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Protest: ja. Aber vernünftig!


von Barbara Keller

10. Februar 2005. Amtsgericht Tiergarten. Abt. 391, Strafrichter.
Am 15. Januar 2004 kommt es während einer Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses zu einem Zwischenfall. Protestierende Studenten, darunter die Mannheimer Geschichtsstudentin Rebekka B. (21), werfen Flugblätter, entrollen Plakate. Es geht um die geplanten 75 Millionen € Kürzungen an den Berliner Universitäten, die auch in der "Aktuellen Stunde" des Plenums Thema sein sollen. 60 Sekunden dauert die Aktion, drei Minuten ist Parlamentspräsident Walter Momper in der Rede gestört. – Nun musste Rebekka B. um einen Eintrag ins Vorstrafenregister bangen.


Als am 15. Januar 2004 die 43. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses stattfindet, protestieren mehrerer Hundert Studenten vor dessen Bannmeile. Es geht um die geplanten Kürzungen an Berliner Universitäten. 75 Millionen Euro stehen auf dem Spiel. Eine einsame Mahnwache von Studenten friert sich bereits seit November 2003 vor dem Roten Rathaus die Wangen blau. Ohne Ergebnis.

Die Vollversammlung aller Parlamentarier findet vierzehntätig in öffentlicher Sitzung statt. Einer der Studenten kommt auf die Idee, die Tagung, in deren "Aktueller Stunde" auch der Haushaltsplan 2004/05 zur Diskussion steht, in einer plötzlichen Aktion zu stören. Mehrere Studenten, darunter Rebekka B., mit Plakaten, Flugblättern und einiger Empörung bestückt, passieren ungehindert die Pforten des Plenarsaals.

Mit der freundlichen Karin Brandes vom Besucherdienst des Berliner Abgeordnetenhauses spricht vorsorglich natürlich keiner der Studenten. Die hätte den Protestierenden einige nützliche Tipps nicht nur zu reservierten Plätzen und zur Tagesordnung geben können, sondern auch den wichtigen Hinweise auf Benimm und Hausordnung.

Geschah es nun in der Fragestunde um die Zukunft des Sozialtickets, die zunehmenden Bürgerbeschwerden über Zustände in der Vivantes GmbH oder in der aktuellen Fragestunde zum Schicksal des Studentendorfes Schlachtensee oder zur Freigabe von Cannabis – um 14:30 hatten die Studenten auf den Zuschauerrängen vereinbart, auf ein geheimes Zeichen ihre Plakate zu entrollen, Flugblätter zu werfen und ihrem Begehr Gehör zu verschaffen.

Nicht länger als 20 Sekunden dauert die Aktion. Denn wie ein Mann steht plötzlich die Hälfte der Plenarsitzungsbesucher - sich als Sicherheitsbeamte enttarnend - von ihren Bänken auf, stürzt sich auf die Jugendlichen und trägt sie wortlos hinaus. – Nur Rebekka B. muss selbst laufen: "Ich wurde von den Sicherheitsbeamten übersehen."

Gerade hatte Parlamentspräsident Walter Momper das Wort genommen. Drei Minuten hält ihn der Zwischenfall von der Tagesordnung ab. Dann kann die Sitzung, die noch bis 21 Uhr fortdauert, routinemäßig weitergehen.

Am 10. Februar 2005 steht Rebekka B. vor Gericht. Eine junge Geschichtsstudentin mit Berufsziel Journalistin, seit anderthalb Jahren in Berlin. Die Anklage lautet: "Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans", § 106b StGB, der – bei Verstoß - Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen vorsieht. Nicht ein Zuschauer ist erschienen. Die Presse in Erwartung wehrhaft solidarischer Studentenpose ist zahlreich erschienen.

Aber niemand entrollt ein Plakat. Niemand protestiert. Jetzt geht es nur noch um die nackte Haut. Jeder kämpft für sich allein. Die Beweislast ist erdrückend. Es existiert ein Video, das die Vorgänge vom 15. Januar 2004 dokumentiert und ein Sicherheitsbeamter ist als Zeuge geladen. – Rebekka B. gesteht: "Ich habe nicht mit diesen Konsequenzen gerechnet. Höchstens mit einem Hausverbot." Auch wollte sie nicht den Parlamentspräsidenten Walter Momper in der Rede stören.

"Ja, was machen wir denn nun?", fragt der vorsitzende Richter väterlich. Und erklärt: "Selbstverständlich haben Sie die Möglichkeit, Ihre Meinung kundzutun. Aber doch in einem gewissen gesetzlichen Rahmen." – Und den gibt die Hausordnung des Abgeordnetenhauses vor, die das ungestörte Arbeiten des Parlamentes gewährleisten soll. Darin sind unter anderem Beifall und Unmutsbezeugungen von den Zuschauerrängen untersagt.

Zu einer Verurteilung von Rebekka B. – übrigens auch der anderen, gesondert angeklagten Studenten - und einem Eintrag ins Vorstrafenregister kommt es schließlich nicht. In einer Einigung mit der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft stellt der vorsitzende Richter das Verfahren ein: "Ich nehme an, das war Ihnen Lehre genug." Die Auflage: Rebekka B. zahlt 100 € an die Integrationshilfe Berlin e.V.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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Rebekka B. störte am 15. Januar 2004 mit anderen Studenten den Hausfrieden des Berliner Abgeordneten-
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. Der Grund: geplante Kürzungen an den Berliner Unis (75 Mio. €). Drei Minuten war Parlamentspräsident Walter Momper in seiner Rede unterbrochen. Dann trugen Sicherheitsbeamte die jungen Leute weg.


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