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Gerichtsreportagen
Blutparty im Rauchverbot
von von Barbara Keller
Böse Worte, Reizgas, dann flogen die Fäuste: Wegen einer Zigarette gerieten in einer Frühjahrsnacht 2009 U-Bahn-Fahrgäste aneinander...
Die Zeugen Partyk S. (17) und Bernd H. (31) scheinen vergnügt. Sie vertreiben sich die zwei Stunden Wartezeit mit Gesprächen. Gemeinsam malen sie die Höhepunkte der Ereignisse vom Frühjahr vergangenen Jahres noch einmal aus. "Das war ein fairer Zweikampf", erklärt Partyk S. "Wie die durch die Gegend flogen, von einer Wand zur anderen, das war lustig!" Er kichert in sich hinein. Auch Bernd H. scheint amüsiert. Dabei dürften die beiden Zeugen, die sich damals unfreiwillig kennenlernten, nicht unbedingt einer Meinung sein.
Erleichtert springt Partyk S. auf, als er endlich aufgerufen wird. Der junge Wedding-Presley betritt mit wiegendem Gang den Gerichtssaal. Er verwirrt den Richter zunächst nicht nur mit seinem seltenen Vornamen und damit, dass er noch nicht volljährig ist. Partyk S., der in Berlin aufwuchs und akzentfrei Deutsch spricht, ist bei seinen in Polen lebenden Eltern gemeldet und schlägt sich hier ohne festen Wohnsitz durch. Erst in drei Monaten wird er 18 Jahre alt.
Irritiert bittet der Vorsitzende Richter, der nicht weiter in diese Verhältnisse dringen will, den jungen Mann um die Schilderung der in Rede stehenden Begegnung vom 16. März 2009. Der redselige Streuner lässt sich nicht lange bitten. In der fraglichen Nacht habe er bei einem Kumpel am Computer gesessen, sprudelt er los. Über ein Internetportal habe er sich mit Michael St. an einem Reinickendorfer U-Bahnhof verabredet.
Ganz normal soll es ausgesehen haben, wie Michael St., flankiert von zwei weiteren Männern, aus der U-Bahn stieg. Als Michael ihm zuwinkte, sei er deshalb auch arglos auf ihn zugegangen. "Plötzlich sprühte einer der Männer Michael Reizgas ins Gesicht", sagt Partyk S. Sein Freund sei wütend aber mit sich selbst beschäftigt gewesen.
Man habe dann beschlossen, auf ein Bier in eine Dönerbude zu gehen, wo sich Michael St. auch die Augen ausspülen wollte. Doch als sie die Rolltreppe zum Ausgang hinauffuhren, standen dort bereits Fritz Se. (47) und Bernd H. Es sei zu gegenseitigen Beleidigungen der Kontrahenten gekommen. "Dann flog plötzlich ein Fuß an mir vorbei", sagt Partyk S. Kurz darauf flogen auch die Fäuste und Michael sowie Fritz Se. lagen sich in den Haaren.
Die Situation eskaliert. Köpfe knallen auf Beton. Ein halbherziger Versuch von Partyk S., die Streithähne auseinanderzubringen, scheitert. "Ich habe mich dann zu Herrn H. gestellt. Und wir haben dann einfach zugeguckt." Zwei gebrochene Nasen , zahlreiche Abschürfungen und Hämatome sind schließlich die Bilanz dieser körperlichen Begegnung. "Herr Se. ist dann ganz normal gegangen", sagt Partyk S.
Fritz Se., der als mutmaßliches Opfer auf der Nebenklagebank sitzt und bereits seine Aussagen gemacht hat, hält es kaum noch auf dem Stuhl. Er hatte anders lautend berichtete, in jener Nacht auf dem Rückweg von seinem Job als Kleindarsteller bei der Schaubühne gewesen zu sein. Völlig zu Recht habe er den angetrunkenen, aggressiven, jungen Mann gebeten, das Rauchen in der U-Bahn einzustellen. Michael St. jedoch unhöflich und unbelehrbar gewesen. Der Zeuge Bernd H., ein selbständiger Gastronom, der mit Fritz Se. d'accord ging, soll sein Pfefferspray gezogen haben, als er glaubte, der militante, junge Raucher würde in die Offensive gehen.
Deutlich offensiv ging es dann jedoch erst am Ende der Rolltreppe zu. Dort soll, laut Aussage des mutmaßlichen Opfers, der Angeklagte auf ihn losgegangen sein. Später ruft Bernd H. den Rettungswagen, als Fritz Se. schwindelig wird und kurzzeitig das Bewusstsein verliert. Es kommt zur Anzeige, Michael St. wird gestellt.
"Von der Anklage bleibt nicht mehr übrig", erklärt in die geladene Stimmung hinein der Vorsitzende Richter. Er scheint von den sich widersprechenden Aussagen der Zeugen, die bereits mehr als zwei Stunden in Anspruch genommen haben, völlig erschöpft zu sein. In gegenseitigem Einverständnis der Prozessbeteiligten, der Verteidiger der Nebenklage nickt, wird das Verfahren wegen Unerheblichkeit eingestellt.
Fritz Se. ist überrumpelt. Er macht ein langes Gesicht. Auf dem Gerichtsflur klagt er enttäuscht: "Ich habe meinen Glauben in den Rechtsstaat verloren!" Er droht: "Das war noch nicht das letzte Wort!" Aber auch der Zeuge Partyk S. hat seine Vergnügtheit eingebüßt. Auf dem Weg zum Gericht wurde er in den U-Bahn beim Schwarzfahren erwischt. "Kann ich die Auslagen beim Gericht geltend machen?", fragt er hoffnungsvoll den Richter. Mehr als allgemeine Heiterkeit erntet er mit dieser Frage jeodch nicht.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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