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aus dem moabiter kriminalgericht
Amokfahrt mit Folgen ...
von Barbara Keller
22. April 2004. Kriminalgericht Moabit.
Abenteuer Nacht, Abenteuer Berlin. So läuft es bei manchen jungen Männern - arbeitslos, unternehmungslustig, draufgängerisch - aus dem Brandenburger Speckgürtel wohl ab: Zuerst werden von bekannter Adresse die "Muntermacher", sprich Drogen, abgeholt. Dann geht es los in die Diskotheken. Morgens düsen Wagen mit betrunkenen, bekifften, volltrunkenen, jungen Menschen wieder zurück in die Pampa. Wenn sie denn nicht erwischt und, wie in vorliegendem Fall, von der Polizei in einer Art Planspiel exzessiv bis zum bitteren Ende gejagt werden. Diese Jagd forderte am 3. Mai 2003 durch Zufall "nur" einen Toten: den des Beifahrers Simon S.
Am Donnerstag vergangener Woche steht Kay T. (28) aus Falckensee vor Gericht. Zusammen mit Simon S. als Beifahrer gab er sich am Morgen des 3. Mai 2003 eine beispiellose Amokfahrt durch das Berlin Stadtzentrum, die schließlich das Leben seines Kompagnons forderte.
Heute weiß sich Kay T. - scheinbar reuelos, ungerührt hinter Moabiter Panzerglas sitzend - kaum noch zu erinnern. Mit einem geborgten, nicht zugelassenen Wagen mit getürktem Nummernschild seien sie zu einer heißen Disco-Nacht aufgebrochen. Zuerst in Wustermark, dann mit Ziel Berlin. Bei einer "Jacko" (Jaqueline K.) in der Stromstraße holen sich die Beiden zunächst Pillen und Kokain - so Kay T. Gekifft und getrunken hatte man schon. Nun fühlen sich Beide wohlgerüstet zu einem Auftritt im "Sky" in der Diercksenstraße, Mitte.
Auf der Disco passiert natürlich nichts Nennenswertes. So viel Richter Boß auch fragen mag. Nein, Mädels hätte man nicht kennengelernt. Auch sonst: nichts. Kay T.: " Ich bin wohl nicht fähig, mich normal zu amüsieren." Nach einer Nacht voller Drogen ... Alkohol, Cannabis, Kokain, Exstasi ... soll es wieder nach Hause gehen. Aber Simon S. ist unfähig zu fahren. Kay T.: "Ich sah ja schon schlimm aus - aber Simon ... " Obwohl so nicht ausgemacht, fährt Kay T. das Auto. - Einen roten, tiefgelegten Golf mit getönten Scheiben. Kay T. hat keinen Führerschein, allerdings offenbar bereits einschlägige Erfahrungen im Bereich "fahrlässiger Tötung".
Man fährt los - oder besser: hebt ab vor dem "Sky". Unangeschnallt und dem normalen Straßenverkehr unangepasst. Natürlich wird sofort eine Zivilstreife auf den Wagen aufmerksam. Die Beamten ziehen mit dem Golf gleich, die Beamtin Andrea U. zeigt ihren Dienstausweis. Kay T. nickt, drückt dann aber auf die Tube. Mit 100 - 140 km/h geht es durch die Innenstadt. Und das um 8:00 morgens.
Kay T. gefährdet einige Passanten. Fußgänger Thomas R. kann - bei grüner Ampel - nur durch einen Hechtsprung zurück auf den Bürgersteig sein Leben retten. Inline-Skater Rechtsanwalt Micha von B. verlässt von selbst die Fahrbahn: "Wer bei klarem Verstand ist, verlässt die Straße, wenn er so was sieht." Hans-Georg B. sah den Golf am Ernst-Reuter-Platz: mit funkensprühendem, weil aufgesetztem Heck, mit mindestens 140 km/h an sich vorbeirasen.
Die Jagd endet am Ernst-Reuter-Platz. Dort hat die Polizei bereits eine Sperre errichtet. Zweimal hält Kay T. auf einen Streifenwagen. Mit hoher Geschwindigkeit rast er auf sie zu. Als sei alles eine Art Computerspiel. Rechts, links, links, rechts, Feuer! Beim dritten Wagen klappt's. Der Golf der Flüchtenden kollidiert mit einem Polizeiwagen, der zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung wie Kay T. lenkt. Simon S. stirbt noch am Unfallort. Kay T., von den Beamten aus dem Wagen gezogen, versucht noch immer zu fliehen. Wird dann aber in ein Krankenhaus eingeliefert.
Heute meint Kay T., Simon S. trage die Verantwortung. Er habe ihn zur Flucht veranlasst. Da Kay T, keine Ortskenntnis besitze, habe er ihn durch die Stadt dirigiert. Aus Angst, mit dem Pillenbeutel geschnappt zu werden. Tatsachlich aber wurde kein solcher Beutel gefunden. Dass sein "Freund" Simon einer geregelten Arbeit nachging, war Kay T. nicht bekannt. Simon S. hätte, selbst wenn er wollte, dieser Amokfahrt nicht entrinnen können. Der Wagen war zentralverriegelt und konnte nur von außen geöffnet werden.
Für Kay T., der erst seit drei Monaten wieder auf freiem Fuß war, bis er durch diese Amokfahrt die Justiz wieder auf sich aufmerksam machte, steht einiges auf dem Spiel. Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227) ist nur ein Vorwurf. Die aber brächte ihm eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren ein.
Urteil: u. a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge 3 Jahre/6 Monate ohne Bewährung und ohne Möglichkeit der "Halbstrafenentlassung".
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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Nebenklägerin, die Mutter des Beifahrerers Simon S.: "Kay T. will die Schuld auf meinen Sohn abwälzen."
Angehörige des Verunglückten.
Anwalt der Nebenklage: Andreas Kramer: "Simon konnte den Fluchtwagen nicht verlassen. Er war zentralverriegelt."
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