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Gerichtsreportagen


Psychotherapie als Russisches Roulette


von Barbara Keller

Mi., 03.05.2010, 35. gr.SK
Im Verfahren gegen einen Berliner Psychologen, der die in Deutschland nicht anerkannte Therapieform der Psycholyse anwandte und mit der dabei praktizierten Vergabe von Drogen den Tod zweier Patienten verschuldete (berlinkriminell.de berichtete), wird am Montag, dem 10. Mai 2010, das Urteil gesprochen. In seinem Plädoyer hatte die Staatsanwaltschaft am 3. Mai den Angeklagten mit scharfen Worten angegriffen und eine Haftstrafe von acht Jahren sowie ein lebenslanges Berufsverbot gefordert. Die Verteidigung dagegen sprach von einem 'tragischen Unglücksfall'. Rechtsanwalt Marcel Kelz, für den angeklagten Psychologen Garik R., erklärte: "Eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren ist nicht mehr erforderlich."
Urteil vom 10. Mai 2010


Zuletzt war in dem Gutachten des forensischen Psychiaters Dr. med. Alexander Böhle am 26. April 2010 einiges Vernichtende über die Therapiepraxis des angeklagten Psychologen zu hören. Nach Sichtung der Patientenakten kam Dr. Böhle zu dem Schluss, dass der ausschließlich als Psychologe ausgebildete Angeklagte vorgeblich tiefenpsychologisch tätig war und dabei mit einem 'ausgesprochen monotonen Diagnosespektrum' arbeitete, das zumeist auf den Befund 'depressive Störungen' hinauslief.

Dass Garik R. das Abstinenzgebot nicht einhielt, Patienten für sich arbeiten ließ, private Nähe forcierte, sei 'kunstfehlerhaft', so Dr. Böhle, und entspräche nicht den ethischen Standards des Berufsstandes. Es sei denkbar, so der Sachverständige, dass in einem besonders ausweglosen Patientenfall bewusstseinserweiternde Drogen zum Einsatz kommen könnten.

Positive Erfahrungen gäbe es dabei im Zusammenhang mit Zwangsneurosen. Dr. Böhle: "Das mache ich dann aber nicht selbst, sondern der psychiatrische Kollege." Der Gutachter vermisste in den Unterlagen des angeklagten Psychologen auch Belege über Indikationsgespräche mit den Patienten. Er sagt: "Aufklärung beginnt im Gespräch mit dem Patienten über die passende Therapieform."

Worum es nicht geht

Die Frage, ob Garik R. zur Tatzeit in seiner Schuld- und Einsichtsfähigkeit gemindert war, verneinte der Berufskollege: "Ich finde da nichts in dieser Richtung." Indessen räumte Dr. Böhle ein, dass der Angeklagte durch das von ihm eingenommene LSD die Situation 'verkannt' haben könnte. Sprich, sich beim Abwiegen des MDMA-Pulvers vertan, oder auch die Wirkung der Überdosis später nicht erkannt zu haben. Garik R. hatte während der verhängnisvollen Therapiesitzung auf die ausbrechende Unruhe nach Einnahme des Ecstasy mit den Worten reagiert: "Bleibt bei euch! Das ist das Böse in der Welt."

Am 26. 4. 2010 wurde nach Anhörung des Sachverständigen Dr. Alexander Böhle die Beweisaufnahme geschlossen. Eine Woche später leitete Staatsanwalt Matthias Weitling mit seinen Ausführungen die Plädoyers ein und fand drastische Worte. "Es geht in diesem Verfahren nicht um die Frage Schulmedizin contra Psycholyse", so der Ankläger. Vielmehr handele sich bei Garik R. um einen 'examinierten Dealer', der in 'ideologischer Verkleidung gepaart mit krimineller Energie' tätig geworden sei.

Der angeklagte Psychologe, der auch in betrügerischer Weise Therapiesitzungen abrechnete, habe nicht ausnahmsweise, sondern systematisch Drogen bei seiner Therapie eingesetzt, dabei fahrlässig und in Kenntnis der Gefährlichkeit des MDMA das Leben seiner Patienten aufs Spiel gesetzt. Den Anklagepunkt des versuchten Mordes ließ Staatsanwalt Weitling dagegen fallen. Er erklärte: "Der Vorwurf ist aber keineswegs absurd, sondern war schlichtweg nicht nachweisbar."

Eine Einwilligung der Patienten, die bewusst Drogen nahmen, lag nach §228 StGB aber nicht vor, so Weitling: "Bei Todesfolge kann sich der Täter grundsätzlich nicht auf eine Mitwirkung des Opfers berufen." Der Ankläger forderte schließlich acht Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei sowie gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen. Einen minder schweren Fall schloss Staatsanwalt Weitling aus: "Garik R. hat seine Patienten als Versuchskaninchen benutzt." Es sei ein Zufall, dass es nicht noch mehr Todesopfer gegeben habe.

Therapie der Scharlatane

Darüber hinaus forderte er ein lebenslanges Berufsverbot für den Psychologen, der 'mehrfach seine Verachtung für die Schulmedizin' zum Ausdruck gebracht habe. Es drohe der Wiederholungsfall, weswegen 'die Allgemeinheit vor Garik R.' zu schützen sei. An die Medien gab Staatsanwalt Weitling abschließend die Botschaft: "Therapeuten, die diese Form der Therapie anbieten, sind Scharlatane. Sie ist schlicht russisches Roulette".

Die Rechtsanwälte der Nebenklagevertreter schlossen sich in ihren Plädoyers, wenn auch weitaus zurückhaltender, der Staatsanwaltschaft an. Rechtsanwalt Roland Weber, für die Eltern des verstorbenen Marcel Ko., erklärte: "Ein Patient kann nur eigenverantwortlich handeln, wenn er über die Risiken ausreichend aufgeklärt wird." Das sei in diesem Fall, wo es schließlich nicht 'nur um starkes Schwitzen' ging, unterblieben. Die Gefährlichkeit des Ecstasy, für das es im 'worst case' kein Gegengift gäbe, sei vom Angeklagten gegenüber seinen Patienten nur 'abstrakt dargestellt' worden. Die Eltern des Marcel Ko., verzichteten auf jede Entschädigung von Seiten des Angeklagten und schlossen sich 'deshalb mit gutem Gewissen' den Forderungen des öffentlichen Klägers an.

Bevor Garik R. ein letztes Wort sprach, wiederholte Rechtsanwalt Marcel Kelz die Position der Verteidigung. Wie bereits zu Prozessbeginn von Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach ausgeführt, sprach auch Kelz von einem 'tragischen Unfall', bei dem eine gewisse Eigenverantwortung der Patienten aber nicht wegzudenken sei. "Garik R. hat als Arzt versagt", konstatierte der Anwalt. Sein Mandant trage die Last der Verantwortung, er leugne nicht und werde seine Strafe erhalten.

Aber Garik R., der als Arzt in der AIDS-Hilfe begann, dann in der Notfallchirurgie, später als Landarzt mit Schwerpunkt Naturheilkunde arbeitete, habe Gutes tun wollen. Der Angeklagte sei von seiner Tätigkeit überzeugt gewesen. Kelz: "Richtig dosiert hielt R. die Drogen für nicht gefährlich." Es bleibe offen, worin die Ursache der tödlichen Überdosierung lag. Vielleicht habe Garik R. das LSD, das er zu Beginn der Gruppensitzung nahm, 'einen bitteren Streich gespielt'. So mutmaßt Rechtsanwalt Kelz, der den Drogenkonsum seines Mandanten in einem Nebensatz kritisiert mit: "…, wo auch ich denke, das darf man nicht."

Ein schrecklicher Unfall

Rechtsanwalt Kelz forderte eine Freiheitsstrafe von nicht über drei Jahren. "Es war ein schrecklicher Unfall", insistierte er. Man solle seinem Mandanten 'so früh wie möglich' in die Lage versetzen, wieder gut machen zu können, sein Leben wieder aufzubauen und deshalb auf ein lebenslanges Berufsverbot verzichten.

Garik R. selbst, der völlig verstört und verunsichert dem Verfahren gefolgt war, erklärte zuletzt mit erstickter Stimme: "Ich will es kurz machen. Das Wichtigste ist: Es tut mit Leid. Ich habe es nicht gewollt...." Zuletzt stößt er auch noch hervor: "Und ich bin auch kein Opfer." Aber das so atemlos gequält, dass es kaum zu verstehen ist.


Urteil vom 10. Mai 2010
Am 10. Mai 2010 verurteilte die 35. große Strafkammer den Psychologen Garik R. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in zwei, gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen in Tateinheit mit dem Überlassen von Betäubungsmitteln zu einer Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Sie verhängte zudem ein dauerhaftes Verbot gegen ihn, als niedergelassener Arzt oder Psychotherapeut arbeiten zu dürfen.

Damit folgte die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Ralph Ehestädt weder dem Antrag der Staatsanwalt, die eine Haftstrafe von acht Jahren beantragte, noch der Verteidigung. Letztere hatte den Tod zweier Patienten im Herbst vergangenes Jahres während einer Gruppentherapie mit Drogen, die der Angeklagte abhielt, auf ein bedauerliches Unglück zurückführen wollen.

Das Gericht setzte zudem die Haftstrafe gegen Garik R., der bereits acht Monate in Haft verbrachte, unter empfindlichen Auflagen aus. Der so verurteilte Psychologe ist damit auf freien Fuß gesetzt und wird die ihm verbliebene Haftstrafe als Freigänger verbüßen können. Als Arzt darf Garik R. nur noch in Festanstellung, beispielsweise in einem Krankenhaus arbeiten. Gesetz denn Fall, er findet einen Arbeitgeber.

Die Kosten der Nebenklage muss Garik R. nur für die Angehörigen der Todesopfer seiner Therapie tragen. Die beiden anderen Nebenkläger, ehemalige Patienten des Angeklagten und Zeugen des 19. September, müssen ihre Auslagen selbst tragen. Ihnen sprach das Gericht 'eine erhebliche Mitschuld' zu. Richter Ehestädt: "Sie haben etwas getan, was nicht erlaubt ist. Man wusste schon, worum es ging."

Staatsanwaltschaft und Verteidigung behielten sich vor, in Revision zu gehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
b.k.


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- zum ersten Beitrag vom 11.3.2010 -



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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