Nur durch Zufall entdeckte das Berliner Jugendamt im Sommer 2005 die unhaltbaren Zustände im Haushalt der damals nicht berufstätigen Jessica H. (24), die, seitdem sie im Frühjahr 2005 zu Freund Henri Sch. nach Marzahn in den Auerbacher Ring und aus ihrem Haus in Vierlinden auszog, nirgends mehr gemeldet war.
Vier große Hunde (Rottweiler-Schäferhundmixe), eine Katze, zwei Erwachsene und ein dreieinhalbjähriges Kind lebten auf engstem Raum in einer kleinen Plattenbauwohnung. Die Wohnung machte einen verwahrlosten Eindruck, hier und da rottete ein Hundekothaufen still vor sich hin. Max kam umgehend in eine Pflegefamilie. Am 02. März 2006 muss sich Mutter Jessica H. wegen Verletzung der Fürsorgepflicht vor Gericht verantworten.
Von der säumigen Mutter Jessica H. ist am Tag der Hauptverhandlung nichts zu erfahren. Sie schweigt zu den Vorwürfen. Zu ihren Einkommensverhältnissen erklärt die stämmige, ungelernte und jetzt beim Bautenschutz beschäftigte Frau einer sichtlich erstaunten Staatsanwältin, 2.500 Euro bis 3.000 Euro im Monat zum Verbrauch zur Verfügung zu haben.
Auskunftswillig ist indessen der als Gebäudereiniger beschäftigte Freund Henri Sch. Ein drahtig schmächtiger Mann, der leise, schnell nuschelnd spricht und beteuert, mit Jessica H. nur befreundet gewesen zu sein. Allerdings wohnte er seit 2004 bei Jessica H. in der Doppelhaushälfte in Vierlinden und kennt Max von kleinauf.
Von Max' desolatem Zustand und seinen Entwicklungsstörungen will Henri Sch. nichts mitbekommen haben. "Max war ein pflegeleichtes Kind", sagt er. Max sei nie allein gewesen. So viel er weiß. Entweder war Jessica H. da, ein Babysitter oder seine "Wenigkeit". Und krabbeln, da widerspricht Henri Sch. vehement, das konnte er schon: "Wenn er musste, dann ist Max schon gekrabbelt."
Ansonsten aber war man ja keine Familie und Henri Sch. eben auch die meiste Zeit nicht da. Bis 18:00 schlief Henri Sch. nach der Arbeit. Dann erlebte er Max anderthalb Stunden unter anderem beim Abendbrot, um wieder zur Arbeit zurückzukehren.
Anfang 2005 zog der ganze Haushalt – bis auf Max' Kinderzimmer, für das nun kein Platz mehr war - in die Wohnung nach Marzahn. Die beiden Pferde kamen in Pension. Im Sommer 2005 flog der in die kleine Marzahner Plattenbauwohnung umgesiedelte Brandenburger Bauerhof jedoch auf.
Seit September 2005 lebt der jetzt fast vier Jahre alte Max in einer Pflegefamilie. Im Oktober 2005 kann er noch immer nur mit Mühe, schwankend an der Hand laufen. Nahrung nimmt er nur in Breiform auf, obwohl Max Zähne hat. Er kann schlecht schlucken und der Saugreflex ist nicht ausgebildet. Sein Pflegevater, ein ausgebildeter Heilerziehungspfleger, sagt: "Max würde am gedeckten Tisch nahezu verhungern."
Max meidet Körperkontakte und kann keinen Blickkontakt halten. Der behandelnde Arzt diagnostiziert eine zerrissene Vorhaut und kann nicht ausschließen, dass Max eventuell missbraucht wurde.
Da noch geklärt werden muss, ob Max gestörtes Verhalten nicht zum Teil die Folge einer Autismuserkrankung ist, wurde die Verhandlung erst einmal ausgesetzt. Erst nach dem Gutachten eines Sachverständigen wird es mit dem Prozess weiter gehen.
Urteil vom 22.06.2007:
Das Moabiter Schöffengericht verurteilte Jessica H. wegen Verletzung der Fürsorgepflicht zu 18 Monaten Gefängnis, ausgesetzt auf Bewährung, und zu einer Geldbuße von 1.000 Euro.
*Name von der Redaktion geändert