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aus dem moabiter kriminalgericht
Gemeingefährlich: § 63
von Barbara Keller
26. März 2004. Kriminalgericht Moabit. So hatte sich Marko M., der sich Hoffnung auf eine Bewährungsstrafe und einen Abend in Freiheit machte, den Verlauf seiner Revision sicher nicht vorgestellt. Er schimpft dem Sachverständigen Winterhalter (Arzt für Nervenheilkunde) hinterher: "Ich weiß gar nicht, was der will. Ich habe keine Psychose!" Mit der Anfechtung eines Teils des Urteilsspruches von 2003 hoffte Marko M., den § 63 abzuschütteln. Mit diesem Paragrafen war er als vermindert schuldfähig und für die Allgemeinheit gefährlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden. Jetzt soll alles nur Jux gewesen sein. Marko M.: "Ich habe übertrieben, weil ich dachte, ich komme schneller wieder aus dem Knast raus." Winterhalters Gutachten hat jedoch alles noch viel schlimmer gemacht.
Marko M. - Igelhaarschnitt, tiefe Augenränder - ist ein mittelgroßer, gedrungener Mensch mit großem Kopf und lauter, polternder Stimme. 1977 in Opole (Polen) geboren, wächst er in Deutschland in behüteten, gutbürgerlichen Familienverhältnissen auf. Sein Vater führt einen Malermeisterbetrieb, seine Mutter (gelernte Goldschmiedin) betreibt ein Solarium, in dem auch sein Bruder arbeitet.
Bis zu seiner Pubertät läuft offenbar alles normal. Doch dann plötzlich hat Marko M. das Gefühl, nicht mehr er selbst, von anderen fremdgesteuert zu sein, nicht der sein zu können, der will. Manchmal fühlt er sich verfolgt und beobachtet. Wenn es besonders schlimm ist, trinkt er, tritt zu Hause wütend gegen die Wand.
- Tier- und Waffenlieb -
Beruflich kann Marko M., der gerne Polizist geworden wäre, nicht heimisch werden. Er bringt die notwendige Energie nicht auf. Als Marko M. zur Bundeswehr kommt, leidet er bereits unter einem ausgewachsenen Waschzwang, den er jedoch vor den anderen verheimlicht. Er brilliert als Klassenclown, den keiner ernst nimmt.
Vorbestraft ist Marko M. wegen Fahrens ohne Führerschein unter Alkoholeinfluss. Und dann hat er einmal die Scheibe eines Lokals mit einer Schreckschusspistole zerschossen, weil man ihn hinauswarf. Mit Mädchen kann Marko M. nichts anfangen. Manchmal fragt er sich, ob er wohl schwul ist.
Im März 2003 wohnt der arbeitslose Marko M. mit einer Unzahl von Tieren - Schildköten, Schlangen, einer Perserkatze, Tieren in Aquarien - und einer größeren Waffensammlung in der Eigentumswohnung, die ihm seine Eltern kauften. Marko M. ist in einer Sackgasse angekommen. Er erhält kein Arbeitslosengeld, weil er seinen letzten Job selbst kündigte und ist mit seinen Erzeugern über Kreuz. Als er den folgenschweren Überfall plant, trinkt er seit zwei Wochen Alkohol im Übermaß.
- Jux-Überfall -
Sonnabend. 8. März 2003. Marko M. will abends gegen 22:00 in die Disco gehen. Ihm fehlt das nötige Kleingeld. Er plant einen Überfall auf das Tierfachgeschäft "Futterhaus", in dem er Stammgast ist. Er. denkt an eine Beute von ca. 50 €. Er nimmt Handschuhe, ein Teppichmesser und die Scream-Maske mit, die er auf der Loveparade gekauft hat.
Der Gelegenheits-Räuber fährt mit dem Fahrrad zum Tatort. 15:30 - eine halbe Stunde vor Feierabend - betritt Marko M. den Tierfachhandel, in dem wie meistens die Verkäuferin Heike A. (43) bedient. Die burschikose Blondine sieht den maskierten Mann in Militärkluft und denkt: "Sehr witzig!" Zweimal fordert Markus M.: "Kasse her!" Dann auch mit gezücktem Teppichmesser. Aber Heike A. denkt gar nicht daran. Im Gegenteil. Sie schiebt die Kasse zu und ruft mittels Klingel ihren Kollegen." Als Marko M. - wie sonst auch - mit "Hallo Meister!" grüßt, antwortet dieser: "Dich kenn' ich doch!". Daraufhin ergreift der Erkannte die Flucht mit dem Bemerken: "War nur'n Witz."
- Amok-
Zu Hause angekommen verwüstet Marko M. vor Wut über den missglückten Raub die Wohnung. Als er das Martinshorn eines Polizeiwagens hört, will er das "ganz große Finale": sich von der Polizei erschießen lassen. Marko M. überfällt die nahe Aral-Tankstelle, erbeutet 700 € und richtet sich dort Geisel nehmend häuslich ein. Er flirtet mit einer der Verkäuferinnen, wirft mit Geld um sich, lässt sich bedienen und schließlich auch widerstandslos von der herbeigeeilten Polizei verhaften.
- Endstation Geschlossene -
Marko M.'s Überfälle wurden 2003 vor der 22. Strafkammer als "schwere räuberische" und "versuchte räuberische Erpressung" mit drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug gewürdigt. Unter Anwendung des § 21 (verminderte Schuldfähigkeit) und § 63 (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) gelangte Marko M. in den Maßregelvollzug auf dem Gelände der Karl-Bonhöfer-Klinik als Einer der circa 400 psychisch kranken Straftäter.
- Sachverständigenurteil -
Aber gehört Marko M. wirklich dort hin? Gutachter Winterhalter meint: "Ja!" Marko M. sei bereits seit langem schleichend psychisch erkrankt. Während ein erstes Gutachten Marko M. eine isolierte "Zwangserkrankung" bescheinigte, spitzte Winterhalter, sachverständiger Arzt für Nervenheilkunde, die Diagnose zu. "Endogene Psychose" und "schizophrene Erkrankung" lautet sein Urteil. Wegen der mangelnden Einsicht von Marko M. in seine Erkrankung und seine Weigerung zur Kooperation mag der Sachverständige keine positive Prognose stellen: "Mit weiteren Straftaten ist zu rechen." Richter Dr. Andreas Mosbacher schloss sich diesem Gutachten an: "Weitere Amokläufe müssen verhindert werden."
Jetzt kommt Marko M. frühestens in anderthalb Jahren auf freien Fuß. Jedoch auf jeden Fall erst dann, wenn das Ergebnis der jährlichen Untersuchung durch einen Gutachter die Gefährdung der Allgemeinheit durch Marko M. ausschließt. Ob Rechtsanwalt Nurali Turan für Marko M. ein weiteres Mal in Revision geht, bleibt abzuwarten. Marko M., der in seinem "letzten Wort" noch Hoffnung auf ein Urteil mit Bewährung hegte, wendete ein: "In der Psychatrie stumpft man ab."
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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