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Gerichtsreportagen


Serienbrandstifter wollte 'ärgern'


von von Barbara Keller

9.03.2011, Moabiter Kriminalgericht, 17. Große Strafkammer
Popeye ist das Erste, was einem einfällt. Die tiefliegenden Segelohren, das schiefe Gesicht, die haarlose, jungenhafte Erscheinung. Das war es aber auch schon. Ansonsten ein verlegenes Dauerlächeln, viel Schweigen, viel 'vielleicht' und 'kann sein'. Das ist auf den ersten Blick André H. (28), ledig, Küchenhilfe bei einer Cateringfirma, ein braves Mitglied der Mormonen und 'der' Serienbrandstifter des Sommers 2011.
Urteil vom 3. April 2012

Mehr als 100, vornehmlich hochpreisige Wagen, gehen in den Sommermonaten des letzten Jahres in Flammen auf. Darunter zahlreiche BMW, Daimler Benz und Audi, bis zu sechs Autos die Nacht. Der Gewaltexzess gibt derSerienbrandstifter André H. Öffentlichkeit breiten Raum zur Spekulation. Ist es linke ,extreme Gewalt. Steigert sich ein durch 'Sozialneid' aufgepeitschter Jugend-Mob in den Gewaltrausch. Ist der soziale Sprengstoff reif für eine Eskalation?

Drei Monate lang beherrschen die pyromanen Umtriebe des Berliner Küchenmannes die Polizeinachrichten. Immer wieder brennen Pkws in Tiergarten, Charlottenburg und Wedding. Dann ein Anhaltspunkt. Eine Videoaufnahme des Täters, ein begründeter Anfangsverdacht gegen André H. Seit dem 30. August 2011 wird André H. von der Polizei observiert. Nun soll die Falle zuschnappen.  - Aber es passiert nichts mehr.

Als André H. am 21. Oktober 2011 polizeilich vernommen wird, leugnet er. Das hätte es nun sein können, denn die Ermittler halten imgrunde nichts gegen ihn in der Hand. Doch taktisches Nachboren der Polizeibeamten machen den bislang Unbescholtenen schließlich mürbe. André H. gesteht. Alles. Restlos alles. Darüber hinaus auch 65 Fälle, die man ihm gar nicht zur Last gelegt hatte.

Sieben Monate nach der Brandserie lässt André H. durch seinen Verteidiger Mirko Roeder zum Auftakt des Prozess gegen ihn erklären: "Ich räume die Vorwürfe... der Staatsanwaltschaft... voll umfänglich ein." Bis auf eine Ausnahme. Der Angeklagte bereut. Insbesondere in einem Fall, in dem ein Seniorenheim, auf das die Flammen überzugreifen drohten, evakuiert werden musste, plagen André H. Gewissensbisse. "Wenn ich an etwaige Folgen denke, gerate ich in panikartige Zustände", verliest Rechtsanwalt Roeder für seinen Mandanten.

Miese Situation

Die Vorsitzende Richterin Ruth Heinen, aber auch Staatsanwalt Matthias Weidling überraschen mit Milde. Mit Multiple-Choice-Fragen und vielen Vorhalten scheinen sie dem Angeklagten das Leben so leicht wie möglich machen zu wollen. "Kann man sagen, Sie waren in einer 'miesen Situation'?" fragt die Richterin den Angeklagten. "Ja", antwortet dieser. Gewalt gegen Menschen sei nicht 'sein Ding' gewesen, deshalb seien ihm 'die Autos gerade recht gekommen', schlägt die Richterin dem Angeklagten vor. "Ja", erklärt André H. Beim ersten Mal, am 7. Juni 2011, als der bei Tage streng religiöse Mormone gegen 3:00 nachts vor der eigenen Haustür am Wikingerufer zündelt,  will er noch 'geschwankt' haben. "Die anderen Male ging es schon leichter?" fragt Richterin Heinen. "Ja."

Unter dem Wohlwollen aller Prozessbeteiligten ergibt sich bei der Befragung schließlich folgende Tat- und Motivlage: Als André H. im Juni 2011 seine Brandserie beginnt, mit seinem Mountainbike der Marke Torpedo und Grillanzünder in der Tasche Berlin auf Suche nach geeigneten Zielobjekten durchstreift, ist er langzeitarbeitslos, in Geldnot, seine Mutter erkrankt und ein Flirtversuch an einem weiblichen Gemeindemitglied kläglich abgeprallt.

Vorlage "Die Akte"

Mit seinem Freund Heiko hat der Angeklagte schon einmal über Brandstiftungen an Autos gesprochen. Aber  erst durch die Fernsehreportage "Die Akte" kommt er auf die Idee, selbst das Feuerzeug anzulegen. Er sei 'neidisch gewesen' auf die Autobesitzer, 'aggressiv aufgeladen'.  "Die sollten sich auch mal ärgern",  sagte der Angeklagte bei der Vernehmung.

Alkohol und Drogen spielten bei dem überzeugten Mormonen keine Rolle. "Ich habe alles allein begangen", sagt André H. Alles sei auch seine Idee gewesen. In acht Vernehmungen breitet er seine Taten vor den Ermittlern aus. In zwei Ausfahrten, die länger als fünf Stunden und bis nach Mitternacht dauern, ordnet er gemeinsam mit den Beamten die einzelnen Straftaten dem eigenen Portefeuille zu.

Als Ende Juli 2011 bei einem der Brandanschläge auch ein Seniorenheim in der Kurfürstenstraße in potenzielle Gefahr gerät, beschließt der heute Angeklagte, sein Treiben einzustellen. "Da habe ich mir gesagt, du musst jetzt Schluss machen", berichtet er der Strafkammer. André H. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder Arbeit gefunden. Auch wenn die Erträge des Fulltimejobs nicht zum Leben reichten und er Zuzahlungen vom Amt erhielt.

Es sollte ins Fernsehen kommen

André H. berichtet, dass er 'schon so ein Verlangen gehabt habe'. Auch wenn er sich die Brände und später die Autowracks nicht ansah. In manchen Nächten zündete er extra viele Fahrzeuge an, "um sicher zu gehen, dass es ins Fernsehen kommt." Ein Vernehmungsbeamter ist sich deshalb über den Charakter des Angeklagten nicht ganz sicher. Zwar glaubt er, echte Reue an André H. wahrzunehmen, beobachtet einen 'roten Kopf' und 'rote Ohren', aber er hat Zweifel.  Er glaubt auch, dass der Angeklagte seine Brandserie nur deshalb einstellte, weil man ihm auf die Spur kam.

Test mit der Kerze

Deshalb lässt der Ermittler André H. während einer Vernehmung eine Kerze anzünden. Er ist überrascht, als der Brandstifter nur widerwillig zustimmt und beim Anzünden so stark zittert, dass er sechs Versuche  benötigt. Zuletzt lässt er André H. das Feuer wieder ausblasen. Und ist, so gibt er zu, so klug als wie zuvor. "Ich kann immer noch nicht beurteilen, ob mehr dahinter steckt", sagt der erfahrene Ermittler des Brandkommissariats.

Das muss er aber auch nicht. Hierzu wird sich der psychiatrische Sachverständige Professor Hans-Ludwig Kröber später fachkundig äußern, dem sich André H. umfassend anvertraut hat. Entscheiden wird schließlich das Gericht, frühestens am 3. April 2012. Bis dahin ist das Verfahren mit bislang fünf Terminen angesetzt.


Urteil vom 3. April 2012
Sieben Jahre Haft hieß es heute für André H. Eine harte Strafe für den unbestraften 28-Jährigen, den die Ermittler ohne sein umfassendes Geständnis eigentlich nicht hätten überführen können. Der Angeklagte hatte zwischen Juni und August vergangenen Jahres insgesamt 80 hochwertige Autos mit Grillanzünder angezündet und dabei einen Schaden von mindestens einer Millionen Euro verursacht. In zwei Fällen wurden durch die Brände auch Wohnhäuser beschädigt. Im Juli 2011 fing sogar der unbewohnte Dachstuhl des direkt neben einem brennenden Auto stehenden Hauses Feuer. André H. soll, so die Urteilsbegründung, die Taten aus einer desolaten Lebenssituation und aus Geltungssucht begangen haben. Der psychiatrische Sachverständige, Professor Hans-Ludwig Kröber, hatte André H. für schuldfähig befunden, das Gericht war dem Sachverständigen hierin gefolgt. Das Urteil ist rechtskräftig, da der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft auf eine Revision verzichteten.




NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




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