rotenburger Armin Meiwes, der
wusste, was er tat und nichts bereut.
Auch die Mutter des Opfers und dessen langjähriger
Lebenspartner Dirk M. (36), in der Nebenklage von
Rechtsanwalt Johannes Eisenberg vertreten, wohnen dem
Prozess bei. Reglos hören sie die Ausführungen
des Gerichtsmediziners, sicher in der stillen Hoffnung,
der von ihnen geliebte Mensch habe nicht zu lange leiden
müssen.
Mord oder Totschlag?
Die 22. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter
Peter Faust wird nun zu entscheiden haben, ob die Tat als
Mord oder Totschlag zu bewerten ist. War Ralf M.
vermindert schuldfähig? Gehört er in den ganz
normalen Strafvollzug oder in eine psychiatrische
Einrichtung? - Für die Unterbringung in eine
psychiatrische Klinik spricht die Tatsache, dass Ralf M.
sich, laut Rechtsanwalt Detlef Binder, nicht daran
erinnert, das Opfer in den Rücken gestochen zu haben.
Nach Angaben der Gerichtsmedizin immerhin 15-mal.
Nach einem zweiten Prozesstermin ging
das Verfahren um Ralf M. (in den Medien "der Kannibale von
Neukölln" genannt) rasch und unspektakulär zu
Ende. Am zweiten Tag der Hauptverhandlung hatte der
Sachverständige Dr. Alexander Böhle, Arzt
für Neurologie und Psychiatrie und
forensisch-psychiatrischer Gutachter, den Angeklagten Ralf
M. als vermindert schuldfähig eingeschätzt.
Schon Monate vor der Tat, so Dr. Böhle, steigerte
sich Ralf M., bei dem eine kannibalische Perversion mit
Krankheitswert vorläge, in seine Fantasien hinein und
verstrickte sich in sie. Auch wenn Ralf M. während
seiner Tat, als das Opfer ihn um Hilfe anflehte, zu sich
gekommen sei - Ralf M. war trotzdem nicht Herr seiner
selbst.
Am letzten Tag der Hauptverhandlung wurden die
Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft, vertreten
durch Johannes Kroll, beantragte, den Annahmen des
Gutachters Dr. Böhle folgend, eine Freiheitsstrafe
von 14 Jahren und neun Monaten mit sofortiger
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
für Ralf M. Die Nebenklage - für die Mutter des
Getöteten - verlangte eine lebenslange
Freiheitsstrafe mit anschließender
Sicherheitsverwahrung. Der Rechtsanwalt des Angeklagten,
Detlef Binder, beantragte eine Haftstrafe von zehn Jahren
mit sofortiger Unterbringung in einer psychiatrischen
Klinik.
Die letzten Worte des Angeklagten Ralf M. waren: "Ich
hätte mich in psychiatrische Behandlung begeben
müssen." Und: "Auch wenn es wie Hohn klingt. Ich
möchte mich bei der Mutter und dem Freund des Opfers
entschuldigen."
Das mit Spannung erwartete Urteil, vom Vorsitzenden
Richter Peter Faust verkündet, lautet
schließlich: 13 Jahre Haft mit
sofortiger Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus. Nach eingehender Medienschelte durch
den Richter: "Die Presse kann nicht gesünder sein,
als die Gesellschaft in der sie tätig ist."
heißt es zur Begründung des Urteils: Ralf M.
sei, da folge das Gericht dem Gutachten des
Sachverständigen, vermindert schuldfähig. Und da
für die Allgemeinheit gefährlich, gehöre
Ralf M. "weggeschlossen". Die Erfolgschancen einer
Therapie seien für Ralf M. ohnehin "trübe".
Nicht zuletzt wegen seines fortgeschrittenen Alters. Eine
sofortige Einweisung und Behandlung deshalb geboten.