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aus dem moabiter kriminalgericht
Bucklige
Verwandtschaft: der Kronzeuge
von Barbara
Keller
01. April 2004.
Kriminalgericht Moabit.
Blut ist dicker als Wasser. Besonders im türkischen
Sozialgeflecht. So bittet Hakan L. Ende 2003 den heute
Angeklagten, Cezmi Y. (34), einen Onkel für einige
Zeit bei sich unterzubringen. Cezmi Y. willigt ein. Er
gibt seinem Verwandten einen Schlüssel für die
Wohnung. Doch dann bemerkt er, dass die Beiden mit Drogen
handeln. Sie verwenden die Wohnung des bislang kriminell
Unbescholtenen als so genannten "Bunker". Zunächst
verbittet sich Cezmi Y. das und fordert, umgehend das
Kokain aus seiner Wohnung zu entfernen. Doch dann
lässt er sich mit einem Handgeld von 50 Euro
beschwichtigen . . .
Unwesentliche Zeit später hat er in
seiner Wohnung Besuch von der Polizei. Ein Zufallsfund
bringt ihn in Handschellen. Nach drei Monaten U-Haft sitzt
Cezmi Y. vor Gericht. Die Anklage lautet: "Unerlaubtes
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge."
Cezmi Y., 1970 in der Türkei
geboren, türkischer Staatsangehöriger, kommt
Ende 1993 nach Deutschland. Er stammt aus einer
wohlsituierten Familie. Sein Vater ist Beamter, seine
Mutter Hausfrau. Cezmi Y. wächst als siebentes der
zehn Kinder der Familie Y. auf, lernt Koch und wird
14jährig verlobt. Zunächst muss er jedoch zum
Militär. Er kämpft gegen die kurdische PKK,
verliert dabei seinen besten Freund. Viele seiner
Kameraden kehren als Krüppel heim.
Als Cezmi Y. seine Militärzeit
beendet, steht die Heirat an. Bisher hat er seine Braut
noch kein einziges Mal gesehen. Seine Schwiegereltern
bestehen darauf, dass er nach Deutschland geht, da seine
Frau dort einer Ausbildung nachgeht. Cezmi Y. ist mit
dieser Heirat unglücklich. Doch man arrangiert sich,
hat sogar zwei Kinder miteinander. Cezmi Y. schlägt
sich mit Jobs in diversen Imbissen durch. Seine Frau ist -
anders als Cezmi Y. - sehr religiös, trägt
Kopftuch, die Kluft zwischen Beiden bald
unüberbrückbar. 1999 trennt man sich.
Vier
Jahre später lässt die Staatsanwaltschaft
Memmingen die Wohnung von Cezmi Y. durchsuchen. Er steht
in Verdacht, an einem Raubüberfall beteiligt
gewesen zu sein, da sein Pass in diesem
Zusammenhang auftaucht. Bei der Hausdurchsuchung finden
die Polizeibeamten im Herd das Kokain (ein Viertel
Kilogramm), die Waage und das dazugehörige Utensil in
der szenetypischen Verpackung. Ein Zufallstreffer.
Wie sich später herausstellt, wurde
Cezmi Y.s Pass von einem der am Raubüberfall
Beteiligten gefälscht und benutzt. Cezmi Y. wird in
dieser Sache freigesprochen. Die Anklage wegen
"Handeltreibens mit Betäubungsmitteln" jedoch bleibt.
Cezmi Y. ist geständig. Er
erzählt den Kriminalbeamten alles, was er über
diese Sache weiß. Er fühlt sich von seinen
Verwandten ausgenutzt, sagt er. Die ganze Angelegenheit
sei ihm peinlich. Vor Gericht beteuert er immer wieder:
"Es tut mir leid, so viel Menschen mit dieser
Angelegenheit zu beschäftigen."
Richterin und Staatsanwältin
scheinen von der Unbescholtenheit des Angeklagten
überzeugt. Sie bringen die Kronzeugenregelungen
in §31 und § 129 a zugunsten Cezmi Y. in
Anwendung. Wegen der großen Menge der Drogen, die
übrigens von ausgezeichneter Qualität ist, kann
die Freiheitsstrafe jedoch nicht unter zwei Jahren
abgehen. So lautet das Urteil für Cezmi Y.
schließlich "zwei Jahre Haft, ausgesetzt auf drei
Jahre Bewährung" wegen des "Besitzes von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der
Beihilfe zum Handeltreiben". Spätestens in zwei
Stunden wird Cezmi Y. auf freiem Fuß sein.
Sind jemandem Zweifel gekommen? Erscheint
der gepflegte, freundliche Angeklagte zu opportunistisch?
Hat Pflichtverteidigerin Yosma Karagöz ihren
Mandanten nicht etwas zu offensichtlich auf die
Kronzeugenregelung abgestimmt? Wie kam Cezmi Y.s Pass nach
Memmingen. Warum behauptet der Angeklagte, von einem
Einkommen von 1.400 Euro netto nicht leben zu können?
Egal. Jedenfalls wurde durch die Aussagen
des Kronzeugen ein Drogenhändlerteam
überführt. Droht Cezmi Y. eigentlich Vergeltung
seitens seiner Verwandten? Yosma Karagöz: "Nein.
Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die schämen sich,
Cezmi Y. in diese Sache reingezogen zu haben."
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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