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Hier lasen Sie im Herbst 2007 in wöchentlicher Folge Axel Bussmers Debütkrimi "Ein bisschen Luxus".
Jeden Montag neu...

krimidebüt mit folgen...

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Axel Bussmer, "Ein bisschen Luxus" (26/28)


Diana feuerte zwei schnelle Schüsse auf den Mann auf der Treppe ab. Sie erkannte ihn erst bei ihrem zweiten Schuss. Kraft, der VHS-Lehrer mit dem großen Haus. Sie hatte ihn getroffen. Vielleicht sogar tödlich.

Sie sprang aus ihrem Versteck heraus, machte eine Rolle vorwärts, ging in Knie und zielte nach links. Dort müsste Wieland sein.

Aber er war bereits hinter einen Betonpfeiler gesprungen und gab ungezielte Schüsse in ihre Richtung ab. Dabei hielt er einfach nur seine Pistole um die Ecke und drückte ab.

Sie hechtete zur Seite. Neben und über ihr bohrten sich Kugeln in die Wände, zersplitterten das schusssicher Glas, sirrten als Querschläger weiter. Sie riss die Tür zur Bibliothek auf, sprang hinein, und drückte sie hinter ihr sofort wieder zu. Dann versperrte sie mit einem Stuhl den Zugang.

Klick. Klick. Klick.

Wieland ließ das leere Magazin aus dem Griff gleiten. Es fiel auf den Fußboden. Er tastete nach dem Ersatzmagazin. Aber es war weg. Es lag vor ihm auf dem Boden. Es war ihm vorher, als er nach dem von ihm irrtümlich abgegebenen Schuss, zurück, in den Schutz der Betonpfeiler, gesprungen war, aus seiner Hosentasche gefallen.

Er wartete. Hörte nichts. Er warf einen schnellen Blick auf den vor ihm liegenden Platz. Nichts. Aber er hatte auch nicht alles gesehen.

Er sprang nach hinten, riss die Tür zum E-Bereich auf, benutzte sie als Schutzschild und schloss sie hinter sich. Er bemerkte in der Bibliothek einen sich bewegenden Schatten.

Da war sie also.

Er riss die Tür wieder auf, schnappte sich Krafts Pistole er brauchte sie jetzt sowieso nicht mehr -, und riss die Tür zur Bibliothek auf. Jedenfalls versuchte er es. Aber es ging nicht. Sie hatte sie mit irgendetwas versperrt. Blind vor Hass lief er zum nächsten Eingang in die Bibliothek, riss die Tür auf und lief in die riesige Bibliothek. Er lief die einzelnen Gänge hinauf und hinunter, blickte nach links, nach rechts, stieß einige Stühle und Tische aus dem Weg. Sie musste hier sein.

Von unten hörte Diana, wie Wieland Tische und Stühle umwarf. Dazwischen fluchte er. Sie hatte ihn. Sie lehnte sich entspannt an ein Buchregal. Wartete. Wartete darauf, dass er den Lesesaal der juristischen Abteilung verließ, an den juristischen Büchern vorbei und die Treppe hoch zu ihr kam.

Das Poltern näherte sich. Anscheinend warf er jeden Tisch um. Schleuderte jeden Stuhl durch den Raum.

Plötzlich wurde es still.

"Ich krieg dich! Du bringst nicht ungestraft meine Freunde um."

Sie stieß sich vom Regal ab.

"Zeig dich! Fotze!"

Sie ging die Stufen hinunter.

"Niemand zerstört mein Werk! Schlampe!"

Sie ging zum Eingangsbereich der Uni.

"Hast wohl Angst!"

Seine Stimme wurde immer leiser.

Wieland stand ungeschützt, umgeben von umgestoßenen Tischen und Stühlen, in der Mitte des juristischen Lesesaales. Er wischte sich die Tränen aus den Augen.

"Dann bringe ich Lothar mal zum Eingang.", flüsterte er.

Mit gebeugten Schultern ging er zurück. Er konnte es immer noch nicht fassen, wie viele Probleme ihm diese Frau bereitete. Eine ehemalige Polizistin mit einem Knacks in der Birne. Immerhin war sie, noch nicht einmal Mitte dreißig, berufsunfähig. Studiert hatte sie auch nicht. Und sie war arm wie eine Kirchenmaus. Ein alter Golf. Klamotten von irgendeiner Billigkette aus dem letztjährigen Schlussverkauf. Sie stand in jeder Beziehung unter ihm. So war das natürliche Gefüge, gegen das sie aufbegehrte. Aber nicht mehr lange.

No more Mr. Nice Guy, wie die Amis sagten. Und, wenn er es sich richtig überlegte, konnte er ihr sogar dankbar sein. Er musste zwar einige Leichen aus dem Weg schaffen, aber dafür gehörte ihm jetzt alles. Die Zeit des Teilens war vorüber.

Er zog die Tür zur Bibliothek auf, ging die Treppe hoch zu Lothar. Er lag ziemlich genau zwischen zwei Stockwerken.

Wieland ging die Stufen hinunter, holte aus einem Kopierraum einen der tiefliegenden Wagen, mit dem die Hausmeister den lieben langen Tag Kisten von einem Ende der Uni zum anderen schoben, stellte ihn vor den Treppenabsatz, schulterte Lothar und warf ihn auf den Wagen. Das Blut ließ er für die Putzfrau weiter die Stufen hinunterlaufen und von der Decke auf den Boden tropfen. Denn zum Putzen hatte er jetzt einfach keine Zeit.

Er schob den Wagen zum nächsten Fahrstuhl. Als die Uni vor vierzig Jahren gebaut wurde, hatten sie bereits an Rollstuhlfahrer gedacht. Jeder Teil des Gebäudes konnte erreicht werden, ohne dass eine Treppe benutzt werden musste. Manchmal mussten dafür nur immense Umwege in Kauf genommen werden.

Einige Flure und Fahrstühle später schob er Lothar in die Studiobühne. Lade hing immer noch, von den Tabletten ruhiggestellt, in einem Theatersessel. Ab und zu stöhnte er. Wieland legte den toten Nachtwächter neben Lothar auf den Wagen. Und was sollte er mit Peter tun? Töten oder ins Krankenhaus bringen? Vielleicht war seinem größten Kunden, Hans von Kirn, ein Arzt noch einen Gefallen schuldig? Nur, was würde er von ihm dann als Gegenleistung wollen?

Wieland rieb sich nachdenklich das Kinn. Fragen über Fragen. Und auf keine hatte er jetzt eine gescheite Antwort. Außerdem schlich sich diese Detektiv-Fotze immer noch durch seine Universität. Dieses Problem musste er vorher erledigen. Immerhin, Peter schlief und seine Schulter schien auch nicht mehr zu bluten. Jedenfalls war der Verband noch ziemlich weiß.

Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die Tropfen liefen an ihr hinunter, kühlten ihren verschwitzten Körper etwas ab. Sie verließ die Toilette. Sie hob den Hörer von einem der Haustelefone ab, wählte die Nummer der Leitwarte und wartete. Nach dem zehnten Klingeln legte sie auf. Anscheinend war Wieland noch anderweitig beschäftigt.

Sie ging langsam die Treppe zum Dach des Verwaltungs-Gebäudes hoch. Sechs Stockwerke waren eine Strecke, die erst einmal zurückgelegt werden musste. Im Moment hatte sie Zeit.

Draußen wich das Schwarz der Nacht langsam dem Grau des Morgens. Die Konturen der Gebäude, Straßen und Bäume zeichneten sich deutlicher ab. Deren Farben wurden wieder erkennbar.

Sie wählte wieder die Nummer der Leitwarte.

Nach dem fünften Klingeln hob er ab und bellte ein "Ja" in die Muschel.

"Ich bins."

"Ich bring dich um."

"Uh, dafür musst du mich zuerst einmal finden."

Er schwieg, dachte nach: "Gut. Wo?"

"Sonnenaufgang, auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes."

"Ah, ich sehe es schon vor mir. Die Türen des Fahrstuhls gehen auf und Peng. Ich bin tot. Nee, du, ganz schlechte Idee."

"Tja, hast du einen besseren Vorschlag?"

"Hm, wenn ich so darüber nachdenke, dann gefällt mir deine Idee immer besser. Allein schon wegen der Aussicht."

Wieland legte auf. Er holte einen detaillierten Plan des V-Gebäudes aus dem Schrank. Ihn interessierte besonders das Dach. Es bestand jeweils etwa zur Hälfte aus einer Terrasse und einem überdachten Teil, der sich in einen großen Saal, einen Flur, eine Sitzecke, Toiletten und Fahrstühle teilte. Oh, und einige kleine Büros. Selbstverständlich war die Terrasse eine Falle. Für ihn stellten sich nur zwei Fragen. Wo versteckte sie sich? Wie könnte er für sie überraschend auftauchen?

In einem Film führten Entlüftungsschächte zum Ziel. Und überall gab es Überwachungskameras. In der Wirklichkeit natürlich nicht. Für die Belüftung gab es in erster Linie das bewährte Fenster auf/Fenster zu-Prinzip. Kameras waren nie installiert worden. Warum auch? Wer sollte in einer Universität etwas klauen? Das und das zu niedrige Budget führten dazu, dass es kaum Überwachungstechnik an der Uni gab. Keine Kameras - keine Möglichkeit festzustellen, wo sie sich gerade aufhielt.

Den Fahrstuhl konnte er vergessen. Über die Anzeige erführe sie, wie er sich näherte und wo er sich gerade aufhielt.

Da blieb ihm nur die Treppe übrig. Was allerdings, je länger er darüber nachdachte, gar nicht so schlecht war. Denn sie müsste dann irgendwo auf der Terrasse sein und auf ihn warten.

Sie nahm die Magazine aus den Pistolen. Sie machte ein Magazin voll, schob es in eine Pistole. Das andere Magazin steckte sie in ihre hintere rechte Hosentasche. Obwohl es überflüssig war. Denn sie wollte keine Kugeln an ihn verschwenden. Alles über einer Handvoll Kugeln betrachtete sie als Verschwendung.

Die entladene Beretta legte sie in einen Schrank.

Dann räumte sie einige Tische aus dem Weg, bis es einen geraden Weg von der Treppe zur Terrasse gab. Ihr Gegner musste zu ihr auf die Terrasse kommen. Er konnte sich nicht hinter einem Tisch verschanzen und sich ein langwieriges Gefecht mit ihr liefern. Sie öffnete alle Türen vom Veranstaltungssaal zur Terrasse. Auf der Terrasse kippte sie einen Tisch um. Jetzt taugte die Aluminium-Tischplatte als Schutzschild. Sie schnappte sich einen Stuhl, trug ihn nach draußen, setzte sich mit dem Rücken zur Brüstung und begann die Treppe zu beobachten.

Er lud seine Beretta. Zwei volle Magazine steckte er ein. Sicher ist sicher. Schon in der Schule hatte er immer mehr als nötig gelernt. Er war erst zufrieden, wenn er mehr als sein Lehrer wusste. Entsprechend grandios war sein Abi-Schnitt. An der Uni ging es ähnlich gut für ihn weiter, bis seine glänzende, geradlinige Karriere nach seiner Promotion in verschiedenen befristeten Stellen stockte. Er hatte sich immer an die Regeln gehalten. Aber dann wurden sie zu seinem Nachteil geändert. Kürzungen von Stellen und Korruption im System (Oder wie würden Sie es nennen, wenn eine eindeutig schlechtere Bewerberin vorgezogen wird, nachdem sie mit dem Prof ins Bett gegangen war?) standen plötzlich im Widerspruch zu seinen berechtigten Ansprüchen.

Mit fast vierzig hatte er es einfach satt, wie ein Student von der Hand in den Mund zu leben. In die Wirtschaft, als Abteilungsleiter bei einer Versicherung oder einem Weltkonzern, drängte ihn nichts. Besonders nachdem Uni-Freunde ihm von ihrer Arbeit erzählt hatten. Sie gingen jeden Tag im Anzug zur Arbeit, füllten Formulare aus, bearbeiteten Dokumente, trafen subsidiäre Entscheidungen, die jederzeit von einem ihrer zahlreichen, im Wochentakt wechselnden Vorgesetzten umgeworfen werden konnten und für die sie nicht hätten studieren müssen.

Unterfordert waren sie nicht. Sie waren unterfordert in ihrer Unterforderung. Ihre kreative Energie steckten sie in nicht bezahlte Überstunden, in den sie Kommas in unwichtigen Texten verschoben. Das taten sie aus einem einzigen Grund. Sie zeigten ihren Kollegen, dass sie mehr Verantwortung hatten und deshalb länger arbeiten mussten. Für ihn klang das nach Vorhölle. Besonders, weil er dann seine Zeit mit etwas totschlug, das ihn überhaupt nicht interessierte. Oder kennen Sie einen Menschen, der sich wirklich für die Türgriffe der Damentoilette des Werkes in Hintertupfingen interessiert? Na also. Sein zweites Standbein hatte er genauso zielstrebig aufgebaut wie seine Uni-Karriere. Er hatte immer mehr als nötig getan.

Er stand auf. Streckte sich. Verscheuchte mit einigen Kniebeugen die Müdigkeit. Draußen, auf dem zwischen dem Hauptgebäude und dem Verwaltungsgebäude liegenden Platz, sah er nach oben zum Dach des V-Traktes. Eine Feuerleiter gab es nicht. Aber Vorsprünge. Er war ein guter Kletterer. Vor fünf, sechs Jahren hatte er sogar einen Sommer lang Freeclimbing praktiziert. Damals wollte er eine Frau beeindrucken, die dann lieber bei einem richtigen Bergsteiger blieb. Ein sportlicher Typ. Aber dumm wie Brot.

Sie stand auf und sah über die Brüstung. Unten bewegte sich eine Gestalt. Sie blieb in der Mitte des Platzes stehen und sah nach oben. Er winkte.

Sie winkte zurück.

Er ging in das Gebäude.

Diana lehnte sich an die Brüstung. Wartete.

Er ging in die über dem Eingangsbereich liegende Etage. In einem Büro öffnete er ein Fenster, setzte sich auf das Fensterbrett und studierte das zwischen den Etagen befindliche Mauerwerk. Glatte, im Lauf der Jahrzehnte etwas verwitterte Betonplatten. Aber an den Ecken gab es Vorsprünge, an denen er sich festhalten konnte. Weiter oben entdeckte er sogar ein Stahlrohr und ein baumelndes Seil.

Es könnte funktionieren.

Er machte das Fenster wieder zu, verließ das Zimmer und fuhr mit dem Fahrstuhl hoch. Eine Etage unterhalb des Daches stieg er aus.

Er orientierte sich kurz. Links von ihm war die Treppe. Vor ihm lagen die sich unter der Terrasse befindenden Büros. Er ging nach rechts, öffnete die Tür zum auf der Ecke liegenden Büro, zog sie hinter sich zu, öffnete dann leise das Fenster. Jedes Geräusch könnte ihn verraten. Über ihm waren der sich langsam blau färbende Himmel und ein Teil der Brüstung. Er setzte sich auf den Fenstersims. Sie war über ihm. Lauschte.

Er kniete auf dem Sims. Überprüfte noch einmal die Beretta. Sie konnte nicht aus seiner Hose herausfallen. Er beugte sich aus dem Fenster hinaus, bis er das Stahlrohr zu fassen bekam. Seine Finger passen kaum zwischen den schmalen Schlitz zwischen Stahl und Beton. Einen Meter. Dann ginge es einfacher. Einen Meter, der an seinen Kräften zehren würde. Einen Meter, den er ohne ein Geräusch zurücklegen müsste. Nur indem er sich an seinen Armen hochzog.

Er beugte sich etwas weiter hinaus, bekam das Seil zu fassen.

Ob es hält?

Er zog dran. Es wirkte stabil. Jedenfalls stabil genug, um ihm einige Sekunden sein Leben anzuvertrauen.

Jetzt war die letzte Gelegenheit, doch die Treppe zu benutzen und zu hoffen, dass sie ihm eine Chance gab.

Er zog sich hinaus.


Axel Bussmer beim Ausbrüten feinteiliger Straftaten (rein literarischer Natur)
AXEL BUSSMER
iM INTERVIEW


(mit ULrike Duchna, Franka Plaschke und Barbara Keller im AREMA/Moabit
vom 31.07.2007...)


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