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Gerichtsreportagen


Eine Bluse ist eine Bluse und andere Geschmacklosigkeiten


von C. Rockenschuh

15.04.2014, Amtsgericht Tiergarten, Abtl. 243
Zwei Männer, 29 und 39 Jahre alt, stören am 13. August 2012 die Veranstaltung zum Gedenken der Mauertoten durch ihre bloße Präsenz. Sie tragen FDJ-Hemden und halten ein Transparent mit der Aufschrift: "Erst die DDR kassieren - heute Europa diktieren - morgen gegen die Welt marschieren - stoppt sie." Die beiden Störer lassen sich nach einem kurzen Tumult am Rande der Veranstaltung, veranlasst durch aufgebrachte Veranstaltungsteilnehmer, von Polizeibeamten friedlich deplatzieren und erhalten beide Strafbefehle, denen sie später widersprechen. Ihnen wird das Tragen des verbotenen Symbols der FDJ (West) sowie das Tragen der FDJ-Hemden (als Uniformen) nach den § 86a StPO sowie § 3 VersG vorgeworfen.
Beitrag vom 2.4.2014


Die Angeklagten und ihre beiden Verteidigerinnen scheinen wenig optimistisch, dafür kämpferisch wie am ersten Tag. Der Angeklagte German L. (29) trägt heute ein T-Shirt mit der Aufschrift "Klassenkampf statt Weltkrieg!", die ein Schornstein flankiert, aus dem sich eine Faust reckt.Der Mitangeklagte Michael W. (39) hat erneut trotzig sein FDJ-Hemd mit dem Emblem der Die Angeklagten vor dem ProzessFDJ angezogen. Auch an diesem Prozesstag führt Amtsrichter Andreas Rische verhalten amüsiert das Verfahren. Im vergangenen Jahr hatte er die beiden Angeklagten den ihnen zur Last gelegten Taten für schuldig befunden. Es sieht kaum danach aus, dass der Amtsrichter seine Meinung geändert hat.

Das Wunderbare an der Demokratie

Auf dem Plan stehen heute zwei Zeugenaussagen, die Plädoyers und das Urteil. Noch einmal schildert der Direktor der Stiftung Berliner Mauer Prof. Dr. Axel Klausmeier, wie sich die Dinge nach seiner Sicht zutrugen. Wie er im Sommer 2012 nach der Andacht als Dritter aus der Versöhnungskirche kam, die beiden Herren in FDJ-Blusen und dem Transparent am Rande der Feierlichkeit sah und dachte: "Naja, okay, stehen die halt da."

Prof. Klausmeier hat kein Problem mit politischen Meinungsäußerungen auf Demonstrationen. Er sagt: "Das ist ja das Wunderbare an einer Demokratie." Aber es sei doch auch alles eine 'Frage von Ort und Zeit'. Als sich zwei Teilnehmer zum Schluss der Veranstaltung über die beiden Störer echauffieren, ein älterer Herr das Transparent herunterzureißen sucht, schreitet Prof. Klausmeier ein. Er bittet die anwesenden Ordnungshüter um Hilfe, die den heute Angeklagten einen Platz in sicherer Entfernung zuweisen.

Schwerter zu Pflugscharen vs. FDJ

Akademiker Klausmeier, der in seiner Dissertation einiges Prächtige über die schillernde Gestalt des barocken Architekten Thomas Ripley publiziert hat, erweist sich - und da steht er nicht allein - nicht ganz sattelfest in Sachen FDJ. Dass die Freie Deutsche Jugend bereits 1936 in Paris im Exil gegründet wurde und zu welchem Zweck, ist ihm nicht bekannt. Klausmeier sagt: "Die FDJ sollte Jugendliche auf das Regime der DDR vorbereiten." Der Stiftungschef, der in Essen aufgewachsen ist, engagierte sich 17-jährig selbst gegen die Aufrüstung. Er trug, wie er sagt, das Symbol 'Schwerter zu Pflugscharen' und war gegen Aufrüstung, also auch für den Frieden.

Der Polizeibeamte D., ist am 13. August 2012 Einsatzleiter vor Ort. Er bestätigt als letzter Zeuge des Verfahrens die relative Unaufgeregtheit der Veranstalter um die Beiden Blauhemdenträger. Selbst die Koordinatorin der Feier Iris Lanz hätte das Auftreten der Männer als 'daneben' bezeichnet, aber mit 'na gut' gehen lassen. Erst als es wegen der Empörung eines älteren Herren, Mitglied eines Opferverbandes, zu Rangeleien kam, sei man eingeschritten.

Eine 'Sache von zehn Minuten'. Einsatzleiter D., aus der DDR gebürtig und als Jugendlicher Mitglied der 1946 neu gegründeten FDJ, hält das Auftreten der Angeklagten am 13. August 2012 als einen Fall der 'freien Meinungsäußerung'. Mit der Koordinatorin Lanz geht er jedoch d'accord, die es als 'Geschmacklosigkeit' bezeichnet.

Sachverstand aus Frankfurt Oder

Rechtsanwältin Gabriele Heinecke für den Angeklagten Micheal W., sieht nun offenbar bereits alle Fälle wegschwimmen. Sie stellt einen letzten Beweisantrag. Das Verbot der FDJ West aus 1951 'gehört auf den Müll', findet sie. Außerdem sei in Sachen FDJ einiges an Aufklärung nötig. Ihr Vorschlag: Prof. Dr. Alexander von Brünneck, der an der Uni in Frankfurt Oder öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht lehrt und als anerkannter Fachmann gilt, soll als Sachverständiger gehört werden.

Doch Richter Rische lehnt den Antrag rundweg mit folgenden Worten ab: "Das Gutachten ist zur Wahrheitsfindung nicht erforderlich." Als Verteidigerin Heinecke Nerven zu zeigen beginnt, beschwichtigt der Vorsitzende Richter: "Na, warten Sie's doch mal ab."

Verbote als demokratrische Spielregeln

Die Plädoyers. Der Staatsanwalt beantragt in seinem Vortrag jeweils 60 und 70 Tagessätze à 20 Euro für die Angeklagten, die er der Tatvorwürfe für schuldig befindet. Wenn die verbotene FDJ West dasselbe Symbol verwende wie die laut Vereinigungsvertrag legale FDJ Ost, dann stehe letzteres im Zweifelsfall unter Verbot, meint der Kläger. Eine Einstellung des Verfahrens käme trotz 'hochwertiger Motive' und Friedfertigkeit der Angeklagten nicht in Betracht. Es fehle das Einsichtsverhalten. Der Staatsanwalt konstatiert: "Das Verbot ist nun einmal in der Welt. Als solches hat man es zu beachten. Das sind die Spielregeln der Demokratie."

Richter Rische überraschte mit seinem klaren Urteil nicht nur den Staatsanwalt. Freispruch auf Kosten der Landeskasse. Das Verhalten der Angeklagten bezeichnete er als eine "Geschmacklosigkeit ohnegleichen". Doch Geschmacklosigkeit sei nicht justiziabel. Richter Rische ging mit Verteidigerin Gabriele Heinecke d'accord, die für das Verhalten ihres Mandanten Sozialadäquanz angemahnt hatte. "Nicht einmal ansatzweise" sei den Beteiligten "die FDJ West eingefallen". Mit den FDJ-Blusen Ost bewegten sich die Angeklagten jedoch auf dem Boden des Erlaubten.

Sozialadäquanz und letzte Instanzen

Zuletzt bemerkte Amtsrichter Rische nebenher: "Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn sich ein oberes Gericht einmal damit beschäftigt. Eine letzte Instanz." Ob es eventuell dazu kommen wird, entscheidet der Kläger. Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob sie Widerspruch gegen dieses Urteil einlegt.

*Foto, Prozessauftakt 2.4.2014 (v.l.n.r.):
German L. (29) und RÄin Anna Busl (Bonn)
Michael W. (39) und RÄin Gabriele Heinecke (Hamburg)



NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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