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Hier lasen Sie im Herbst 2007 in wöchentlicher Folge Axel Bussmers Debütkrimi "Ein bisschen Luxus".
Jeden Montag neu...

krimidebüt mit folgen...

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Axel Bussmer, "Ein bisschen Luxus" (22/28)


"Du, ich mache jetzt meine Runde."

"Willst du wieder Studis rauswerfen?"

"Genau."

"Nimmst du Asta mit? Sie läuft schon den ganzen Tag hier herum."

"Geht klar.", sagte Ünal Mutlu. Er verdiente sich seit zwei Jahren als Nachtwächter das Geld für sein Studium. Davor hatte er gekellnert. Aber das hier wurde besser bezahlt und war weniger stressig. "Asta, komm."

Asta sprang auf und lief an Ünal vorbei zur Tür. Ünal zog sie auf. Asta schoss schanzwedelnd hinaus. "Asta, hierher. Wir müssen die normale Tour abgehen."

Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter zum Bibliothekseingang. Es war kurz nach elf Uhr. In ihr war nur noch die Nachtbeleuchtung an. Ünal ging zum ersten Kontrollpunkt, bestätigte seine Anwesenheit, und ging weiter zu den nächsten Kontrollpunkten. Er beschloss nur eine kleine Runde zu machen. Die meisten Türen nach draußen waren bereits seit Stunden verschlossen.

Die Bürotüren, die er aus reiner Gewohnheit versuchte zu öffnen, waren zu. Alarme hatte es keine gegeben. Alles deutete auf eine ruhige, langweilige Nacht hin. Dann könnte er später noch etliche Seiten in Horst Eckerts neuem Buch lesen. War zwar ein Krimiautor, aber Ünal gefiel es.

Er probierte die Türen bei den Asta-Räumen. Kein Licht. Alles ruhig. Alles verschlossen. Keine Möglichkeit, einige Minuten abzuhängen und sich ein Bier zu schnorren.

Asta lief die Gänge entlang. Vor und zurück. Die Treppen hinauf und hinunter. Sie genoss die Gelegenheit, sich endlich wieder einmal zu bewegen.

Ünal kontrollierte automatisch jede Tür nach draußen. Die Hausmeister hatten sie verschlossen. Auf den Toiletten sah er sich um. Niemand. Hinter sich machte er immer das Licht aus. Dabei bemerkte er, dass Asta immer wieder kurz vor den Türen zum Keller stehen blieb, roch und dann weiter lief. Zur nächsten Kellertür.

Im H-Bereich nahm er sein Funkgerät in die Hand: "Leitwarte, bitte melden."

"Ünal, wasnlos?", ertönte eine verrauschte Stimme aus dem Gerät.

"Asta schnüffelt ständig an den Kellertüren herum. Ich denke, ich geh mit ihr mal runter in den Keller."

"Verlauf dich nicht."

"Ach, raus kommen sie immer."

"Jaa."

Ünal steckte sein Funkgerät wieder ein. Er drückte die Tür zum Keller auf. Asta lief an ihm vorbei. Ünal hinterher. Er mochte den Keller nicht besonders. Er fühlte sich dann immer eingeengt. Wie in einem Grab oder einer Gruft. Immer leicht abgestandene Luft. Immer etwa die gleiche Temperatur. Einige Grad unterhalb der normalen Zimmertemperatur. Keine Menschen. Keine Geräusche.

Jedenfalls keine natürlichen Geräusche. Keine an das Ufer schlagende Wellen. Keine im Wind rauschenden Bäume. Keine zwitschernden Vögel. Kein Blick nach draußen, zum Himmel. Tagsüber zur Sonne, nachts zu den Sternen. Er übernachtete gern unter freiem Himmel. Ob das von seinen Vorfahren kam, oder einfach eine seiner Vorlieben war, wusste er nicht. Es war ihm auch letztendlich egal.

Asta lief durch die unterirdischen Gänge in Richtung des Parkhauses. Achselzuckend folgte Ünal der Schäferhündin. Es war egal, welche Bereiche der Uni er neben seinem Rundgang kontrollierte, der Eckert lief ihm nicht davon und Asta schien es zu gefallen.

"Wauuuuhhh."

Er hörte ihr klagendes Jaulen. Hatte sie sich verletzt? Unwahrscheinlich, aber durchaus möglich. Schließlich waren nicht überall Geländer angebracht und in einigen Räumen gab es überraschend tiefe Absätze.

Er trat in den Raum. In der Mitte stand, auf einem Fahrgestell, ein verschlossener Sarg. Asta saß jaulend davor.

Er versuchte den Deckel hochzuheben. Aber der Sarg war verschlossen. Er begann mit seinen Fingern die Schrauben aufzudrehen. Ohne geeignetes Werkzeug war das ziemlich schwierig. Er rutschte öfters ab und fluchte mehr als einmal. Asta bewegte sich nicht. Endlich hatte er alle Schrauben entfernt. Er versuchte den Deckel hochzuheben. Er war unglaublich schwer.

Asta sprang jetzt unruhig um den Sarg herum.

"Asta, hierher."

Sie setzte sich neben ihn.

"Nun, dann wollen wir mal." Mit seiner linken Hand hielt er den Sarg so gut es ging fest. Mit seiner Rechten, der stärkeren Hand, hob er den Deckel hoch und stieß ihn von sich weg. Donnernd krachte er auf den Boden. Ünal sprang erschrocken zurück.

"Oh Gott."

In dem Sarg lagen, eng verschlungen, zwei Menschen. Eine Frau mit einem blutig-zermatschten Gesicht, die er nicht erkannte, und sein Chef.

Asta kläffte einmal und lief aus dem Raum.

"Asta."

Aber sie hörte nicht. Sie kam nur noch einmal zurück zur Tür und kläffte ihn auffordernd an. Irgendetwas wollte sie ihm noch zeigen.

"Also gut. Aber nicht so schnell."

Gemeinsam gingen sie wieder zur Seeseite der Uni. Er war immer noch schockiert von seiner eben gemachten Entdeckung und natürlich wollte er so schnell wie möglich zurück zur Leitwarte und die Polizei anrufen. Aber Asta war auf einer anderen Spur und diese verfolgte sie auf gerader Linie.

Diese Linie führte sie in eine der unzähligen Abstellkammern der Uni. In einer der hinteren Abteilungen waren vier Männer und eine Frau zu sehen.

"Nun, ich würde sagen jetzt.", sagte einer der Männer.

"Was suchen Sie hier?", rief Ünal, nichts Böses ahnend.

Asta schoss ohne ein Geräusch von sich zu geben auf die Gruppe zu. Diese drehte ihre Köpfe zu Ünal.

"Nichts. Wir mussten nur etwas wegbringen.", sagte einer von ihnen.

Asta sprang Wieland an; der Mann, der etwas mit dem Tod seines geliebten Herrn zu tun hatte. Wieland riss instinktiv seinen Arm hoch und wehrte Asta ab. Aber nur kurz. Sie sprang ihn sofort wieder an.

"Hau ab! Ruf die Polizei!", rief die Frau, während sie sich nach hinten abstieß und mit einem Mann gegen ein Regal krachte. Sie rammte ihm ihren Ellbogen in den Bauch und schlug mit der anderen Hand gegen seinen Hals.

Wieland umklammerte den Hals des Hundes und schlug dessen Kopf hart auf den Boden. Aber sie wehrte sich. Versuchte weiter ihn zu beißen. Er rammte ihren Kopf in das Gitter. Das einzig sichtbare Ergebnis war, dass sie zunehmend aggressiver wurde.

"Halt sie still.", brüllte ein anderer Mann. Er hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. Wieland hielt den wild um sich beißenden Köder so gut es ging fest. Ein Schuss ertönte. Die Kugel bohrte sich in die Wand. In ihrer Taubheit von dem Schuss hörten sie den zweiten Schuss nicht. Nur das blutrot durch den Raum spritzende Ergebnis war zu sehen.

Ein anderer Mann stürmte mit hasserfülltem Gesicht auf den überraschend aufgetauchten Nachtwächter zu. Die Frau hechtete von hinten auf ihn. Gemeinsam stolperten sie zu einer der Gitterwände. Das Gesicht des Mannes wurde gegen die Stäbe gepresst.

Sie brüllte ihm etwas zu. Aber Ünal hörte nichts. Sie schnappte sich etwas von dem Mann. Eine Pistole. Dann nahm sie ihn am Arm und riss ihn weg. Betäubt folgte er ihr.

Das alles ereignete sich innerhalb weniger Sekunden. Aber für ihn fraßen sich die einzelnen Aktionen dieser Eruption unmenschlicher Gewalt in Zeitlupe in sein Gehirn.

"Wir müssen raus!", brüllte die Frau. Er stolperte einige Schritte hinter ihr her, bis plötzlich alles taub wurde.

Er lag auf dem Boden. Die Frau stand im Türrahmen. Ein blutbesudelter Engel in hellen Kleidern vor einem dunklen Hintergrund. Sie richtete die Pistole auf etwas über ihm. Ein Blitz löste sich aus der Pistole. Den Knall hörte er nicht.

Dann wurde alles schwarz.

Das sich im Rücken des ihr unbekannten Nachtwächters ausbreitende Blut war auf dem schwarzen T-Shirt nicht zu sehen. Nur die Wirkung, die zunehmende Nässe, die das T-Shirt immer fester an seinen Rücken klebte, verriet, was ihren Lebensretter getroffen hatte.

Diana richtete Hallers Pistole auf die Verbrecher und gab einen nicht sonderlich gut gezielten Schuss ab. Aber immerhin sprangen sie schnell aus der Schussbahn und versteckten sich hinter den Kartons.

Sie hatte einige Sekunden gewonnen, bevor die Jagd losging. Mit ihr als Kaninchen.

Sie lief in den Keller. Zur Tür, die sie vor einigen Minuten mit Wieland benutzt hatte. Keuchend blieb sie vor der Tür stehen. Mit ihrer Linken drückte sie den Türgriff hinunter und zog die Tür zu sich. Es ging nicht. Sie drückte sie von sich weg. Auch nichts.

"Scheiße. Warum nur?", keuchte Diana. Wieland hatte die Tür hinter sich einfach zufallen gelassen. Er hatte sie nicht wieder zugesperrt. Da fiel ihr das Prinzip dieser Brandschutztüren ein: mit einem Griff wurde einfach die Sicherung umgelegt. Es gab immer drei Möglichkeiten: die Tür geht nur mit einem Schlüssel auf, die Tür geht in eine Richtung auf, im Uni-Keller immer nach außen ins Gebäude, in Hotels bei den Feuertüren immer zur Treppe, und die Tür geht immer auf. Wieland hatte den Schalter umgelegt. Deshalb hatte er ihr die Tür so höflich aufgehalten.

Hinter sich hörte sie bereits die Männer. Ob alle vier, oder nur ein Teil, konnte sie nicht feststellen. Sie hörte nur trampelnde Füße.

Diana drehte sich um. Neben ihr führte ein Gang weg von den Verbrechern. Sie lief los.

"Scheiße! Ist sie weg?", brüllte Wieland. Eigentlich war es kein richtiges Brüllen, sondern nur ein lautes, sehr verärgertes Flüstern, dessen Lautstärke durch die ihm von dieser Schlampe zugefügten Schmerzen verringert wurde. Sie hätte alles von ihm haben können. Naja, nicht alles. Aber sehr viel, wenn sie nur etwas mit ihm zusammengearbeitet hätte. Jetzt hatte sich das geändert.

Haller warf einen kurzen Blick zum Eingang. "Ja. Ist weg."

"Dann los." Wieland erhob sich. "Wir müssen sie schnappen. Die K-Tür ist zu. Aber dahin wird sie zuerst laufen."

"Warum?"

"Da sind wir rein gekommen. Ist auch der nächste Ausgang."

Lade lief bereits los. Haller direkt hinter ihm.

"Gehts?", fragte Kraft.

"Jaja. Warum bist du noch hier?"

"Hab keine Pistole mehr."

"Da. Nimm meine."

Kraft lief hinter den anderen her. Wieland hob die Schlüssel vom Boden auf und steckte sie ein. Das Messer behielt er in seiner Hand. So schnell er konnte, ging er hinter den anderen her. Die Schmerzen im Bauch ließen langsam nach. Aber seine Eier schmerzen noch.

Er hatte gerade die halbe Strecke zurückgelegt, als ihm die anderen kopfschüttelnd entgegenkamen. Gebeugt blieb er stehen. "Gut. Ihr macht alle Ausgänge zu. Sie darf uns nicht entkommen. Ich geh zur Leitwarte. Wir treffen uns dann da."

"Wenn wir sie hier erwischen."

"Wenn nicht, darf sie die Uni nicht verlassen. Und sie darf nicht telefonieren."

"In Handy-Zeiten?"

"Und die Bullen dürfen nicht rein.", sagte Wieland. "Los jetzt."

"Okay." Sie liefen los. Jetzt, im Kampf, mussten sie nicht mehr viel reden. Diana Schäfer war die Beute. Sie war bewaffnet und gefährlich. Sie hatten bis nach Sonnenaufgang Zeit. So lange war die Uni ein abgeschlossenes Gebäude. Der Nachtwächter in der Leitwarte hatte Pech, gerade heute Arbeiten zu müssen. Ebenso alle anderen, die ihnen in die Quere kamen.

Diana blieb keuchend in einem Raum stehen. Kein Ausgang. Sie zog das Magazin aus der Beretta 92FS. Eine gute Pistole. Mel Gibsons Lethal Weapon-Knarre und die Standardpistole in fast jedem Hollywood-Film. Besonders wenn Männer wie blöde durch die Gegend ballerten und hysterisch schreiende, halbnackte Frauen aus höchster Gefahr retteten. Was einiges über die Vorbilder ihrer Verfolger verriet. Noch dreizehn Schuss. In ihrer Hosentasche hatte sie ein Taschenmesser und ihre Schlüssel. Im Geldbeutel eine Telefonkarte. Ihr Handy war in ihrer Tasche und diese lag einige Meter von dem ermordeten Nachtwächter entfernt. Er hatte jung gewirkt. Wie ein Student.

Langsam atmete sie regelmäßiger. Ihr Puls beruhigte sich. Und ihr Gehör funktionierte wieder normal. Aus den Gängen drangen Stimmen zu ihr. Sie erahnte ungefähr die Richtung.

Sie verließ den Raum und fiel in einen leichten Trapp. Den Gang hinunter, Treppe runter, zweimal links, einmal rechts. Da gab es einen Ausgang.

Haller, Kraft und Lade trennten sich. Sie schwärmten sternförmig aus, liefen zu den vom Keller in die Uni führenden Türen und verschlossen sie. Der Keller war zwar riesig, aber er bot, wenn die Ausgänge verschlossen waren, wesentlich weniger Möglichkeiten zur Flucht als die oberirdischen Bereiche der Uni. Außerdem konnte sie aus dem Keller keine Signale an die Außenwelt geben. Keine verräterischen Lichtsignale. Keine Telefonate. Keine Fenster aufbrechen und durch sie flüchten. Hier unten war sie auf sich allein gestellt. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sie hatten.

Aus den Lautsprechern untermalte Steve Coleman mit seinen zersplitternden Alt-Sax-Klängen Cassandra Wilson. Sie hielten ihn halbwegs wach. Jörg Dessau fuhr langsam den Strandweg entlang zu Dianas Haus. Er hatte ihr versprochen, nach seiner Arbeit bei ihr vorbeizukommen.

Er fuhr in die Einfahrt. Kein Licht. Kein Auto. Also war sie noch mit diesem Wieland unterwegs. Jörg stieg aus, streckte sich, gähnte einmal kräftig und holte dann seinen Notizblock heraus.

Er schrieb:

Hallo Diana,
war um halb eins hier. Bin müde & fahre heim.
Gute Nacht & Dicken Kuss
Jörg


Er riss den Zettel aus dem Block und klebte ihn in Augenhöhe an die Haustür.

Eine halbe Stunde später viel er nackt in sein Bett. Er schlief sofort ein.

Diana blieb stehen. Ihr Puls war nur leicht erhöht. Ihr Atem normal. Also zahlte sich ihr regelmäßiges Training aus. Hinter sich war alles still. Sie ging leicht in die Hocke und blickte schnell um die Ecke zum Ausgang.

Ein Mann öffnete gerade die Tür.

Sie trat hervor und zielte auf Wieland, der ihr immer noch den Rücken zuwandte. Sollte sie schießen? In den Rücken eines unbewaffneten Mannes?

Er trat durch die Tür nach draußen. Seine Silhouette zeichnete sich schwarz gegen das Treppenlicht der Uni ab. Er bemerkte sie nicht.

Sie begann den Abzug durchzuziehen. Wie sie es auf dem Schießstand gelernt hatte. Wie sie es dort tausendmal probiert hatte. Auf Zielscheiben. Manche nur mit Ringen. Manche mit Bildern von Personen. Personen, die eine Pistole auf sie richteten. Personen, die eine Geisel im Arm hielten. Eine Frau. Ein Kind. Und dann die Personen, auf die sie nicht schießen durfte, weil sie keine Waffen hatten. Weil sie keine Straftat begangen hatten. Weil sie niemanden bedrohten, sondern bedroht wurden.

Auf dem Schießstand war sie immer gut gewesen.

Im Einsatz hatte sie dann gesehen, was Waffen anrichten können. Nicht nur Pistolen. Auch Messer, Knüppel, Pfannen und Fäuste. Männerfäuste, die auf andere Männer und, viel zu oft, auf Frauen trafen. Und wie lange es dauerte, bis Wunden verheilten. Damals hatte sie den Respekt vor dem Leben gelernt.

Wieland war ein Mensch. Und kein Mensch hatte er verdient, hinterrücks erschossen zu werden. Sogar einem räudigen Hund winkte ein gnädigeres Schicksal.

Er zog die Tür hinter sich zu.

Sie ließ die Pistole sinken.

Sie hörte, wie das Schloss zuschnappte.


Axel Bussmer beim Ausbrüten feinteiliger Straftaten (rein literarischer Natur)
AXEL BUSSMER
iM INTERVIEW


(mit ULrike Duchna, Franka Plaschke und Barbara Keller im AREMA/Moabit
vom 31.07.2007...)


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