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aus dem moabiter kriminalgericht
Yalla, Yalla!
von Barbara Keller
22. Dezember 2004. Pfandkammer des Amtsgerichts Tiergarten
Alle Jahre wieder entledigt sich das Amtsgericht an der Turmstraße seiner bedeutungslos gewordenen Beweismittel und sonstig eingezogenen Gegenstände. Asservate genannt. Was keinem Absender mehr zugeordnet wird oder werden kann, kommt unter den Hammer zum Wohle der Landeskasse. Fast familiär geht es zu auf den Terminen. Man kennt sich. Die Steigernden sind zu 80% Stammkunden. Rau und humorvoll ist der Umgangston der Beamten, die ohne viel Federlesen große Mengen an Asservaten losschlagen. Am 22. Dezember 04 dauerte das nicht länger als eine dreiviertel Stunde.
Was von den Beamten humorig "bunte Mischung" genannt wird, ist eine Kollektion aus Fahrrädern, Computern, Computerzubehör, Brillen, Kisten voller Drogerieartikel, Skier, Textilien, Musikinstrumenten, diversen Waagen, Kameras und so fort. In abenteuerlichen Kombinationen werden sie zusammengeworfen und den fiebernden Interessenten vor die Nase gesetzt.
Zum Beispiel ein Koffer voller namenloser Textilien, in das kopfüber eine hochwertige Kamera purzelt. – Wenige Minuten später wechselt das Behältnis für 75 € den Besitzer. Gezahlt wird gegen den Erhalt eines Coupons sofort. Am Ende der Steigerung kann die Jagdtrophäe in Selbstbedienung hinter dem Tresen abgeholt werden.
Die zweithöchste Summe, die an diesem Donnerstag zu berappen ist, lautet 130 €. Damit hat der energisch steigernde türkische Kollege in der letzten Reihe, der immer wieder "Yalla, yalla!" drängelt, vier Brillen ersteigert. Was über den wirklichen Wert der zu versteigernden Objekte und die Motivation der an der Versteigerung Beteiligten einigermaßen nachdenklich macht.
Denn was, in Gottes Namen, will beispielsweise der etwas verhuscht wirkende fünfzigjährige Schiebermützenträger mit diesem monströsen Monitor, den der Beamte respektlos mit "wassergekühlt, direkt aus der Steinzeit!" anpreist? Einen Euro legt der stolze Besitzer in spe für diesen Staubfänger hin, von dem er nicht einmal weiß, ob er überhaupt funktionstüchtig ist.
Oder diese ominöse Kiste mit den Drogerieartikeln, die sofort von einer hohen Frauenstimme reklamiert wird. Einer ruft: "Was’n da drin?" Ein anderer retour: "Ist doch egal!" Die Trägerin des dünnen aber fordernden Stimmchens bleibt eisern. 30 € berappt sie für diese Büchse der Pandora, die sich ja schließlich auch als Wunderschrein entpuppen kann.
Ein nagelneu wirkender Messerkoffer, der für nur 35 € über den Tisch geht, erinnert endlich wieder daran, dass es hier auch um Ex-Beweismittel verflossener Gerichtsprozesse geht. Wenn die unterarmlangen Messer jemals im Einsatz waren, sind sie zum Glück gut gereinigt. Was der junge Blondi mit diesem Koffer will, ist schleierhaft. Hinter mir höre ich ein freches: "Jetzt geht er schlachten!"
Die Versteigerung einer längeren Kette mit zwei Schlössern ist das billigste und fröhlichste Ereignis des Tages. Rätselhafter Weise wird sie einzeln zum Kauf angeboten. Neun Euro zahlt der neue Eigentümer, dem man die unschöne Unterstellung nachschickt: "Den muss seine Frau aber ganz schön nerven!"
Schließlich knallt eine letzte Kiste Herrenkosmetika auf den Tisch, die ein markiges "Ich wünsch euch ein frohes Weihnachten!" begleitet. 40 € zum Ersten, Zweiten und Letzten! Das Interessentengrüppchen zerstreut sich, die ersteigerte Ware wird halb misstrauisch, halb stolz von den neuen Besitzern in Augenschein genommen.
Nicht jeder ist mit seinem Schnäppchenkauf zufrieden. So zum Beispiel der junge Türke, der enttäuscht vor sich hin knurrt, als er feststellt, dass sein 35 € - Computer keinen USB-Anschluss hat und eigentlich ins Museum gehört. Selber schuld. Denn eine Stunde vor Versteigerungsbeginn können die Asservate eingehend betrachtet werden.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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Gut beraten ist, wer sich die Asservate vor der Versteigerung erst einmal ansieht. Der Andrang ist groß. Die Sicht schlecht.
Aus dieser Position steigert nur der absolute Profi mit weitreichendem Organ.
Ohne das Einhalten restriktiver Benimmregeln läuft die Versteigerung nicht. Bei Zwischenrufen oder Tätlichkeiten droht das Hausverbot.
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In eigener Sache:
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