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aus dem moabiter kriminalgericht


Der Fall "Molle"
Sozialamtsmitarbeiter bewilligte Leistungen aus Angst


von Barbara Keller

26. September 2005. Moabiter Kriminalgericht. 4. Große Strafkammer.
Oberinspektor Torsten G. (32), Mitarbeiter des Sozialamts Spandau, soll zwischen Januar 2000 und März 2003 an die vier mitangeklagten, damaligen Sozialhilfeempfänger, Marion Sch. (43), Andreas Sch. (46), Ingrid Schö. (56) und Frank St. (42) insgesamt 250.000 € zu unrecht bewilligte einmaligen Hilfen ausgezahlt haben. Der inzwischen vom Dienst suspendierte Beamte gibt an, zumindest die Leistungen an Frank St. aus Angst vor körperlicher Gewalt in jeder gewünschten Höhe und ohne jede Prüfung ausgezahlt zu haben.

(2. Bericht vom 6. 10. 05)
Freispruch für Ingrid S. und Marion S. (8.11.05)
Untreue aus Angst und Mitleid (31.01.06) weitere zwei Urteile!
Urteil auch für Frank S. (11.08.06) letztes Urteil!

Ende März 2003 ist für Oberinspektor Torsten G. das Spiel aus. Kurz vor der Mittagspause, gegen 11:30, öffnet sich die Tür seines Büros, das er sich mit zwei Kolleginnen teilt. Resolut tritt der Leiter des Sozialamtes mit zwei Polizeibeamten ein. Nachdem die beiden Mitarbeiterinnen hinauskomplimentiert sind, offeriert der Amtsleiter Torsten G. kurz angebunden einen sofortigen Termin bei der Bezirksstadträtin Birgit Bialkowski.

Geteert und gefedert

Im Büro der Bezirksstadträtin für Soziales und Gesundheit erwarten Torsten G. neben der Personalchefin, dem Chef der Rechtsabteilung des Amtes und den beiden Polizeibeamten eine hochnotpeinliche Befragung, die Disziplinar- und Strafrechtsverfahren in einem Abwasch ist. Nachdem ein rechtlicher Hinweis seitens der Polizeibeamten routinemäßig ergangen ist, sprudeln erste geständige Aussagen aus dem schuldbewussten Torsten G. heraus.

Am frühen Nachmittag ist für Torsten G. der Dienst als Oberinspektor beendet. Er darf im Büro gerade einmal seine persönlichen Sachen mitnehmen. Darauf wird ein Hausverbot für ihn bindend. Innerhalb kurzer Frist sinken die Bezüge von Torsten G. auf 50% ihrer früheren Höhe. Und soviel ist klar: lautet das Urteil des strafrechtlichen Verfahrens gegen ihn auf eine Haftstrafe von einem Jahr oder darüber, scheidet Torsten G. aus dem öffentlichen Dienst aus.

Leistungen bis zu 7.900 € monatlich

Auf der Anklagebank des Berliner Landgerichts sitzen am 26. September 2005 der ehemalige Mitarbeiter des Sozialamts Torsten G., zuständig für die Gewährung und Auszahlung der 'allgemeinen Hilfe' im Fachbereich 3 des Sozialamts Spandau und vier seiner ehemaligen Klienten. Sprich: der gelernte Straßenbahnfahrer Frank St. (42), Wicklerin Ingrid S. (56) sowie das Ehepaar Marion und Andreas S., von Beruf Geflügelzüchterin und Maler.

Innerhalb eines Zeitraums von etwas mehr als zwei Jahren, zwischen Januar 2001 und März 2003, soll der damalige Oberinspektor Torsten G. den heute Mitangeklagten einmalige Leistungen und Darlehen bewilligt haben, die ihnen nicht zustanden. Insgesamt 250.000 €, die das Sozialamt Spandau übrigens vorsorglich in einem zivilrechtlichen Verfahren von Torsten G. einfordert.

So erhielt das Ehepaar Andreas S. allein im Mai 2001 rund 5.025 € einmalige Zahlungen zum Lebensunterhalt. Ingrid S., für den Lebensgefährte Frank St. mit Vollmacht kassieren ging, brachte es im November 2002 auf schlappe 7.910 €. Da fragt man sich natürlich verwundert, wie und vor allem warum Torsten G. diese enorme Summe an Geldern auszahlte.

"Ich hatte Angst vor körperlicher Gewalt"

Vor Gericht ist allein Torsten G. geständig und aussagewillig. Unterbrochen von kurzen Zigarettenpausen und einem schnellen Schluck Wasser erzählt der verheiratete Beamte, Vater zweier Kinder, von einer Betrugsgeschichte, die angeblich in Bequemlichkeit und Angst gründet.

So will Torsten G. vor Sozialhilfeempfänger Frank St. von Anfang an ein diffuses Angstgefühl verspürt haben. Torsten G. am zweiten Prozesstag: "Es ging das Flurgerücht, Frank St. hätte schon einmal zwei Mitarbeiter über den Tisch gezogen." Außerdem soll Frank St. selbst ihm erzählt haben, dass er mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft sei und einige Verfahren anhängig seien. Deshalb habe er, Torsten G., dem dominant auftretenden Sozialhilfeempfänger ungeprüft jede Summe bewilligt.

Akten vernichtet

Die Auszahlungen erfolgten cash und sofort. Via Computerprogramm gab Torsten G. eine Karte frei, auf die eine Summe bis zu 1.500 € gebucht werden konnte und die Kunde Frank St. am Automaten innerhalb einer Stunde einlöste. Ging das bewilligte Geld darüber hinaus, ließ der Beamte den Sozialhilfeempfänger Frank St. schon mal mit vier Karten von dannen ziehen.

Die dienstlich vorgesehene Bestätigung durch die stellvertretende Sachbearbeiterin und gegebenenfalls durch die Gruppenleiterin ließ Torsten G. aus. Als das Pflaster allmählich zu heiß wurde, benannte Torsten G. die Akte Frank St. in "Frank Molle" um. Und als wegen der behördlichen Umstrukturierungen die faule Akte Ende 2002 an einen anderen Mitarbeiter zu gehen und alles aufzufliegen drohte, vernichtete Torsten G. sämtliche Posten im Computer und die dazugehörigen Akten.

Was Torsten G. nicht wusste: Ausdrucke des Kassenautomaten und Videoaufzeichnungen belegen die von ihm bewilligten Auszahlungen. Da allerdings nur ein Revisor für das gesamte, circa 10.000 Sozialhilfeempfänger betreuende Amt tätig ist, der auch nur einmal im Jahr rund 40 Akten auf gut Glück prüft, bedurfte es erst eines denunzierenden Faxes einer mitfühlenden Kollegin an die Polizei, bis die Lupe an "Molles Fall" gehalten wurde.

'Stolles Welt'

So lauten jedenfalls die Schilderungen von Torsten G., nach denen er übrigens für sich keinen Vorteil aus den Zahlungen gezogen haben will. - Eine andere Version bietet der Angeklagte Klaus S. auf seiner Webseite 'stolles-world', auf der er erklärt, die Zahlungen wären sogar noch weit über diese Summe hinaus gegangen. Er, Frank St., sei von Anfang an bemüht gewesen, die Schieflage zu klären. Er hätte wiederholt mit diversen Vorgesetzten bis hin zur Bezirksstadträtin gesprochen und das Geld zurückzahlen wollen.

Was an diesen Behauptungen wahr ist, ob Torsten G. auch an andere Sozialhilfeempfänger aus Angst vor körperlichen Sanktionen oder ungemütlichen Auseinandersetzungen ungerechtfertigt Auszahlungen vornahm, wird noch zu klären sein.


"Nicht dass ich mich erinnere ..."

06. Oktober 2005. Moabiter Kriminalgericht. 4. Große Strafkammer.
"... möchte ich nicht ausschließen" und "es wäre schön, wenn ich mich erinnern würde" – diese Sätze fließen allzu oft aus dem Mund von Tosten G., wenn die Fragen unbequem werden. Der ehemalige Mitarbeiter des Sozialamts Spandau soll innerhalb von drei Jahren insgesamt 250.000 € zu Unrecht bewilligte Leistungen an drei mitangeklagte ehemalige Sozialamtskunden ausgezahlt haben. Die umfassende 'Amnesie' von Torsten G. betrifft die Aktenvernichtung der Fallakte des Sozialhilfeempfängers Frank S. ebenso wie die mögliche Involvierung von Vorgesetzten in seine unlauteren Machenschaften. "Ja, haben Sie denn ständig Akten vernichtet, dass Sie sich nicht mehr erinnern?", fragt die Vorsitzende Richterin ungläubig. – Schweigen.

Innerhalb der letzten vier Prozesstermine wird klar, dass an eine planvolle Kooperation zur Tatzeit zwischen dem angeklagten ehemaligen Oberinspektor Torsten G. und Kunde Frank S. offenbar nicht zu denken ist. So kam es nach einer anonymen Denunziation gegen den damals selbständigen Frank S. bereits Ende 2001 zu einer Sonderprüfung, veranlasst durch eine Vorgesetzte. Die erbrachte, dass Frank S. rund 9.691,00 DM Sozialleistungen zu Unrecht erhielt.

Frank S. intervenierte und verlangte eine Aufstellung der erhaltenen Leistungen, die Sozialamtsmitarbeiter Torsten G. ihm jedoch verweigerte. Torsten G. heute larmoyant dazu: "Ich befürchtete, mich völlig in seine Hand zu begeben." Um seinem Begehr Nachdruck zu verleihen, erschien Frank S. nun in Begleitung eines Zeugen. Für diese "Begleithilfe" beantragt er trotzig circa 33 DM pro Besuch und erhält sie. Torsten G. nach bohrendem Nachhaken des Gerichts: "Nein, die Begleitung ist keine Leistung, die möglich ist."

Torsten G., der sich jede klare Aussage in zähem Ringen entwinden lässt, wirkt wenig überzeugend. Und so machen die Nachfragen von Rechtsanwalt Stefan Willmerdinger (für Frank S.) Sinn, die auf die finanziellen Verhältnisse von Torsten G., Mitglied eines Schützenvereins, im fraglichen Zeitraum abzielen. Im März 2000 die 23.000 DM teure Anschaffung eines Renault Kangoo. Im Oktober 2000 bucht Torsten G. wiederum 6.000 DM von seinem Konto ab, Zweck unklar.

Heute befinden sich auf den Konten von Torsten G., der weiterhin monatlich 1.400 € Beamtenbezüge erhält, einmal 10 € und 100 €. Von dem Depotkonto der Frau und deren Sparbüchern ist nicht die Rede. 400 € 'Wiedergutmachung' zahlt Torsten G. monatlich von seinem laufenden Gehalt. 9.550 € sind so bereits von einem öffentlichen Topf in den anderen geflossen – ganze 3% des tatsächlich entstandenen Schadens. Um zu Hause nicht zu versauern, nicht wegen finanzieller Engpässe, erklärt Torsten G., hat er nebenbei auch schon Zeitungen ausgetragen.

Die Anhörung des Zeugen Manfred H. (54), Revisor des Sozialamtes Spandau, nimmt den gesamten 6. Oktober 2005 in Anspruch. Nach eigenen Angaben prüfte der unabhängige Revisor 84 Fälle und fand 31 'relevante' Akten, zu denen auch die Fallakten der vier Mitangeklagten gehören. Nach Durchsicht aller von Torsten G. seit seinem Arbeitsantritt getätigten Buchungen in den Kassenprotokollen und Buchungslisten, fällt Manfred H. auf: allein die Barauszahlungen weisen erhebliche Abweichungen auf.

Jetzt geht das Gericht gemeinsam mit dem Revisor alle fraglichen Posten auf Beanstandung durch. Zur Schuldzuweisung gegen den Angeklagten Frank S. muss der Revisor wiederholt zugeben: "Ich kann Herrn St. nicht vorwerfen, diesen Antrag gestellt zu haben."


Freispruch für Ingrid S. und Marion S. (8.11.05) - Das Gericht sah deren Beihilfe zum Sozialhilfebetrug nicht als erwiesen an.

Untreu aus Angst und Mitleid

31. Jan. 2006. Moabiter Kriminalgericht. 4. Große Strafkammer.
Nach vier Monaten Hauptverhandlung und den Freisprüchen vom 8. Nov. 2005 sprach die 4. große Strafkammer heute, am 31. Januar 2006, die Angeklagten Torsten G. und Andreas Sch. der Untreue und der Anstiftung zur Untreue schuldig. Sie verhängte gegen den ehemaligen Oberinspektor Torsten G., im Spandauer Sozialamt zuständig für die Bewilligung von einmaligen Leistungen, eine Haftstrafe von zwei Jahren. Gegen Andreas Sch., der zu Unrecht einmalige Leistungen im großen Stil beantragte und erhielt, eine Haftstrafe von einem Jahr. Beide Haftstrafen sind zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt.

Das Gericht, sah es nach zäher Prüfung aller Einzelposten der Anklage in Zusammenarbeit mit dem Revisor des Spandauer Sozialamtes, als erwiesen an, dass der ehemalige Beamte Torsten G. in 132 Fällen Leistungen in Höhe von insgesamt 245.947,63 € zu Unrecht bewilligte.

Im Fall Frank St. habe der nachgiebige, konfliktscheue Torsten G. alle Leistungen aus Angst vor dem resolut auftretenden Antragsteller bewilligt. Im Fall Andreas Sch. sei das Motiv Mitleid mit dem schwer erkrankten Mann gewesen.

Andreas Sch. warf die Kammer indessen vor, die Situation ausgenutzt zu haben, indem er bei dem willigen Beamten unter anderem fünf Waschmaschinen, sechs Geschirrspülautomaten, fünf Staubsauger, eine Ostseereise und immer wieder Gelder für zusammenbrechende Möbel beantragte. Und das in einem Zeitraum von knapp drei Jahren. 27.618,18 € beträgt der Schaden, der dem Land Berlin durch Andreas Sch. entstand.

Für Torsten G., der seit längerem monatlich 400,00 Euro an das Land Berlin zurückzahlt, ist das Beamtendasein damit beendet. 11.000,00 Euro Rückzahlungen hat er bereits geleistet. Weitere Zahlungen müssen monatlich erfolgen - so lautet die vom Gericht verhängte Bewährungsauflage. Torsten G. hat den P-Schein gemacht und wird ferner als Taxifahrer sein berufliches Auskommen suchen.

Für Andreas Sch. sieht die Lage wesentlich trüber aus. Schwer Krebs erkrankt leben er und seine arbeitslose Frau mit zwei Kindern, davon die Große mit 18 Jahren schwanger, von Hartz IV und seinen 604,00 Euro Rente. Eine Krankenversicherung kann sich Andreas Sch., der von einer freundlichen Ärztin gratis Behandlung und Morphium erhält, nicht leisten.

Dem Rückforderungsbescheid des Spandauer Bezirksamtes über 48.000,00 Euro versäumte er zu widersprechen. Aber weder diese Summe noch den tatsächlich von ihm verursachten Schaden wird er je begleichen können. – Die von ihm beantragten Zuwendungen vom Amt in Bezug auf die Krankenversicherung wurden mit dem Hinweis auf die 48.000,00 Euro Außenstände abgelehnt.

Bleibt der Angeklagte Frank St., der hartnäckig seine Unschuld beteuert und dessen Verfahren abgetrennt wurde. Auch Frank St. beantragte und erhielt im genannten Zeitraum enorme Summen nicht bewilligbarer Fantasieleistungen. Doch seine Unterlagen sind zum großen Teil vernichtet: durch Tosten G. Die Beweisführung fällt demnach schwer. Frank St.: "Ich habe Leistungen beantragt und sie in der beantragten Form verwendet." Die Verantwortung lag seiner Meinung nach allein bei dem damaligen Oberinspektor Torsten G.
Urteil für Frank S. (11.08.2006):
Das Gericht hielt Frank S. der Anstifung zur Untreue in 58 Fällen für schuldig. Er erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. Sein Rechtsanwalt Stefan Willmerdinger kündigte für seinen Mandanten Revision an.

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NJW schreibt:
"Es gibt noch qualifizierte Gerichtsreporter..."
NJW-aktuell - web.report H. 38/2010, S.3




gitter

Der Angeklagte Torsten G.
Torsten G., ehemaliger Mitarbeiter des Sozialamtes Spandau, soll aus Angst vor Gewalt ungerechtfertigte Leistungen bis zu 7.900 € monatlich ausgezahlt haben.

Frank S.
Frank St., wenn's auch schwer fällt, erklärt: "Kein Kommentar."

Ingrid S.
Ohne Kommentar auch: Ingrid S., ...

Marion S.
... sowie Ehepaar Marion S. und ...

Andreas S.
... Andreas S.

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