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Hier lasen Sie im Herbst 2007 in wöchentlicher Folge Axel Bussmers Debütkrimi "Ein bisschen Luxus".
Jeden Montag neu...

krimidebüt mit folgen...

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Axel Bussmer, "Ein bisschen Luxus" (24/28)


Diana zog die Schnürsenkel aus Hallers Schuhen. Die Schnürsenkel wanderten in einen Mülleimer. Die Schuhe in einen anderen. Auf dem glatten Uni-Boden war es zwar nicht unmöglich, barfuss zu laufen, aber trotzdem unangenehm. Im Keller, auf dem Beton, den scharfkantigen Betonstufen, den stählernen Treppen, war es sehr unangenehm. Sie dachte sich, sie könne Haller so in seinen Bewegungen einschränken, falls er sich befreite und einen Weg aus dem Keller fände. Außerdem genoss sie schon im Vorhinein die kleine Rache, ihn barfuss zu einem Polizeiauto zu eskortieren.

Sie war im L-Bereich bei den Naturwissenschaften. Hier kannte sie sich kaum aus. Wenn sie die Uni besuchte, ging sie normalerweise in die Uni-Bibliothek oder zu einem eher geisteswissenschaftlichen Vortrag. Die wurden normalerweise in deren Bereichen oder einem der um das Audimax liegenden Hörsäle abgehalten. Sie könnte sich vom Zentrum der Uni, dem Eingangsbereich, der Leitwarte und dem Eingangsbereich der Bibliothek abwenden und die Uni über irgendeinen Hinterausgang verlassen. Mit Hallers Schlüssel war das kein Problem.

Aber sie dachte nicht daran, das Messer in der Sau stecken zu lassen und von irgendjemand anderes die Arbeit erledigen zu lassen. Sie hatte die Sache angefangen und sie, nur sie allein, würde sie auch zu ihren Bedingungen zu Ende bringen. Genauso wie sie ihr Haus renovierte.

Sie schlich zur Glastür, die den L-Bereich vom Haupteingang trennte. Rechterhand von ihr ging es zur naturwissenschaftlichen Bibliothek. Linkerhand ging es nirgendwohin. Und vor ihr, keine zehn Meter entfernt, standen die Telefonzellen. Vorsichtig berührte sie die Tür. Sie war offen. Ein Anruf bei der Polizei wäre in wenigen Sekunden erledigt. Und die Zellen wurden von niemandem bewacht.

Sollte sie es wagen?

Wieland schloss die nächste Feuerschutztür ab.

Kraft steckte seinen Schlüssel in die Kellertür. Er wartete bis Wieland auf die Tür zielte. Dann drehte er den Schlüssel um und riss sie auf.

Niemand stand dahinter.

Beide atmeten aus. Kraft steckte seinen Schlüssel ein. Die Tür fiel mit einem leisen Schmatzen zu.

"Sie wird wissen, dass es eine Falle ist.", sagte Kraft.

"Schon. Aber sie kann nichts dagegen tun. Entweder wartet sie im Keller ab, oder sie versucht ihre Chance wahrzunehmen."

"Hoffentlich wirds nicht zu blutig. Hab nämlich keine Lust, hier stundenlang zu putzen."

"Lieber Putzen als in den Knast gehen."

Lade trippelte von seinem linken auf seinen rechten Fuß. Die letzten Tage hatte er kaum geschlafen. Letzte Nacht überhaupt nicht, heute Vormittag eher solala. Das Geschrei der Nachbarskinder hatte sich immer wieder in seine Träume gebohrt. Um Elf hatte er es dann einfach aufgegeben und war, wahrscheinlich zum ersten Mal seitdem er die Stelle an der Uni hatte, nicht nur pünktlich, sondern sogar zu früh zur Arbeit erschienen. Da hatte er gehofft, pünktlich Feierabend machen zu können und dann die Bettdecke über seinen Kopf zu ziehen.

Aber nichts. Zuerst sagte ihm Wieland, er müsse helfen, eine weitere Leiche zu entfernen, und dann erwischten sie die Schnüfflerin im Nahkampf mit ihrem Chef. Das schnelle Versperren aller Fluchtwege hielt ihn wach. Aber jetzt breitete sich die Müdigkeit langsam in ihm aus. Und sein Magen knurrte. Die letzte Mahlzeit lag Stunden zurück. Kurz vor 18.00 Uhr hatte er in der Menseria eine Kleinigkeit gegessen. Genug für den ersten Heißhunger, aber viel zu wenig, um ihn wirklich bis zum Frühstück zu sättigen.

Er rieb sich die Augen. Lockerte die Schultern. Lehnte sich wieder gegen die Wand.

Rechts von sich nahm er eine schnelle Bewegung wahr. Jemand hatte die Tür zum Naturwissenschaftlichen Bereich aufgestoßen. Das musste sie sein.

Etwas flog die Treppen hinunter und landete vor ihm auf dem Boden.

Klaus und Lothar waren das nicht. Sie waren in einer anderen Ecke der Uni. Sie würden niemals so unvermittelt vor ihm auftauchen.

Lade riss seine Pistole hoch und gab schnell zwei Schüsse ab. Das etwas, eine dunkle Masse, bewegte sich nicht mehr.

"Was war das?", fragte Wieland.

"Schüsse. Vom Eingang.", antwortete Kraft und lief los. "Wir haben sie."

"Ja."

Gemeinsam stürmten sie am Eingang der Bibliothek vorbei und die Treppe hoch.

Mit einem dumpfen Knall landete das mit einigen Büchern beschwerte Couchkissen auf dem Steinboden. Der Aufschlag vermischte sich mit zwei Pistolenschüssen.

Aus der dunklen Ecke links von ihr stürmte ein Mann mit gezückter Pistole zu dem Kissen.

Sonst bewegte sich nichts.

Diana sprang die Treppe hinunter, dem Mann in den Rücken. Gemeinsam taumelten sie zum, vor den Telefonzellen liegenden Geländer. Dahinter ging es einige Stufen hinunter zu den Zellen. Nach den Schüssen konnte sie das Telefongespräch vergessen. Die anderen beiden waren alarmiert und natürlich bereits auf dem Weg zu ihnen. Ihr blieb nicht viel Zeit. Aber diese Zeit würde sie nutzen.

"Was?", stieß der vollkommen überraschte Mann hervor.

Jetzt erkannte sie ihn. Es war dieser Hausmeister Peter Lade. Sie griff seinen Schussarm und knallte ihn auf das Geländer. Er schrie auf. Die Pistole polterte die Steinstufen hinunter. Aber sein Arm war nicht gebrochen. Sie riss ihn herum. Schlug auf seinen Kehlkopf. Stellte ihm ein Bein. Bohrte ihr linkes Bein in seinen Rücken. Kugelte seinen rechten Arm aus. Dann brach sie ihn. Er lag wimmernd auf dem Boden.

Sie ließ ihn los. Sprang zurück zur Tür. Holte ihre beiden Berettas, die sie auf den Absatz gelegt hatte. Jetzt hielt sie in jeder Hand eine geladene Pistole.

Von hinten, dem Aufgang der Bibliothek, hörte sie jemand kommen. Ob es einer oder zwei war, konnte sie nicht unterscheiden.

"Linkshänder?"

"Au. Tut das weh."

Sie drückte die sich in ihrer Rechten befindenden Pistole auf sein linkes Schulterblatt und drückte ab.

"Wenn deine Kumpels einen Notarzt rufen, bist du in einigen Monaten wieder wie neu."

"Wenn nicht?"

"Für den Rest deines Lebens ein Krüppel. Aber immerhin am Leben."

"Da."

"Ja."

Die Detektivin kniete auf ihrem Kumpel und richtete ihre Pistole auf seinen Oberkörper. Für Wieland und Kraft sah es nach einer kaltblütigen Exekution aus. Aber sie waren noch zu weit weg, um einige gezielte Schüsse abzugeben. Sie verdoppelten ihr Tempo.

Sie hörten einen Schuss. Gefolgt von einem tierischen Schrei.

Die Frau erhob sich. Anscheinend sagte sie etwas. Als habe sie alle Zeit der Welt. Sollte sie sie wirklich noch nicht bemerkt haben? Oder lief in solchen Situationen alles in Zeitlupe ab? Kraft hatte keine Ahnung. Er lief nur noch schneller zu seinem auf dem Boden liegenden Freund.

Sie sah zu ihnen hinüber, drehte sich um und verschwand im L-Bereich.

Kraft blieb keuchend neben seinem Freund stehen. Über Lades Gesicht flossen Tränen. Sein rechter Arm lag in einem grotesken Winkel auf dem Boden. Seine linke Schulter war ein dunkles Meer, das sich deutlich auf seinem hellen T-Shirt abzeichnete. Natürlich Blut. Aber in der Nachtbeleuchtung war Rot, Dunkelrot, von verschiedenen Schattierungen von Schwarz nicht zu unterscheiden.

"Wie geht es dir?", fragte er und biss sich schon während er es sagte in Gedanken auf die Zunge. Was für eine blöde Frage. Es ging ihm offensichtlich unglaublich schlecht und er musste dringend ins Krankenhaus.

Wieland stürmte die Treppe hoch. Riss an der Tür. Zu. Er zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Öffnete sie. Lief den stockdunklen Gang hinunter und stolperte über einen im Weg stehenden Gegenstand. Dabei entglitt ihm seine Pistole. Fluchend stand er auf. Rieb sich seine schmerzende Schulter. Stolperte zu einem Lichtschalter. Sekunden später war der Gang in unwirkliches Licht getaucht. Er war allein. Er war über eine Couch, auf der ein Kissen fehlte, gestolpert. Seine Pistole lag auf der anderen Seite des Ganges. Er hob sie auf und ging zurück zu seinen beiden Verbündeten.

Diana lief weiter in den naturwissenschaftlichen Bereich hinein. Hier waren die Decken höher, die Gänge schmäler und länger. Die Gebäude traditioneller geschnitten in einer viereckigen Form mit nach beiden Seiten abgehenden Türen zu Büros und Laboren. In der Mitte waren die Fahrstühle und Treppen. Anscheinend hatte hier jedes Stockwerk eine eigene, gut ausgestattete Küche. In einem Kühlschrank fand sie eine Tafel Schweizer Vollmilchschokolade. Sie brach sie an. Aß. Trank etwas Wasser aus einer Kaffeetasse.

Sie fand im vierten Stockwerk ein offenes Büro. Die Notbeleuchtung vom Flur mischte sich mit dem Mondlicht. Sonst gab es kein Licht in dem Büro. Nichts. Absolut nichts. Sie fand das seltsam. Besonders nachdem sie immer wieder gehört hatte, es gehöre zur Kultur der Naturwissenschaftlicher, - ob Physiker, Chemiker oder Biologen wusste sie nicht mehr; aber wahrscheinlich alle drei -, die Bürotüren immer offen und die Computer immer an zu lassen. Aus Vertrauensseligkeit, aus Nachlässigkeit oder auch weil der Computer einfach eine zeitintensive Berechnung durchführte. Aber in diesem Büro war nichts an. Noch nicht einmal das Leuchten elektronischer Geräte im Standby-Betrieb.

Sie tastete sich auf dem Schreibtisch zum Telefon, hob den Hörer ab und lauschte. Nichts. Das Telefon war tot. Sie legte den Hörer wieder zurück. Sie hatten die Uni von der Außenwelt abgeschlossen.

Wieland setzte seinen Freund Peter Lade auf. Dieser schrie dabei am Spieß. Anscheinend hatte sie seinen rechten Arm ausgekugelt und die linke Schulter zerschossen. Kein Wunder, dass er ihn an den Armen nicht anfassen konnte. Aber er musste ihn bewegen und von den Telefonzellen wegtragen. Geschrei hin. Geschrei her. Er hob ihn hoch, umarmte seine Hüfte und sagte zu Lothar Kraft: "Hilf mir. Wir müssen ihn in Richtung Leitwarte schleppen."

Kraft umarmte seinen verletzten Kumpel von der anderen Seite: "Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen."

Zu dritt stolperten sie in Richtung Leitwarte.

"Später."

"Scheiße, siehst du nicht, wie schlecht es ihm geht?"

"Wir müssen nur die Blutung stoppen.", sagte Wieland keuchend. Lade, der wie ein nasser Sack zwischen ihnen hing, und sich in erster Linie mit der Pflege seiner Schmerzen beschäftigte, war schwer. "Das ist nichts, wovon man stirbt." Jedenfalls hoffte er das. Denn abgesehen von dem Erste-Hilfe-Kurs vor seiner Führerscheinprüfung hatte er sich nie intensiver mit dem Behandeln von Wunden befasst. Es war einfach nicht nötig gewesen.

"Ich werde ein Krüppel.", stieß Lade mit zusammengepressten Zähnen aus. "Hat sie gesagt."

"Quatsch. Die will dir nur Angst einjagen."

"Ich halt das nicht aus."

"Ich geb dir etwas gegen die Schmerzen. Gleich."

Sie waren fast bei der Leitwarte angekommen.

"Da rein."

"In die Studiobühne?", fragte Kraft.

"Ja."

"Du bringst mich doch nicht um?"

"Quatsch, Peter. Ich bring dich nur aus der Schussbahn. Oder glaubst du, die lässt dich am Leben, wenn sie noch mal auftaucht. Außerdem kannst du nichts tun, außer ruhig liegen zu bleiben."

Wieland schloss die Tür zur Studiobühne auf. Gemeinsam stolperten sie hinein, setzten Lade auf einen der Sitzplätze in der ersten Reihe und atmeten tief durch.

"Ich hol den Erste-Hilfe-Kasten.", sagte Wieland.

Vor Kraft und Lade lag die Leiche des Nachtwächters.

"Ich - will - nicht - sterben. Noch nicht."

"Wirst du auch nicht.", sagte Kraft. Er wusste nicht, ob er in dieser Sekunde, im Angesicht einer weiteren Leiche, nicht seinen Freund belog. Vor zwei Monaten, auch noch vor einem Monat oder einer Woche hätte er gesagt, ihre Einbrüche seien Kavaliersdelikte, bei denen niemand wirklich geschädigt werde. Ein, zwei Kostbarkeiten seien keine Serie von Morden wert. Aber inzwischen stapelten sich die Leichen um ihn herum und es war ihm eigentlich wirklich egal, ob da eine weitere hinzugefügt wurde.

Ein Staatsanwalt würde ihn und seine Freunde wahrscheinlich gefährliche Psychopathen nennen. Aber er sah sich als ein Geschäftsmann, der seine Investitionen schützte. Genauso wie die Besitzer großer Firmen ihre Investitionen schützten oder Staatschefs ihr Land schützten; auch wenn sie dafür einen Krieg anfangen mussten. Wenn bei denen ein Menschenleben eine vernachlässigbare Kleinigkeit war; warum nicht auch bei ihnen? "Wir erledigen das mit dieser Schlampe und bringen dich dann sofort zum Krankenhaus."

"Seid vorsichtig."

"Sind wir. Du kennst uns doch."

Wieland kam mit dem Erste-Hilfe-Kasten zurück.

"Reis schon mal sein Hemd auf."

Kraft zerriss Lades Hemd, während Wieland den Kasten öffnete und durchwühlte.

"Gut. Dann wollen wir mal." Ohne besonders auf den Verletzten zu achten, knallte er ein großes Pflaster auf die Wunde und verband sie dann. "Nicht schön, Aber okay. Hier, schluck."

"Was ist das?"

"Uh, Beruhigungs- und schmerzstillende Tabletten."

"Gut." Lade öffnete seinen Mund. Wieland steckte die Tabletten hinein und gab ihm aus einer Wasserflasche zu trinken.

Es dauerte einige Minuten, bis die Tabletten wirkten und Lades Kopf auf seine Brust fiel. Er sah glücklich aus.


Axel Bussmer beim Ausbrüten feinteiliger Straftaten (rein literarischer Natur)
AXEL BUSSMER
iM INTERVIEW


(mit ULrike Duchna, Franka Plaschke und Barbara Keller im AREMA/Moabit
vom 31.07.2007...)


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