Seit Februar stand der rundliche, türkischstämmige 28-Jährige wegen Körperverletzung mit Todesfolge und diversen Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz vor dem Landgericht Berlin. Vergangenen Freitag verurteilte das Landgericht Berlin den Gastwirt Aytac G. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten. Weil der 28-Jährige zu lange auf sein Verfahren warten musste, gelten zwei Monate dieser Strafe als bereits verbüßt, außerdem werden ihm noch die sieben Monate angerechnet, die Aytac G. bis zum Februar 2008 in Untersuchungshaft saß.
Noch kurz vor der Urteilsverkündung argumentierten die beiden Verteidiger des Angeklagten, Johannes Eisenberg und Stefanie Schork, es habe sich bei dem Geschehen um einen tragischen Unglücksfall gehandelt. Ihr Mandant hätte zu keiner Zeit die Absicht gehabt, den Tod von Lukas W. herbei zu führen. "Er hat sich auf einen Blödsinn eingelassen, er hat eine Entscheidung getroffen, die war dämlich", so Schork.
Aber Aytac G. habe kein Verbrechen begangen. Sie verglich den Fall des Gastwirtes mit dem Skiunfall des Ministerpräsidenten Dieter Althaus. Dort wäre durch das Verschulden des Politikers eine junge Frau ebenfalls völlig sinnlos gestorben, der Täter kam mit einer Geldstrafe davon.
Anders als bei Tritten, Stichen oder Schlägen wäre ihrem Mandanten nicht klar gewesen, dass der immense Alkoholkonsum zum Tode des 16-Jährigen führen würde. Sie bezweifelte auch, dass das Wetttrinken gegen die guten Sitten verstoße, weil so ein Duell bei jeder zweiten Party stattfinden würde. Die Forderung des Staatsanwaltes sei der Schuld von Aytac G. nicht angemessen, zumal die Jugendlichen, die ihm beim Wetttrinken und Betrug assistiert hatten, von einer Jugendstrafkammer lediglich mit Verwarnungen bedacht wurden.
Vier Jahre Haft hatte der Staatsanwalt Reinhard Albers hatte gefordert. Der Angeklagte solle nicht zum Sündenbock für Flatrate-Partys gemacht werden, sagte er zu Beginn seines Plädoyers. Es gehe vielmehr darum, dass dieser "sympathische, nette, junge Mann seine positiven Eigenschaften missbrauchte, um eine bestimmte Gastwirtschaft aufzuziehen", eine Bar, in der Minderjährige billig und ohne Kontrollen Branntwein bekamen.
Dies war das Geschäftskonzept des "Eye T" und dies war auch das Todesurteil für Lukas W.: Aus Angst vor Scherereien für den Wirt trauten sich die in der Bar Verbliebenen nach dem Wetttrinken nicht, rechtzeitig die Feuerwehr zu alarmieren. Sie beruhigten sich damit, der Schüler würde nur seinen Rausch ausschlafen.
Erst als sie das Lokal verlassen wollten, bemerkten sie, dass der 16-Jährige bereits blau angelaufen war. Für den Staatsanwalt ist der Tod des Schülers kein einmaliges tragisches Versagen des Angeklagten. Der Fehler liege in dessen Geschäftskonzept, welches das Jugendschutzgesetz völlig ignorierte. Als erfahrener Wirt besaß Aytac G. überlegenes Sachwissen, er habe den Tod des Schülers vorhersehen können, meint der Ankläger.
Zwar habe Lukas W. in das Wetttrinken und in einen vorübergehenden pathologischen Zustand eingewilligt. Dieser Vertrag sei jedoch unwirksam, weil er gegen die guten Sitten verstoße. Obendrein sei der Teenager über die Bedingungen des Wetttrinkens getäuscht worden. Aus diesen Gründen lag eine Körperverletzung vor. "Die Gesundheit ist ein disponibles Rechtsgut", sagt der Staatsanwalt. "Beim Leben ist das anders."
Verteidiger Johannes Eisenberg war am Ende des Prozesses zwar "überhaupt nicht der Meinung, dass wir eine Chance auf einen Freispruch haben." Dennoch beharrte er: "Das Geschehen trägt gewisse Züge eines Unglücksfalles." Entgegen anderer Meinungen habe sich der Wirt sehr wohl um das Opfer gekümmert: Als er zehn Minuten nach dem Duell seine Bar verließ, befand sich Lukas W. in der Obhut von mindestens fünf Leuten.
Der Schüler habe weder die Treppe herunterstürzen, noch vor ein Auto laufen oder an Erbrochenem ersticken können. "Für all das war vorgesorgt", so der Anwalt. Mit anderen Risiken habe sein Mandant nicht gerechnet. Schließlich habe ein Wetttrinken, das der Wirt im Sommer 2006 mit einem damals 18-Jährigen durchführte, den Angeklagten in dem Glauben bestärkt, Lukas W. drohten ebenfalls nur Erbrechen und Kopfschmerz.
"Auch wenn wir einen Zusammenhang zwischen Tod und Körperverletzung annehmen müssen", schlägt Eisenberg vor, die Tat des Angeklagten als minderschweren Fall einzuordnen. In einem ähnlichen Verfahren sei eine Bewährungsstrafe von neun Monaten Haft ausgesprochen worden, gibt der Anwalt zu bedenken: "Das sehen wir als Leitentscheidung."
Zwar stufte das Gericht das Geschehen dann tatsächlich als minderschweren Fall ein, genau wegen der Argumente, welche die Verteidigung vortrug, versicherte der Vorsitzende Richter Peter Faust. "In der Tat ist es gar nicht so simpel zu begründen, warum das strafbar ist." Der Schüler habe das Wetttrinken initiiert, "er hat das Geschehen nahezu herbei genötigt".
Die Besonderheit dieser Körperverletzung sei, dass keine der üblichen Waffen benutzt wurden und das der Geschädigte sich den Stoff, an dem er starb, selbst verabreichte: "Lukas W. hat jedes der 48 Gläser selbst in die Hand genommen", so der Richter. "Er hat sich selbst gefährdet. Aber diese Selbstgefährdung ist dem Angeklagten zuzurechnen." Aytac W. wusste, dass es kein fairer Wettkampf war, bei dem er wahrscheinlich bis zur 20. Runde, möglicherweise auch bis zur 30. Runde nur Wasser trank.
Der trinkgewohnte Schüler habe gedacht, wenn es seinem Gegner, den er als besiegbar einschätzte, noch gut gehen würde, dann könne es doch nicht so schlimm sein. "Das Ziel der Aktion war eine Körperverletzung", so der Richter. Doch die Einwilligung in diese sei sittenwidrig und damit nichtig, weil sie durch eine Täuschung erlangt sei. Der Angeklagte wusste zwar nicht um die Gefahr der Atemlähmung, aber er wusste durch das vorangegangene Wetttrinken mit einem 18-Jährigen, dass es schon nach 20 Tequila zu erheblichen Ausfallerscheinungen kommen kann.
Er habe für seinen damaligen Gegner sogar erwogen, die Hilfe eines Notarztes zu holen. "Selbstverständlich wollte Aytac G. nicht den Tod von Lukas W. herbeiführen. Sonst wäre er ja wegen Totschlags oder Mordes angeklagt worden", sagte der Richter. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit wird aber wohl in der nächsthöheren Instanz, dem Bundesgerichtshof, gesprochen.