Renate K. kann es noch immer nicht fassen: "Warum hat er mir das angetan?", fragt sie und: "Ich habe ihm so etwas nicht zugetraut." Renate K. sagt immer noch 'mein Mann'. Dabei ist sie seit knapp zwei Wochen rechtskräftig von Rudolf K. geschieden. Von dem Mann, mit dem sie mehr als 44 Jahre verheiratet war und der einen Tag vor Silvester 2005 von hinten an sie herantrat und als er wie jetzt immer vergeblich eine Antwort von seiner getrennt lebenden Frau erwartete, das Klappmesser an ihren Hals setzte und zustach.
Renate und Rudolf K. führten vor der Wende eine Ehe wie sie nicht unüblich für ihre Generation ist. Eine Gemeinsamkeit aus gutem Zweck und Gewohnheit, die sich aus Mangel an Besinnung ihrer mageren Fundamente kaum bewusst war. Eine Lebensform, die nach der Wende nicht selten an der neuen Freiheit und den neuen Bedrängnissen scheiterte.
Der starke Mann
Das Ehepaar, das 1961 heiratet, weil Renate K. schwanger ist, lebt mit seinen zwei Söhnen in einer Mietwohnung in Frankfurt Oder. Renate K. arbeitet in einem medizinischen Labor, ist Mutter, Hausfrau, fügsame Gattin. Rudolf K. dagegen als Bauleiter, Ernährer der Familie - ein dominanter, herrischer Mensch - auch der Chef der Familie.
Immer wieder lässt Rudolf K. seine Ehefrau spüren, dass sie ihm nicht genügt: "Mit einer anderen Frau hätte ich ein besseres Leben gehabt" und "nicht lebenstüchtig" sei sie, sagt er und nörgelt an ihr herum. Bereits 1970, als sie sich in Groß Lindow den Bungalow in der Nähe des malerischen Helenesee zulegen, reicht Renate K. das erste Mal die Scheidung ein.
Aber dann rauft man sich doch wieder zusammen. Nach der Wende, die Söhne sind bereits erwachsen, wird zuerst Renate K. arbeitslos. "Such dir eine Arbeit!", schimpft ihr Mann und: "Ich bin nicht bereit, dich zu ernähren!" Renate K. macht eine Umschulung als Verwaltungsfacharbeiterin und findet einen Job im öffentlichen Dienst. "Ich war ausgefüllt", erklärt sie. Ihr Arbeitsvertrag garantierte ihr eine Beschäftigung bis zum Übergang in die Rente.
Tags im Schlafanzug vor der Röhre
Schließlich aber wird Rudolf K., jetzt 55 Jahre alt, arbeitslos. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Mann, der fleißige Selfmademan mit dem 8-Klassenabschluss, verliert über Nacht und Nebel seinen gesellschaftlichen Status und zu Hause nun völlig die Contenance. Bis mittags sitzt er im Schlafanzug vor dem Fernseher, ist ungenießbar, während seine Frau arbeiten geht. 1991 eskaliert die Situation und Renate K. sucht vorübergehend Schutz in einem Frauenhaus.
Mit seiner Idee, den Bungalow in Groß Lindow auszubauen, beginnt der Tragödie letzter Teil. Auch dieses Mal bringt Renate K. nicht die Chuzpe auf, endlich 'nein!' zu sagen. Dabei ist sie ein Stadtmensch, liebt ihre Arbeit und will nicht in die Provinz ziehen. Praktisch und klug rät ihr großer Sohn André: "Lass doch den 'Dicken' rausziehen. Dann seht ihr euch eben an den Wochenenden."
Traumhaus am See
Aber auch dieses Mal gibt Renate K. nach. Gibt ihre Arbeit auf, um ihrem dominanten Mann und Bauleiter a. D. bei der Umsetzung seines ehrgeizigen Projektes zu helfen. Im November 2003 bezieht das Ehepaar das fast fertige Haus, in dessen unmittelbarer Nähe der klare Helenesee und eine wunderbare Landschaft liegen.
Doch nun setzt bei Rudolf K. wieder der Blues ein. Unfähig, das Idyll zu genießen, tyrannisiert er seine Gattin. Mit nichts ist er zufrieden. Der Rasen ist nicht richtig gemäht, das Essen "Fraß", die Hemden sind nicht sauber. Renate K. soll das Grundstück nicht verlassen, nicht mit den Nachbarn sprechen, die seine 'Feinde' sind, weil er mit ihnen nur schriftlich via Rechnung und Beschwerde verkehrt.
Den Schädel ab- und Zähne ausschlagen
"Dir müsste man die Zähne aus dem Lügenmaul schlagen", "den Schädel mit dem Spaten abschlagen" beschimpft Rudolf K. seine Frau, und beim Frühstück macht er ihr vor, wie die Araber 'ganz zu Recht' untreue Frauen steinigen. Das hat er aus dem Fernsehsender Al-Dschasira. Als Renate K. trotz Verbot die Nachbarn grüßt, droht er: "Wenn du die noch einmal grüßt, haue ich dir die Beine weg!" Und: "Dich mach ich so fertig, dass du von allein vom Balkon springst."
Soweit will es Renate K. nicht kommen lassen. Sie hat zudem, "mit 65 bleibt nicht mehr so viel Zeit", sagt sie, das Leben entdeckt, die Natur, das Radfahren, wird Mitglied eines Chores und findet über den freundlichen, sportlichen L. zur Eisbadertruppe des Helenesees. "Das ist doch das Rentenalter: den Tag genießen!", sagt sie.
Den Tag genießen
Zwei Jahre nach Einzug in das Idyll am Helenesee, am 22. August 2005, verlässt Renate K. klammheimlich ihren Mann. Sie hinterlässt einen kurzen Abschiedsbrief, ihre Handynummer, damit er sie nicht durch die Polizei suchen lässt, und nimmt Kater Mohrchen mit. Renate K., die trotz aller Eskapaden ihres Mannes "die Geborgenheit in der Ehe schätzte", sagt: "Ich wäre nie ausgezogen, wenn es nicht so bedrohlich geworden wäre."
Die neue Wohnung von Renate K. in Brieskow-Finkenheerd liegt fünf Kilometer östlich von Groß Lindow entfernt. Es dauert einen Monat, bis Rudolf K. die Adresse ausfindig gemacht hat. Dann beginnt er ihr nachzustellen, terrorisiert sie mit Anrufen, schreibt ihr Rechnungen.
Zu ihrem gemeinsamen Sohn sagt er: "Deine Mutter mach ich so fertig. Die ist in zwei Jahren im Obdachlosenheim." Auszahlung der Eigenheimzulage, Vermögensteilung - davon will Rudolf K., der die Trennung ablehnt, nichts wissen: "Du weißt ja, was du in den Topf getan hast."
Tag und Nacht observiert
Auch dem befreundeten Eisbader L., den der schon immer eifersüchtige Rudolf K. für den Liebhaber seiner Frau hält, droht der verlassene Ehemann. Als er am 27. September 2005 um das Haus seiner Frau schleicht und mit der Taschenlampe in deren Parterrewohnung leuchtet, sieht er die Beiden beieinander sitzen.
Er randaliert, tritt auf die Tür seiner Frau ein, demoliert das Fahrzeug von L., schlägt ihm ins Gesicht und droht: "Dir schlitz ich den Bauch auf, du Schwein!" - "Er hat mich Tag und Nacht observiert", erklärt Renate K., die schließlich aufgehört hat, mit ihrem Mann zu reden.
Dann das blutige Finale am 30. Dezember 2005. "Ein schöner, klirrender, sonniger Wintertag", sagt Renate K. Spontan hat sie sich beim Frühstück entschieden, beim Abbaden im Kiessee bei Vogelsang dabei zu sein. Obwohl das Wasser dort nicht so schön ist wie im Helenesee.
Ein schöner, klirrender, sonniger Wintertag
Als sie gegen 14:00 den See mit dem Rad erreicht, sieht sie schon von weitem seinen Jeep links von der Badestelle stehen. Ihr ist seine Gegenwart peinlich. Wird er ihr, die, wie er alle wissen lässt, schließlich immer noch seine Frau ist, wieder eine Szene machen?
Sie folgte dem Rat eines Bekannten, "sieh einfach nicht hin" und beginnt sich an der Böschung bei den Anderen zu entkleiden. Da tritt ihr Mann von hinten an sie heran: "Was soll das letzte Schreiben von deiner Rechtsanwältin?", fragt er. Und: "Wollen wir uns nur noch über die Rechtsanwälte unterhalten?"
Als ihn Renate K., wie in letzter Zeit immer, ignoriert, "die kalte Schulter zeigt", geht alles sehr schnell. Er zieht sie an sich heran und schneidet ihr, die einen schwachen Versuch der Gegenwehr unternimmt, von links nach rechts quer über den Hals. Ein Schrei, das Blut spritzt, ein ungläubiger Ruf: "Was macht der denn da, der schneidet sie ja!"
Das war's!
Dann sieht Renate K., die auf den Boden gesunken ist, ihren Mann in aller Seelenruhe die Böschung hinauf schreiten. "Ganz zufrieden, die Hände in den Hosentaschen", so erschien es Renate K., aus der in diesem Moment unentwegt das Leben weicht und die überzeugt ist: "Das war's."
Ihr sparsam geiziger Ehemann hat zu diesem Zeitpunkt 13.000,-- Euro bar in der Jackentasche, wie sie später erfährt. - Renate K., der geistesgegenwärtig ein Bekannter einen Bademantel als Druckverband um den Hals wickelte, überlebte. Wenn auch schwer traumatisiert.
Ein halbes Jahr später beginnt die Hauptverhandlung gegen Rudolf K. wegen versuchten Mordes. Rudolf K., so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, habe aus Habgier und in Heimtücke seine Frau zu Tode bringen wollen.
Mord aus Habgier und in Heimtücke
Während die ersten beiden Prozesstermine mit der Anhörung der Hauptbelastungszeugin und Nebenklägerin Renate K. vergehen, schweigt Rudolf K. zu den Vorwürfen. Sein Berliner Rechtsanwalt Carsten Hoenig gibt zumindest eine rechtsanwaltliche, von seinem Mandanten jedoch nicht bestätigte Erklärung ab.
Rudolf K. könne sich an die Tat selbst nicht erinnern und hätte nicht die Absicht gehabt, zu töten. Er fühle sich noch immer wie jemand, dem man etwas weggenommen hätte. Der böse Brief der Rechtsanwältin seiner Frau habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Rechtsanwalt Carsten Hoenig: "Rudolf K. kann sich nicht erklären, was passiert ist."
Mit einem Antrag auf ein interdisziplinäres Gutachten, das auch neurologische Gesichtspunkte, eventuell bereits vorhandene Hirnschädigungen seines Mandanten, berücksichtigt, hofft die Verteidigung, über §20 (Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen) oder
§21 (Verminderte Schuldfähigkeit) des StGB Einfluss auf das Strafmaß zu nehmen.
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