Das waren ganz sicher Delikte und
Prozesse, die keinen kalt ließen. Ob nun das
Verfahren gegen einen Mann, der seinen Sohn (12) mit dem
Hammer erschlug (2011), die 'Ehrenermordung' von Hatun S.
durch ihren Bruder 2005 , der Mord an einem kleinen
Bosnierjungen, weggefangen vor dem LaGeSo (2015), der Fall
eines Studenten, der als Axtmörder
möglicherweise einen perfekten Mord probte oder die
Prozesse um die Ku'damm-Raser (2016) und den 'Koma
saufenden Wirt' (2007).
Sie alle haben eines gemeinsam. Sie erregten die
Gemüter. Die Taten, die Umstände der Verfahren,
teils auch die dann gesprochenen Urteile riefen Abscheu,
Entsetzen, Verwunderung und Zorn hervor. Ernst Reuß
hat sich die Urteile aus diesen Verfahren, die
Pressemeldungen noch einmal vorgenommen. In seinem Buch
schildert er die Bluttaten und erklärt darüber
hinaus, warum das Urteil so und nicht anders lautete.
Manchmal zu seinem eigenen Erstaunen.
Reuß erzählt zudem, was aus den Verfahren nach
dem Urteilsspruch wurde. Nach der Revision. Und, wenn es
etwas Nennenswertes zu sagen gibt, auch über das
Schicksal der Angeklagten.
Eines haben die 14 Fälle ja noch gemeinsam. Es
handelt sich um Tötungsdelikte. Straftaten, die im
vorliegenden Buch als Mord, Totschlag und
Körperverletzung mit Todesfolge geahndet wurden.
Dabei hat es die moderne Strafkammer, wie Ernst Reuß
schreibt, mit dem aus dem 3. Reich stammenden
§211 StGB
(*1941) und seinen kernigen Mordmerkmalen nicht so
einfach.
Insbesondere im Fall der beiden sogenannten
'Ku'damm-Raser'. Vielleicht hielt es die 35. große
Strafkammer unter Vorsitz von Ralph Ehestädt wie eine
inzwischen in Pension gegangene Richterin, die mit ihrem
Gremium ein Urteil zu Ungunsten des Angeklagten
durchboxte, das vom BHG zurückkommen musste (!). Sie
erklärte mit froher Verbissenheit in der
Urteilsbegründung: "Bei mir nicht!"
Auch die Verurteilung der Blech-PS-Protze, die bei einem
Rennen auf dem Ku'damm 2016 einen pensionierten Arzt zu
Tode gefahren hatten, musste (!) vom BGH
zurückgewiesen werden. Das Gericht hatte die Wahl
zwischen Skylla und Charybdis. Eine Verurteilung wegen
fahrlässiger Tötung (Höchststrafmaß
fünf Jahre Haft) schien außer Frage. Die
Strafkammer verurteilte die beiden rücksichtslosen,
unbelehrbaren Verkehrsrowdys unter Annahme eines bedingten
Tötungsvorsatzes "mit gemeingefährlichen
Mitteln" (dem Auto) wegen Mordes zu einer lebenslangen
Haftstrafe (15 Jahre).
Doch auch wenn diese beiden Täter nach erfolgreicher
Revision noch einmal mit einer milderen Strafe
davonkommen. - Sie werden die Letzten sein. Seit Sommer
letzten Jahres ist
§315d StGB
in Kraft, das verbotene Rennen unter Strafe stellt. Bis zu
zwei Jahren Haft für das Abhalten eines solchen
Rennens. Bis zu zehn Jahren Haft, wenn eine Person dabei
zu Schaden kommt oder getötet wird.
Fazit: Ernst Reuß hat wieder ein interessantes,
lesenswertes Buch geschrieben, das manchem einige
Erhellung geben kann. - Es wäre sicher schön
gewesen, von einem Experten juristischer Historie in
knapper Form zu erfahren, wohin die in diesem Buch
angedeutete, notwendige Reform des Strafrechts in Sachen
Tötungsdelikt sich bewegen könnte. - Doch wer
weiß, vielleicht gibt es ja ein weiteres Buch von
Herrn Reuß, das sich genau mit dieser Problematik
befasst.
Ernst Reuß "Mord und
Totschlag in Berlin.
Neue spektakuläre Kriminalfälle",
vbb verlag für berlin-brandenburg,
ISBN 978-3-947215-16-4,
18 Euro.
NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3
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in eigener Sache:
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