sitemap
Ukrainekrieg, was tun ... Kanzlei Hoenig
gitter
zur Startseite
Mitfahrgelegenheit, blablacar

aus dem moabiter kriminalgericht


Feilschen bis zum Schluss


von Barbara Keller

15. Januar 2004. Kriminalgericht Moabit.
Am 30. März 2003 rasen Robert H., René H. und K. volltrunken mit einem Skoda die Straße Am Seegraben (Treptow) entlang. Sie fahren mindestens 80 km/h - erlaubt sind 50 km/h. Zu ihrer besseren, durch Alkohol getrübten Orientierung fahren sie direkt an der rechten Fahrbahnkante, auf dem Fahrradweg. Dass da ein Fahrradfahrer fährt, bemerken sie erst, als es zu spät ist.


Am 30. März 2003 fahren Robert H. (39), Fernmeldemonteur, Sohn René (18), Fliesenleger, und dessen Freund K. mit dem Auto auf eine Jugendclub-Party in Treptow. Gegen 21:30 treffen sie mit eigener Musikanlage ein. Es wird kräftig getrunken. Als sich sein Sohn ernsthaft mit einem anderen Jugendlichen streitet - es ist bereits nach drei Uhr nachts - räumen die Drei das Feld. - Robert H. hat zu diesem Zeitpunkt 1,75 Promille Alkohol im Blut. Das sind circa zehn Bier, bzw. zwei Liter Weißwein. Auch die Jungs sind tüchtig angetrunken, als sie in den Firmenwagen (Skoda Octiavia) von Robert H. einsteigen.

Weder suchen die betrunkenen Geisterfahrer auf Schleichwegen nach Hause zu kommen, noch mit gedrosselter Geschwindigkeit, Gefahren zu minimieren. Als sie um vier Uhr die Straße Am Seegraben (Nähe Grünbergallee/Treptow) passieren, rasen sie mit mindestens 80 km/h auf dem Radweg, direkt an der Bordsteinkante, entlang. Erlaubt sind 50 km/h. Den Mountainbikefahrer Tom P. (17), der auf dem Radweg nach Hause unterwegs ist, sieht keiner von ihnen.

Plötzlich ein entsetzlicher Knall, Funken stieben, Vollbremsung, etwas knallt an die Frontscheibe, fliegt über den Wagen. Jetzt sehen die drei Raser Tom P. zum ersten Mal in ihrem Leben und als Letzte lebend. Er liegt schwer verletzt auf dem Rasenstreifen rechts von der Fahrbahn. Der Junge lebt noch ein paar Minuten, bevor er stirbt. Die spätere Diagnose eines Gerichtsmediziners: Hirngewebszerreißung, verursacht durch den Aufprall seines Kopfes an der Dachkante des Skoda. Das Fahrrad ist in drei Teile zerborsten, die Einzelteile liegen hunderte von Meter weit um die Unfallstelle verstreut.

Schnell sind Helfer zur Stelle. Zwei Frauen, die sofort Maßnahmen der ersten Hilfe einleiten, ein Taxifahrer, ein Bundeswehrsoldat, drei Jugendliche. Auch Feuerwehr und Notarzt erreichen schnell den Unfallort. Aber jede Hilfe kommt für Tom P. zu spät. Als der Notarzt Robert H. mitteilt, dass der Fahrradfahrer tot ist, beginnt der sichtlich schwankende, lallende Robert H. an zu weinen. Aber war er wirklich der Fahrer?

Die Gerichtsverhandlung - ein dreiviertel Jahr später. Robert H. ist wegen fahrlässiger Tötung und Trunkenheit am Steuer angeklagt. Zusammengesunken sitzt er auf seinem Stuhl vor dem Schöffengericht. Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit kurzem Haarschnitt. Er trägt Jeans, ein blau und grau gestreiftes Hemd, robuste Wildlederstiefel. "Ich habe das nicht gewollt. Es tut mir so leid", weint er in Richtung Nebenklage. Dort sitzt schwer und schweigend der Vater von Tom P.

Sohn René, ein kleiner Dandy und Hitzkopf, trägt eine beige, weit geschnittene Kordhose, einen weißen Strickpullover, eine Fell gefütterte Lederjacke. Das Basecape Ton in Tone zu den Hosen dreht und knetet er zwischen den Händen. Er verweigert wie sein Vater die Aussage. Zufrieden benickt er die Ausführungen des Verteidigers. Der Fahrradfahrer Tom P. sei ohne Beleuchtung gefahren. Die Unfallstelle schwer einsehrbar, schlechte Lichtverhältnisse. Das alles ein bedauerlicher Unglücksfall.

Die Wende kommt mit dem Gutachter. Prof. Dr. Helmut Rau erklärt, dass der Skoda (Unfallwagen) mindestens 80 km/h gefahren sein muss. Er bezeichnet es als die "unterste Grenze" seiner Untersuchungsergebnisse. Dr. Rau bestätigt gute Sichtverhältnisse, eine trockene Fahrbahn und räumt mit dem Gerücht auf, Tom P. sei als betrunkener Fußballfan auf der Fahrbahn Schlangenlinien gefahren.

Tatsächlich hatte der Siebzehnjährige morgens um 4:00 Reste von höchstens einem Bier in der Blutbahn. Wäre der Angeklagte Robert H. mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit gefahren und hätte er den Fahrradweg beachtet, gäbe es keinen Verkehrstoten. Nach Ansicht des Gutachters gab es für Tom P., dessen Jacke und Hose helle, reflektierende Streifen hatten, selbst mit einem Rücklicht keine Chance.

Die Staatsanwältin macht keinen Hehl aus ihrem Verdacht, dass René H. - der Sohn des Angeklagten - der tatsächliche Fahrer des Unfallwagens war. Die Zeugenaussagen jedoch widersprechen sich. Die Verhandlung ist schnell vorbei, das Urteil ebenso schnell gesprochen. Zwei Jahre und acht Monate Haft ohne Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und Trunkenheit am Steuer für Robert H. sowie fünf Jahre Führerscheinentzug. Vater und Sohn beginnen, hemmungslos zu weinen. René stürzt hinaus auf den Flur.

Später steht die ganze Familie von Robert H. weinend und sich umarmend auf dem Flur. In spätestens 32 Monaten ist für sie der Spuk vorbei. Schweigend geht an ihnen der Vater von Tom P. vorüber. Für ihn und seine Familie wird es nie vorbei sein.



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




gitter

Familie H. bangt um das Urteil
Familie H. in Tränen aufgelöst. Im Vordergrund René H.

Anzeige
Kanzlei Luft
In eigener Sache:
Barbara Keller, Sieht so eine Mörderin aus?
Kanzlei Hoenig Kanzlei Hoenig Ukraine Krieg, was tun ...