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aus dem moabiter kriminalgericht


Bälle an der Schneebörse


von Barbara Keller

28. Okt. 03. Kriminalgericht Moabit. 14. Große Kammer.
Angeklagt ist Matthias G. (37) wegen "gewerbsmäßigen Betrugs". Als Geschäftsführer der G & R AG hat er die Veruntreuung von über 32 Millionen Euro zu verantworten. Gelder von ca. 600 größtenteils Kleinaktionären, die ihr Geld zur weiteren Verwendung an der Börse der R & G AG anvertrauten


Die Hauptverhandlung beginnt schleppend. Nach einschlägigem Aufruf der Sache und der Feststellung, dass Angeklagter nebst Verteidiger und die notwendigen Beweismittel vorhanden sind, beginnt der Staatsanwalt mit der Verlesung des Klagesatzes. Presse - fünf Medienvertreter - und Publikum - Stücka vier - setzen sich erwartungsvoll in Position. Auffallend gelassen bleiben Richter, Schöffen und Gerichtsbeamte, die gleich zu Beginn eine bequeme Sitzposition wählen. Verlesen wird die
gesamte Liste der Gläubiger. Nach dem Alphabet. Und dauert: geschlagene zwei Stunden.

Es bleibt Zeit, das rustikal kaiserzeitliche Ambiente des Saales zu bewundern und einen Blick auf das Publikum zu werfen. Holzverkleidete Wände, eine gusseiserne, verzierte Absperrung zur Angeklagtenbank hin, bleiverglaste Fenster mit bunten Scheiben, die das Tageslicht filtern, zwei Reihen für Presse und Prozessbetroffene, hinter einer oberschenkelhohen Holzbarriere zwei Reihen Zuschauerbänke (schmuckloses helles Holz). Bei wiederholter Änderung der Sitzposition fällt der Blick auf die schwere Kassettendecke, den monströsen Kronleuchter und die beiden ufoartigen Leuchter am Richtertresen, die das traurige Geschehen in schmutzig gelbes Licht tauchen.

Auf den Zuschauerbänken: ein scheinbar wohlsituierter Herr mittleren Alters, ein zittriges Rentnerpärchen, das sich gut gelaunt mittels eines abgegriffenen Notizhefts verständigt und wiederholt zukichert, ein korrekt gekleideter junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren, der seinen Kopf schwungvoll zur Seite wirft, als er ein seinem Schuh anhaftendes, längeres graues Haar mit spitzen Fingern neben sich auf den Boden wirft.

Während der Anklageverlesung lauscht der Angeklagte G. wie hingegeben reglos seinem Sündenregister. G.: ein kleiner dynamischer Mann, Oberlippen- und Sandmannkinnbart, kragenlanges, glatt nach hinten gekämmtes, etwas speckiges Haar, schwarze Kuschel-Strickjacke. Einmal ändert er seine Position: als der Staatsanwalt beim Buchstaben S anlangt und vom Richter mitfühlend ein Glas Wasser angeboten bekommt. Beim Aufruf des Buchstaben W füllen sich die Bänke der Pressevertreter. Auch das Fernsehen ist da. Die Stunde der Wahrheit naht. Der Staatsanwalt "denkt" fünf Jahre Freiheitsentzug für den gewerbsmäßigen Übeltäter an. Der Angeklagte hat das Wort.

Vor dem Gericht entspinnt sich die Geschichte eines Opfers. "Ich wurde 1966 geboren ... besuchte bis 1973 die zehnklassige, allgemeinbildende Oberschule ... verheiratet seit 1973 ... Ausbildung als Installateur ..." Eine Ostkarriere, die mit der Wende endet, als Verkaufsleiter bei Stiebel Eltron wieder Aufwind erfährt und mit den fiktiven Börsengeschäften bei der G & R AG Bruch landet.

Als Matthias G. 1995 von Herrn B. (einem gebürtigen Kroaten), dem Eigentümer der G & R AG angestellt wird, schreibt das Geschäft schwarze Zahlen. - Sagt G. - 2001 entdeckt G. Unregelmäßigkeiten in der Buchführung. Er spricht seinen Chef darauf an, der ihn teils beruhigt und andererseits leise droht. - Sagt G. - Während der Angeklagte sich damals - trotzdem er auch im Aufsichtsrat der G & R AG sitzt - der Vogel-Strauß-Politik hingibt, baut B. eine Art Schneeballsystem auf. An der Börse in New York läuft nichts mehr. Die simulierten Gewinne der Aktionäre begleicht der Kroate von den Einlagen der Neukunden. Ein Spiel auf Zeit. 2001 schichtet B. nur noch um. Die Kapitaldecke ist löchrig wie ein richtig guter holländischer Käse.

2002 scheidet Matthias G. aus der R & G AG aus. Friedlich betreibt er mit seiner Frau eine Weinhandlung. Nicht viel später macht sich B. aus dem Staub und die Kripo tritt auf den Plan. Während der Eigentümer des Unternehmens nun international mit Haftbefehl gesucht wird, muss sich Matthias G. der Justiz stellen.

Matthias G. ist geständig. Ja, der alleinig Verantwortliche für die Handelsabwicklungen war B. Nein, wenn da ein paar Millionen fehlen, weiß er nicht, wo die geblieben sind. B. hält Matthias G. für ein Opfer der Börsenmisere. Nein, Matthias G. beteuert, nicht von diesen faulen Geschäften profitiert zu haben. Der Richter: "Ich sehe hier gerade Ihre privaten Kontoauszüge. Neben dem gleichbleibend hohen Gehalt als Geschäftsführer sind da auch immer wieder Bareinzahlungen bis zu 130 000 Euro." G.: "Das sind die Provisionen eines unserer Mitarbeiter." Aha.

Der Richter: "Die Weinhandlung ist natürlich auf den Namen ihrer Frau eingetragen?" Ja, seine Frau sei älter als er und könne keine Arbeit finden, sagt Matthias G. und dann leiser, fast unverständlich: "Da musste ich sie unterstützen."
Das Symptom brüchige Stimme taucht bei Matthias G. auf, als der Richter ihn fragt, ob er sich bereits Gedanken darüber gemacht hat, wie er die Schulden zurückzahlen wird. G.: "Ich bin mir bewusst, dass ich die Schulden in diesem Leben nicht mehr abzahlen kann. Aber ich werde meine ganze Kraft dafür geben."

Der Staatsanwalt beantragt - aufgrund der Geständigkeit des Angeklagten, aber auch in Ansehung der Schwere der Straftat - fünf Jahre Haft. G.'s Rechtsanwalt ist, gemeinsam mit seinem Klienten - sehr einverstanden.

Bevor sich das Gericht zur Beratung und Verkündigung des Urteils zurückzieht, hat der Angeklagte ein letztes Wort. Matthias G. weint nun zum zweiten Mal. Formuliert Luftentschuldigungen an die Gläubiger und die Mitarbeiter seines früheren Unternehmens. Er ist schlecht bei Atem und bringt stoßweise hervor, dass er in Zukunft die Hände von der Branche lassen will. "Das sollten lieber Leute machen, die das studiert haben." Irgendwie erinnert diese naive Rührseligkeit peinlich an Mielkes "Aber ich liebe euch doch alle." Na ja, senken wir leise den Vorhang über der traurigen Szenerie.

Fazit: der Urteilsspruch des Gerichts bestätigte den Antrag des Staatsanwaltes. Matthias G. wird wegen seiner Geständigkeit aus der Untersuchungshaft entlassen. Haftantritt ist Sommer nächsten Jahres.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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