Die Vorgeschichte: Der heute angeklagte Norbert Juretzko und ein weiterer BND-Spion bringen 1997/98 die brisante 'Geheimdienstaffäre Foertsch' ins Rollen. Beide akquirierten im Auftrag des BND nach 1989 geheimdienstrelevante Unterlagen in abenteuerlichen Tauschgeschäften bei den russischen Truppen und werben russische Offiziere zu längerfristiger Zusammenarbeit an. Ein Informant "Rübezahl" soll sie nach ihren Angaben spätestens 1997 auf eine lecke Stelle beim Nachrichtendienst, den BND-Direktor Volker Foertsch, gebracht haben.
"Wenn das rauskommt ..."
Im März 1998 gibt es eine hochnotpeinliche Top-Secret-Runde bei Bernd Schmidbauer, Kanzler Kohls Geheimdienstkoordinator, mit Juretzko, bei der der legendäre Satz gefallen sein soll: "Wenn das rauskommt, ..., dann können wir doch alle gleich mit einpacken." Die Sache geht aus wie das Hornberger Schießen. Nach späterer Meinung Juretzkos wird von Regierungsseite die Aufklärung der Foertsch-Affäre verhindert.
Nun geht das Geschoss jedoch nach hinten los. Der BND bezichtigt Norbert Juretzko und seinen Kollegen des Betrugs. Sie sollen seit 1994 den Kontakt zu "Rübezahl" verloren und die Agentenhonorare für diesen klammheimlich kassiert haben, eine halbe Million DM. Um diesen Betrug zu kaschieren, hätten beide eine "Maulswurfsspur" zu Foertsch gelegt.
Falsche Fährten
Im Prozess vor dem Bayerischen Landgericht im Januar 2003, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit läuft, erhält Juretzko schließlich eine Bewährungsstrafe von elf Monaten und behält damit seine Pensionsansprüche, sein Kollege kommt mit einer Geldstrafe davon. Juretzko fühlt sich als "Bauernopfer" verheizt.
Als sich Norbert Juretzko im Januar 2000 aus gesundheitlichen Gründen und im Unfrieden von seinem Arbeitgeber, dem BND trennt, kündigt er seinem Dienstherren, dem er immerhin 20 Jahre und mit Auszeichnungen diente, eine Abrechnung an. Höhnisch soll ihm, so Juretzko, erwidert worden sein, ob er denn überhaupt schreiben könne.
Die Abrechnung
Norbert Juretzko setzt jedoch sein Vorhaben in die Tat um. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wilhelm Dietl, wie Juretzko ehemals unter anderem freier Journalist für FOCUS und stellvertretender Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik, gibt er das Buch "Bedingt dienstbereit, im Untertitel: "Im Herzen des BND - die Abrechnung eines Aussteigers", (Ullstein 09.2004) heraus, in dem er eklatante Missstände innerhalb des BND kritisiert und die Foertsch-Affäre noch einmal aufrollt.
Drei Jahre nach dem Betrugsurteil und zwei Jahre nach dem Erscheinen dieser Enthüllungen der Autoren Juretzko und Dietl, die übrigens reißenden Absatz finden, legt der BND noch einmal mit einer Klage wegen 'Verletzung des Dienstgeheimnisses' nach. Eine Klage, die eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen kann.
Nest beschmutzt
Am 26 April ist ein weitgehend gelassen wirkender Norbert Juretzko zu erleben. Kaum Zuschauer, wenig Presse. Nach der Anklageverlesung, in der von diversen Enttarnungen die Rede ist, von Dienstnamen, Decknamen, Klarnamen, konspirativen Treffs, von "Eulenspiegel", "Lilienthal", "Münchhausen" und "Rübezahl, lässt Norbert Juretzko durch seinen Anwalt Ferdinand von Schirach seine Erklärung verlesen.
In dieser weist Juretzko die Vorwürfe komplett zurück. Erst nachdem alle Versuche gescheitert seien, die Missstände der Behörde auf internem Weg einer Änderung zuzuführen, er als "Nestbeschmutzer" beschimpft wurde, sei er an die Öffentlichkeit getreten.
Die Autoren, so Juretzko, veränderten Namen, Abläufe, wo Fakten für andere Geheimdienste neu waren und präsentierten ansonsten nur bereits bekannte Informationen. Auch im zweiten, die Vorgänge der Dienststelle 12YA betreffenden Teil des Buches.
"Bedingt dienstbereit" im Selbstleseverfahren
Juristisch sei im vorab, durch den Ullstein Verlag in Auftrag gegeben, eine auch in strafrechtlicher Hinsicht sorgfältige Prüfung durch die renommierte Hamburger Kanzlei Johann Schwenn erfolgt. Juretzko habe "ein gutes, sicheres Gefühl" gehabt und verzichtete deshalb auch auf ein Pseudonym. - Dass der BND jetzt klage, überrascht Juretzko, nachdem er seinem Arbeitgeber sein Vorhaben doch angekündigt und dieser keine Bedenken geltend gemacht habe.
Der Vorsitzende Richter Matthias Schertz verordnete den Prozessbeteiligten am ersten Tag der Hauptverhandlung erst einmal die Lektüre des umstrittenen Buches "Bedingt dienstbereit" und unterbrach die Verhandlung...
Urteil (vom 07.06.06): Freispruch. Die Publikation habe "das Ansehen des BND zwar nicht gerade gefördert", so der Vorsitzende Richter Matthias Schertz, das reiche aber nicht für eine Verurteilung. Möglicherweise bahnt sich mit Juretzkows gerade auf den Markt gekommenen Buch "Im Visier" jetzt neuer Ärger an.
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